von Mario Voigt | Nov. 14, 2016 | Bund, CDU, Politik, Wahlkampf
Die Bundestagswahl 2017 wird eine Richtungswahl. Die Bürger entscheiden darüber, in welchem Deutschland wollen sie leben. In einem Bauchnabel-Deutschland, wo die Gedanken nur um sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und das Hier und Jetzt kreisen, oder in einem Deutschland mit Herz und Verstand, wo der Blick auf Zukunft, die nächste Generation und die Welt gerichtet ist.
Wo stehen wir?
Es ist offensichtlich: Deutschland und seinen Bürgern geht es gut. Es haben soviele Menschen Arbeit wie nie zuvor und die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste seit 25 Jahren. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Wirtschaft wächst und der Staatshaushalt ist ausgeglichen. Die ältere Generation erhält für ihre Lebensleistung den höchsten Rentenzuwachs seit Jahren und Mütter bekommen in einer zusätzlichen Mütterrente die Anerkennung, welche sie verdienen. Junge Menschen finden fast alle einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz und die Investitionen in Forschung und Entwicklung verzeichnet Rekordwerte. Deutschland genießt hohen Respekt in der Welt und stabilisiert in einer schwierigen Lage das europäische Schiff. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eine der gefragtesten der Welt und auch auf dem Glücksbarometer äußern die Deutschen ihr Wohlbefinden.
Doch irgendetwas ist gesellschaftlich ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo seit 2015 vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennengelernt hat. Gesellschaftliche Eliten wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz. Manche verengen das gesellschaftliche Rumpeln auf die Flüchtlingswelle des Sommers 2015. Für sie ist es die Wegscheide, der Dammbruch.
Tatsächlich sind prinzipielle Kräfte am Werk. Es fordern uns viele Veränderungsprozesse heraus: Demographischer Wandel, Digitalisierung, Globale Veränderungen.
Was Wolfgang Schäuble treffend mit „Rendezvous mit Globalisierung“ bezeichnet hat, verunsichert viele Bürger. Es geht dabei nicht nur um Menschen anderer Herkunft. Es geht um die Unübersichtlichkeit einer globalen Ordnung. Wer entscheidet noch was, wer gehört noch zu wem? Opel ist jetzt GM, das Maschinenbauunternehmen um die Ecke jetzt Teil eines chinesischen Großkonzerns oder wie heißt mein Tengelmann morgen? Die vermeintliche Einfachheit brachte Klarheit und Verlässlichkeit.
In gleichem Atemzug mit den globalen Unsicherheiten verlor das deutsche Einheitsnarrative an Kraft. Nach 25 Jahren scheint das große Glück einer friedlichen Revolution und eines gemeinsamen Aufbruchs einer kalten Finanzmathematik des Länderfinanzausgleichs und dem „Jetzt-reichts-aber-mal“ gewichen. Vielleicht hängt das auch mit dem Abtreten der Wendegeneration zusammen und hat etwas Normales. Tatsächlich fehlt dieser Kitt, wenn es um gemeinsames Einstehen gegen wenige in Dresden oder pauschale Urteile über Ost und West geht.
Schließlich sorgt eine zunehmende Technisierung und Digitalisierung für Wandlungsprozesse in der Arbeits- und Lebenswelt. Nicht alle begreifen disruptive Technologien und Wachstumszyklen als Zugewinn, vielmehr fürchten sie um den Arbeitsplatz und gewohnte Sicherheiten.
Das macht es für Wahlen und Parteien nicht einfacher. Über 50 Prozent sagen von sich sie seien Wechselwähler. Fast ein Drittel wählt per Brief, und über ein Drittel fällt seine Wahlentscheidung in der letzten Woche. Dies macht nicht nur die Wahlentscheidung weniger vorhersagbar, sondern zerstört auch jedes dialogische, kommunikative Element, welches in einer Wahlkampferzählung und einer Schlussdramaturgie mündet. Die Wähler sind situativer, wählerischer und die Wählerkalküle vielfältiger geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht mehr klar ist, was mit der Wahlstimme passiert. In Thüringen wusste ein Wähler der SPD nicht, ob seine Stimme für eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition oder ein linkes rot-rot-grünes Bündnis zählt. Unter solchen politischen Lotteriebedingungen wägt der Bürger seinen Wahlakt sorgfältig und strebt nach Eindeutigkeit und Alternativen. Ein Ausweg erscheint mehr direkte Beteiligung. Und es wundert nicht, dass die Zustimmung auch für Volksentscheide auf Bundesebene zunimmt. Dem Misstrauen gegenüber Politikern setzt man die eigene Beteiligung entgegen. Dadurch entsteht aber eine Situation, die Karl-Rudolf Korte zurecht eine „Beteiligung-Paradoxie“ nennt: es wollen immer mehr beteiligt werden, aber zugleich wollen immer mehr, dass sich politische Prozesse beschleunigen. So manche Beteiligungsentartung gibt es in den Sozialen Medien zu bestaunen.

Worum geht es bei der Bundestagswahl?
Für 2017 zeichnet sich ein klares strategisches Bild ab. Die AfD will die Wahl zum Referendum über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel machen. Auf den potentiellen Trümmern dieses Angriffs möchte dann Rot-Rot-Grün ungeniert sein neues Deutschlandhaus bauen.
AfD aber auch RRG möchten die Bundestagswahl zum Referendum über die Politik von Angela Merkel machen. Von links (Euro, Verteilungspolitik) wie von rechts (Flüchtlinge) wird der Vorwurf ertönen, Merkel hätte die Interessen der Deutschen verraten und 12 Jahre seien genug. Beide Seiten eint eine zutiefst nationale und teilweise sozialistische Sichtweise. Sowohl für die AfD und die Linke aber auch große Teile der SPD gehören tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft mittlerweile zum Wesenskern: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. In Zeiten globaler Unübersichtlichkeit eine geradezu erwärmende Vorstellung.
Besonders AfD und Linke sind anti-global, anti-modern, national und sozialistisch. In gewisser Weise bemächtigen sie sich konservativen Positionen und werben für eine vergangene Welt, die wahrscheinlich so nie existierte. Sie spielen mit tatsächlichen oder vermeintlichen sozialen Verwerfungen, schüren xenophobe Ressentiments, beklagen den kulturellen Wandel und versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Die gesellschaftliche Instabilität und Unsicherheit ist ihr Thema. Sie sind der Status quo in einer sich wandelnden Welt.
Vor diesem Szenario ringt jetzt die Union um ihre Position. Bei Bundestagskandidaten, Parteimitgliedern und in der Führung herrscht die Gewissheit, dass 2017 ein anderer Bundestagswahlkampf werden wird als 2005, 2009 und 2013. Besonders im Bundestagswahlkampf 2013 musste die Union nicht um Vertrauen kämpfen und hatte auch keinen richtigen Gegner. Die unmittelbaren Folgen der Flüchtlingskrise scheinen bewältigt, aber die Wunden, Debatten und Fragen sind noch nicht verheilt. Das lähmt und gefährdet den Wahlerfolg 2017. Gerade weil die Anfeindungen von rechts und links zunehmen.
Was ist für die Union zu tun?
Die Bundestagswahl 2017 gewinnt, wer der Sinn- und Sicherheitssuche der Bürger eine Antwort auf die Frage geben kann, in welchem Deutschland möchte ich leben?
Es steht außer Rede, dass das Image von Angela Merkel sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verändert hat. Durch die Diskussion um die Flüchtlingskrise ist die unaufgeregte „Krisenlotsin“ (Korte) Angela Merkel, in den Augen mancher Bürger von einer pragmatischen Problemlöserin zur emotionalen Problemschafferin geworden. Besonders in den neuen Bundesländern hat ihr das massiv geschadet. Im gleichen Atemzug verkennen die Kritiker, wie weiterhin hoch das Ansehen und die Stellung der Bundeskanzlerin in den Augen der Bevölkerung ist. Würde mancher parteilich-schwesterlicher Disput nicht unnötig verlängert, könnte Merkel zurecht behaupten, eine weitere Krise gelöst zu haben.
Dennoch muss die Union mehr aufbieten als die Kanzlerin allein. Es entscheiden Haltung und Richtung.
Die Haltung muss eine selbstbewusste und nicht geprügelte Partei sein, die stolz auf die politischen Erfolge und kämpferisch auf das Kommende ist. Eine Union, die zusammensteht und nicht Einzelfrage den Gesamterfolg in Frage stellen lässt. Zur Haltung gehört auch, Angela Merkel mit Verstand und Herz zu sehen, unter deren Führung Deutschland zur Nummer 1 in Europa und im Ansehen in der Welt wurde. Quasi, Weltklasse für Deutschland.
Doch um den vierten Stern zu holen, braucht die Union eine inhaltliche Begründung, warum sie Deutschland führen und Angela Merkel für vier weitere Jahre Kanzlerin bleiben soll. Es geht nur mit einem inhaltlichen Zielfoto, nennen wir es, Vision, wo Deutschland am Ende der nächsten Legislaturperiode stehen will und warum das für die Menschen in Deutschland wichtig ist.
Die mutige Perspektive auf das Deutschland von morgen ist im Hinblick auf die nötige Einigung mit der CSU aber auch Hinblick auf die Konkurrenz umso wichtiger. Dem Referendum über den Status quo setzt die Union eine Abstimmung über den zukünftigen Weg entgegen.
Die Union muss erklären, wohin sie will, und muss sich dafür die Offenheit ihrer politischen Entscheidungen sichern. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß. Und die Union ist die beste Kraft dafür.
Zur Bundestagswahl geht es für die Union um ein zentrales Versprechen: Wir sind realistischer Schutzpatron der Bürger und machen Deutschland zum besten Land der Welt, wo Sicherheit und Wohlstand für alle Menschen herrscht. In der Heimat stark und in der Welt führend.
Fünf Aspekte sind dafür wesentlich:
- Wachstum und soziale Marktwirtschaft: Wir sollten die Stärken Deutschlands in den Vordergrund stellen und nicht immer jedes Einzelproblem zum Staatsakt erklären. Zwischen berechtigten Debatten um Industrie 4.0 und Steuerpolitik sollten wir die tatsächliche Stärke des Landes in den Mittelpunkt stellen: der Einsatz und das Engagement der Menschen. Für Wettbewerb und wirtschaftliche Freiheit gilt es manche Larmoyanz abzuschütteln und gut über unsere Chancen zu reden. Warum sollten wir sorgenvoll sein, wir haben die besten Arbeiter und Ingenieure der Welt. Im Kampf gegen jegliche Populisten braucht es eine Wachstumsbotschaft.
- Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Stabilität: Wir arbeiten für eine Gesellschaft, in der keiner zurückgelassen oder abgehängt wird. Unser Handeln ist von einem mitfühlenden Konservativismus geprägt, der sozialen Abstieg verhindert. Die besten Chancen für unsere Kinder stärken wir durch ein leistungsorientiertes Bildungssystem und ermöglichen es mit einer Unterstützung von Familien. Die Sicherheit im Alter gewinnen wir durch eine verlässliche Rentenpolitik und ein Steuersystem, wo arbeiten attraktiv ist. Auch wenn bei der nächsten Bundestagswahl die Mehrheit der Wähler über 55 Jahre sein wird, tragen Verteilungsversprechen nicht. Es geht um einen strukturellen Umbau, der die schrumpfenden Generationen der Erwerbstätigen nicht endgültig überlastet und doch Mittel für die wachsende Zahl immer älterer Bürger freischaufelt.
- Staat und Sicherheit: Die Aufgabe der CDU ist es, wieder über ein gemeinsames, ein einiges Deutschland zu reden. Dies gilt in der Frage von Ost und West, aber eben auch von Stadt und Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass ganze Bundesländer, ländliche Regionen oder einzelne stigmatisiert werden. Dass bedeutet auch, nicht jeden in der rechten Schmuddelecke zu sehen, nur weil er Sorgen und Probleme – ob gerechtfertigt oder nicht – anspricht. Viele Bürger stellen seit der Flüchtlingskrise Fragen über die Rolle des Staates, seine Funktionsfähigkeit und seine Defizite. Ob bei Grenzschutz, Polizei oder Schule – staatliches Handeln steht unter bürgerschaftlicher Beobachtung. Nur wer überzeugend antworten kann, was der Staat darf und kann, wird auch dem Sicherheitsempfinden der Bürger gerecht.
- Weltoffen und patriotisch: Wir treten für ein weltoffenes Deutschland ein und haben nach allen Erfahrungen einen realistischen Blick auf die Globalisierung. Dazu zählt auch zu sagen, wir werden alles dafür tun, dass es eine Situation wie 2015 nicht wieder geben wird. Deutschland ist ein Land, wo Asyl ein Recht auf Zeit und Zuwanderung nur nach klaren Spielregeln geht. Den Wagenknechts und Petrys halten wir entgegen, das Gegenteil von Globalisierungsbefürworter ist nicht Patriot. Deutschland ist der Globalisierungsgewinner und muss daher ihr vehementeste Verteidiger sein. Kosmopolit zu sein ist nicht elitär, es ist patriotisch. Das Erfolgsmodell Deutschland ist nur langfristig finanzierbar, wenn wir unsere Produkte, Dienstleistungen und Ideen international verwirklichen.
- Zukunft und Tradition: Wir glauben an eine bessere Zukunft und setzen auf die Hoffnungen der Menschen nicht ihre Ängste. Die Geschichte der Bundesrepublik ist gekennzeichnet, von einem unbändigen Willen Probleme erfolgreich zu lösen. Warum soll aus dieser Tradition nicht ein neues Narrativ für das 21. Jahrhundert entstehen. Etwas mehr Pathos und weniger Bonner Bescheidenheit: In der Heimat stark und in der Welt führend.
Eine solche inhaltliche Schwerpunktsetzung mit Gesichtern verbunden, die sowohl Sicherheit und Stabilität ausstrahlen als auch Zukunft und Modernität, kann nur die Union aufbieten. Sie gibt den Menschen Richtung und Haltung.
Die Bundestagswahl wird eine Richtungswahl. In welchem Deutschland wollen wir leben? In einem national antiquierten, auf Verteilung ausgerichteten und gesellschaftlich stagnierenden Deutschland von Rot-Rot-Grün und AfD oder in einem weltoffenen, gesellschaftlich lebendigen und wirtschaftlich prosperierenden Deutschland? Es ist wieder Zeit, an der große Erzählung für unser Land zu arbeiten.
Der Aufsatz erscheint in Civis mit Sonde Winter/2016
von Mario Voigt | Juli 24, 2016 | Bund, CDU, Politik, Thüringen, Wahlkampf
Wer den Lippenbekenntnissen der Bundes-SPD und Grünen glaubt, könnte nach der Bundestagswahl 2017 in einer linken Republik aufwachen. Dafür sprechen zuviele Parallelen. Als im Dezember 2014 die SPD und Grüne den ersten Ministerpräsidenten der Linken in den Sattel hoben, konnte keine der drei Parteien einen Wählerauftrag dafür beanspruchen. Die Linkspartei legte marginal zu, verlor zugleich aber mehrere Direktmandate. Die Grünen büßten an Zustimmung ein und die SPD erhielt ein katastrophales Ergebnis, das man eben erhält, wenn kein Wähler weiß, was mit seiner Stimme geschieht. Doch ist dies nur eine Thüringer Angelegenheit oder lassen sich bundespolitische Lehren daraus ziehen?
- Die strategischen Motive
Vor der Wahl von Bodo Ramelow lag ein großer Fokus auf dem kleinen Land in der Mitte Deutschlands. Viele hinterfragten, warum sich die SPD und die Grünen mit den Linken verbrüderten statt in eine gemeinsame Koalition mit der CDU zu treten. Nun war dies 2014 keine ganz neue Angelegenheit. Schon 2009 hatten die drei Parteien miteinander geflirtet, aber sich am Ende gegen eine solche Ehe entschieden. 2014 war die Zeit dann reif: Die SPD tat dies vorallem aus Frust, in einer Koalition mit der CDU zwar viele ihre Ziele durchgesetzt, aber trotzdem nicht Gewinner einer solchen Koalition geworden zu sein. Zudem verflüchtigte sich die Mehrheit einer SPD der Mitte hin zu einer linken SPD, die bewußt oder unbewußt, die Linke als zweite sozialdemokratische ergo koalitionsfähige Partei anerkannte. Die Grünen wandten sich einer linken Koalition aus dem irrigen Glauben zu, über ein bürgerliches Profil Gewinner einer solchen Koalition werden zu können. Kommt einem das für die Bundestagswahl 2017 bekannt vor?
- Der linke Anspruch
Für die Linke geht es um mehr. Natürlich will sie zeigen, schaut her: wir stellen einen Ministerpräsidenten; wir sind eine ganz normale Partei. Aber solche machtstrategische Fragen unterschätzen den transformatorisch-revolutionären Anspruch der Partei:
„Wir setzen auf eine allmähliche Transformation, auf eine schrittweise Veränderung der Gesellschaft, wenn sie so wollen: Das Revolutionäre wird man erst in der Rückschau erkennen“, formulierte der Vordenker der Linken und Chef der Staatskanzlei, Prof. Benjamin-Immanuel Hoff Ende März 2015.
Der Leitstern des Regierungshandeln Ramelows ist der „hegemoniale Block“ (Antonio Gramsci) bestehend aus SPD+Grüne+Linke, welcher Staat und Gesellschaft formt. Zum Wesenskern der LINKEN gehören noch immer tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. Das unterscheidet die LINKE mit ihren kommunistischen Wurzeln übrigens deutlich von der SPD oder den Grünen – von der CDU sowieso, die den Einzelnen durch Bildung, soziale Förderung und gesicherte Rechte ermöglichen will, an den Früchten einer freien Gesellschaft und Wirtschaft Anteil zu haben.
- Nach Außen: Bodo, wer? Profilierung und linke Bündnisfähigkeit beweisen
In den ersten Wochen musste sich Bodo Ramelow fühlen wie das Schmuddelkind auf einem neuen Schulhof. Es stand allein in der Ecke und die anderen Kinder rissen Witze. Selbst die SPD im Bund hielt mehr als Tanzabstand und erlaubte den ersten Regierungschef von RRG nicht in Vorabstimmungsrunden zum Bundesrat von SPD und Grüne. Thüringen isoliert. Die Teilnahme musste sich erst verdient werden.
Mehr als ein Jahr später: ob durch Angriffe auf Horst Seehofer, Schlichter im Bahnstreik, in Soli-Allianz mit den anderen Ost-Ministerpräsidenten oder als omnipräsenter Flüchtlingshelfer – Ramelow profiliert sich und seine Regierung als „reinen“ sozialdemokratischen Politikentwurf und findet Platz in den Koordinations-Runden der SPD- und der Grünen-Regierungen. Dadurch werden auch diejenigen auf der Linken Teil des vereinten Deutschlands, die das nie wollten oder die den Prozess nie wollten (L.Bisky). Und gleichzeitig wird das Koordinatensystem der SPD und Grünen stärker links verortet. So regiert in Thüringen in Wahrheit eine Vier-Parteien-Koalition: Linke+SPD+Grüne+Bodo Ramelow.
Doch trotz des bundespolitischen Profilierungskurses bleibt Ramelow ein Ministerpräsident von Stasis Gnaden. Die hauchdünne Einstimmenmehrheit mit zwei ehemaligen IMs in der Fraktion beschert ihm Themen, welche die neue Regierung in die bundespolitische Isolation führen: die Ankündigung alle V-Leute abzuschaffen oder der Winterabschiebestopp.
Die Abschaffung der V-Leute bezeichneten Innenminister anderer Bundesländer als „gefährlichen Alleingang“ und führten aus, dass in bestimmten Fällen der Staat ohne den Einsatz menschlicher Quellen unmöglichen feststellen könne, welche Gefahren drohten. Dem entgegnete der stv. Linke-Vorsitzende in Thüringen, Dittes, trocken, die Erfahrung zeige vielmehr, das V-Leute-System erhöhe die Sicherheit nicht, sondern gefährde die Demokratie. Das die Strukturen des Thüringer Verfassungsschutzes neu überdacht werden müssen ist eine, durch den NSU-Skandal provozierte, durchaus berechtigte Frage. Wenn die Lösung jedoch in der Abschaffung besteht, also in der Ausgliederung und Isolierung hinsichtlich der bundesweiten Informationsbeschaffung und Verbrechensbekämpfung, dann wirft das die Frage nach einem ‚warum‘ auf.
Darin wird das Grenzgängerische, der transformatisch-revolutionäre Charakter sichtbar. In Sicht der Linken muss der Staat als Instrument für die Formung der Gesellschaft verändert werden, wenn er ggf. im Weg steht. Da für die Linken der Extremismus aus der Mitte kommt, nötigt die fehlende eigene Distanz zum extremistischen Lager am linken Rand – besonders – dem kommunistischen Block, ihnen so Änderungen in der Sicherheitsarchitektur des Staates ab.
Nicht ohne Grund ist Ramelow der erste Türöffner für die Debatte um RRG im Bund.
- Nach Innen: auf leisen Sohlen das Land verändern?!
Bis 2014 galt, Thüringen ist ein erfolgreiches Bundesland. Die höchste Beschäftigungsquote Deutschlands, das Bundesland mit der höchsten Aufklärungsquote in der inneren Sicherheit und die Thüringer Schüler belegen bei allen Tests Spitzenplätze. Warum also etwas ändern?
Ein vielfach intoniertes Mantra der neuen Regierung: wir wollen nicht alles anders aber vieles besser machen. Die ersten Monate schienen das zu bestätigen. Kleine sichtbare Prestigeprojekte festigten den neuen gemeinsamen Bund.
Als erstes schufen RRG das Landeserziehungsgeld ab, dem Vorläufer des Bundeserziehungsgeldes. Der Wahlfreiheit der Eltern stellte RRG die vollkommene staatliche Betreuung in öffentlichen Einrichtungen gegenüber: Man wolle damit den Einstieg in den kostenfreien Kindergarten bezahlen. Wohlgemerkt in Thüringen gehen 97 Prozent der Kinder im Vorschuljahr in den Kindergarten.
Auch das erste Gesetz amtete den Geist der Bevormundung und der Wirtschaftsfeindlichkeit. Mit einem Vorschlag zum staatlich verordneten Bildungsurlaub für Arbeitnehmer zur gesellschaftlichen Weiterbildung überzog RRG alle Thüringer Unternehmen mit mehr als 5 Mitarbeitern. Deren Arbeitnehmer sollen bis zu 5 Tage im Jahr an Seminaren zur gesellschaftlichen oder kulturellen Bildung teilnehmen; die berufliche Weiterbildung ist ausgeschlossen. Das Gesetz dient schlicht als ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für gewerkschaftsnahe Fortbildungseinrichtungen.
Der minimalinvasive Politikansatz von Rot-Rot-Grün bescherte ihnen im Sommer stabile Umfragewerte und normale Zustimmungswerte. Doch regiert wird nicht nur auf dem Sonnendeck und so zeigt sich allmählich das wahre Gesicht, welches Staat und Gesellschaft verändern soll. Es wird die Axt an eingeübte Institutionen des Landes gelegt: Gebietsreform, Finanzen, Kultur und Heimat.
Mit einer deutlich zentralistisch geprägten Gebietsreform von Kreisen und Gemeinden sollen bürgernahe Strukturen zerschlagen und anonyme Großkreise entstehen. Dem Bürgerlichen soll im Land der Dichter und Denker durch eine Strukturreform die jahrhundertealte Theater- und Operntradition entzogen werden. Auch in der Finanzpolitik bewahrheitet sich, dass linke Regierungen lieber verteilen und nicht über das erwirtschaften nachdenken. Sie schlachten das Sparschwein der Landesfinanzen und streiten öffentlich über die Gültigkeit der Schuldenbremse. Der Doppelhaushalt bläht das Volumen um 1 Mrd. Euro im Vergleich zum letzten Haushalt der CDU-Regierung auf, die Schuldentilgung wird ausgesetzt und die Rücklage aufgelöst. Es wundert nicht, dass das Wirtschaftswachstum in Thüringen mittlerweile in den Keller gerutscht ist. Gravierende Managementfehler bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme tun ihr übriges.
Mittlerweile kursiert als Mantra der neuen Regierung: wir wollen vieles anders aber nichts besser machen.
- Lektionen für den Bund 2017
Mit ihrer Entscheidung, einen Ministerpräsidenten der LINKEN in den Sattel zu heben, haben die SPD und die Grünen mehr als einen taktischen Schwenk vollzogen. Sie ordnen sich einem grundsätzlich anderen Politikansatz unter. Die LINKE versteht sich als Anker in einem Dreierbündnis und bestimmt damit auch den Radius, in dem sich das Schiff der Regierungspolitik in den Strömen der Zeit zukünftig bewegen soll. Thüringen soll nicht mehr aus der politischen Mitte heraus, sondern vom linken Rand her regiert werden. Es geht um einen fundamentalen Wandel mit Ansage.
SPD-Landesvorsitzender Bausewein sieht die Positionierung der SPD in der linken politischen Mitte an der Seite der Linken und Thüringen als Trendsetter für das politische System Deutschlands. Thüringen dient den linken Parteien in Deutschland als Blaupause; als Denkschablone für eine mögliche andersartige Koalitionsoption im Bund. Bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in 2016 und bei den Wahlen im Saarland 2017 sollen solche RRG Träume Wirklichkeit werden. Wackeln die Umfragen in NRW für das Frühjahr 2017 weiter, werden in der schwindenden Volkspartei SPD die Diskussion um neue Regierungsmöglichkeiten und den Ausbruch aus dem 20-Prozentturm beginnen. Auch die Grünen sind in einer Art Schaukelstuhlpolitik zwischen linkem und bürgerlichem Lager gefangen. Bei ungewissen Umfragewerten von FDP und AfD, frohlocken die Linken als potentieller Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne.
Spätestens mit dem Parteitagsbeschluss der SPD im Herbst 2013 dürfte klar sein, wenn es rechnerisch möglich ist, werden SPD und Grüne 2017 mit der Linken sondieren. Dafür sprechen viele Parallelen aus Thüringen: Die SPD verhält sich im Bund wie eine Opposition in der Regierung. Die Grünen machen Lockerungsübungen für rot-rot-grüne Gespräche. Das öffnet die Grundsatzfrage für den Wahlkampf 2017: Gelingt es der CDU gut zu begründen, warum sie ein starkes Mandat für eine vierte Regierungszeit unter Führung von Angela Merkel verdient hat? Wie verändert die Anti-Establishment-Stimmung nach der Flüchtlingskrise das Wählerverhalten und wie steht es um die Mobilisierungsfähigkeiten der Parteien. Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben dafür erste Anzeichen gegeben. Und auch für die flexible Koaltionsarithmetik im deutschen Parteiengefüge.
Wie fragil ein erfolgreiches Land und wie schnell der Weg in eine linke Republik ist, kann man im Brennglas an Thüringen beobachten. Deutschland braucht ein weiteres solches Experiment nicht.
(so ähnlich erschienen in Bayernkurier 2015)
von Mario Voigt | Feb. 4, 2014 | CDU, Ohne Kategorie, Politik, Thüringen, Wahlkampf
TLZ: Herr Voigt, das Wahljahr hat begonnen, haben Sie schon einen Slogan, mit dem Sie Christine Lieberknecht wieder zur Ministerpräsidentin machen wollen?
Der Slogan ist: Das Land ist auf dem richtigen Weg. Die Menschen können stolz sein, auf das, was sie erreicht haben und mit Zuversicht nach vorne schauen.
Doch so einprägsam. Also haben Sie noch keinen Slogan.
Doch den habe ich, aber ich werde ihn jetzt sicherlich noch nicht verraten. Aber ich sage mal eins: Die Thüringer CDU ist gut vorbereitet.
Woran machen Sie das fest?
Wir haben fast alle Landtagskandidaten bis auf zwei nominiert. Wir sind also wie keine andere Partei im Freistaat schon mit unseren Direktkandidaten unterwegs…
… und das sehen Sie als Vorteil?
Natürlich, unsere Kandidaten können schon bei den Menschen im Land für unsere Politik werben, während die Konkurrenz noch mit internen Streitigkeiten beschäftigt ist. Ein Drittel unserer Kandidaten sind Frauen, ein Drittel ist unter 40 Jahre. Das hat es noch nie gegeben. Wir sind so jung und weiblich wie noch nie, ohne auf wichtige Erfahrung zu verzichten.
Beim Interview mit CDU Generalsekretär Mario Voigt: Bernd Hilder und Elmar Otto von der TLZ. Foto: Peter Michaelis
Ausreichend motiviert sind Sie offensichtlich. Aber die Koalition mit der SPD dümpelt dahin, gegen die Ministerpräsidentin ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue. Drückt das in Ihrer Partei nicht mächtig auf die Stimmung?
Klar, könnten wir das eine oder andere Thema weniger vor der Brust haben. Ich bin froh, dass die SPD ihre Bundestagswahldepression abgelegt und die Frage um die Spitzenkandidatur geklärt hat. Das macht das Arbeiten in der Koalition wieder leichter.
Sollte es zu einer Anklage der Regierungschefin kommen, was ist Ihr Plan B?
Wir brauchen keinen Plan B. Christine Lieberknecht ist eine integre und verlässliche Ministerpräsidentin und ich habe keine Zweifel daran, dass sie rechtmäßig gehandelt hat und dass das auch bei den Ermittlungen rauskommen wird.
Wie schätzen Sie Ihren Koalitionspartner derzeit ein?
Man muss schon feststellen, dass die SPD das schlechteste und wir das beste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten hatten, was die Regierungsarbeit zunächst erschwert hat. Aber nun steht die Sacharbeit wieder im Vordergrund. Wir sollten uns jetzt gemeinsam darauf konzentrieren, was das Land nach vorne bringt. Noch ist kein Wahlkampf.
Aber welche Themen wollen Sie denn in den verbleibenden acht Monaten wirklich noch abarbeiten?
Also die Landesregierung arbeitet sehr fleißig. Wir werden in den nächsten Wochen unser 136 Millionen Euro schweres kommunales Hilfsprogramm gemeinsam im Landtag beschließen und wollen die gemeinsam beschlossene Veraltungsreform umsetzen. Außerdem haben wir den Landesentwicklungsplan 2025 auf der Agenda. Es geht zudem um freiwillige Fusionen auf Kommunalebene oder das Verfassungsschutzgesetz.
Das klingt so, als sei Ihr nächster Traumpartner wieder die Thüringer Sozialdemokratie.
Nein, Koalitionen sind keine Träume, sondern harte Realität. Bei der Landtagswahl machen wir unser Angebot an die Thüringer Mitte und wollen so stark wie möglich werden. Und dann schauen wir, mit wem wir am besten unsere Inhalte durchsetzen können. Die SPD ist ein potenzieller Koalitionspartner.
Einer von zweien, wenn überhaupt.
Naja, nach heutigem Stand kann man feststellen, dass CDU, Linke und SPD sicher dem nächsten Thüringer Landtag angehören werden. Dann gibt es mit den Grünen und der AfD zwei Wackelkandidaten. Für die FDP, die konstant unter fünf Prozent ist, sieht es nicht gut aus.
Also bleibt für die CDU nur Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün?
Beides ist für Thüringen besser als Rot-Rot. Aber es ist müßig im Vorfeld einer Wahl über Koalitionen zu philosophieren. Man muss selber so stark sein, wie man kann um am Ende souverän den Partner auswählen zu können mit dem für Thüringen das Beste erreicht werden kann.
Aber Sie schließen doch ein Bündnis mit der AfD aus.
Richtig.
Die Linke scheidet ebenfalls aus. Mit der FDP dürfte es, selbst wenn sie knapp in den Landtag einzöge, schwer werden. Also weiß doch der Wähler in etwa, was auf Ihn zukommt. Oder träumen Sie von einer absoluten Mehrheit?
Ich träume davon, dass der Erfolg Thüringens weitergeht mit der Handschrift von Christine Lieberknecht und der CDU. Damit das gelingt, müssen wir zulegen und auch in den Wahlkreisen besser werden als 2009. Statt in 28 Wahlkreisen wie vor 5 Jahren wollen wir deutlich öfter vorn liegen. Und was eine mögliche Koalition mit der FDP angeht? Warum nicht! Im Sommer 2013 sahen uns die Demoskopen bei 43 Prozent. Wir könnten dann also auch mit unserem natürlichen Koalitionspartner FDP regieren, sollte sie die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.
Die bürgerlichen Wähler würden Ihnen also einen Gefallen tun, wenn Sie die FDP erneut ins Parlament hieven?
Die Wähler sind glücklicherweise sehr klug und wissen, dass sie keine Stimme zu verschenken haben und werden hoffentlich CDU wählen. Es geht schließlich darum, ob Christine Lieberknecht oder Bodo Ramelow Thüringen regiert.
Sie wollen also das Duell zwischen Christine Lieberknecht und ihrer SPD-Herausforderin Heike Taubert nicht befördern?
Dieses „Duell“ ist ein Luftschloss und völlig unrealistisch. Heike Taubert ist eine nette Dame, die im Kabinett von Christine Lieberknecht arbeitet, aber ohne Chance auf das Amt der Ministerpräsidentin.
So boshaft hätten wir Sie gar nicht eingeschätzt.
Man muss doch mal eines festhalten- Spätestens mit den Aussagen von SPD-Chef Christoph Matschie und Frau Taubert, auch einen Linken-Ministerpräsidenten mitzuwählen, ist eines klar: Die Landtagswahl entscheidet darüber, ob der Kurs vonChristine Lieberknecht mit dem Ziel der Vollbeschäftigung fortgesetzt wird, oder ob es rot-rot-grüne Experimente unter Bodo Ramelow gibt.
Das heißt Lagerwahlkampf?
Nein, das heißt, dass die Optionen offen auf dem Tisch liegen. Die SPD ist kontinuierlich unter 20 Prozent, sie wird nicht mehr vor der Linken landen. Die CDU macht ein Angebot an die Mitte der Gesellschaft, die nicht von den Rändern definiert und regiert werden wollen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Linke die Erfolge bei Wirtschaft und Bildung gefährdet. Das wäre aber der Fall, wenn Bodo Ramelow Ministerpräsident würde.
Sie wollen allen Ernstes Bodo Ramelow als Investorenschreck hinstellen? Hat sich dieses Klischee nicht längst überlebt?
Man braucht hier keine Schreckgespenster beschwören, sondern einfach schauen, was die Thüringer in den letzten Jahren erreicht haben. Seitdem Christine LieberknechtMinisterpräsidentin ist, sind die sozialversicherungspflichtigen Jobs um fünf Prozent gewachsen. Die Löhne sind deutlich gestiegen. Seit 2004, also seit 10 Jahren, wirbt Bodo Ramelow für sich als Ministerpräsident. Seitdem ist z.B. das Bruttoinlandsprodukt um 20 Prozent gestiegen. Das haben wir nicht mit verteilen, sondern erwirtschaften geschafft. Deshalb sage ich: Ramelow führt Debatten von gestern. Und das würde Thüringen zurückwerfen.
Im vergangenen Jahr hatten Sie noch Angst davor, dass die SPD zu stark werden könnte und haben sich extra eine Strategie überlegt, damit die Linke auch wirklich vor der SPD landet.
Wie kommen Sie denn darauf?
Weil es stimmt. Auch wenn sich Ihre Überlegungen inzwischen überholt haben, aber fest steht doch, dass die ehemalige Stasi-Beauftragte Hildigund Neubert vor allem auch deshalb Staatssekretärin in der Staatskanzlei geworden ist, damit sie als Reizfigur der Postsozialisten Linke-Wähler mobilisiert, um so zu verhindern, dass es ein SPD-geführtes rot-rot-grünes Bündnis gibt.
Eine interessante, aber falsche These.
Ganz und gar nicht. Der Linksruck der SPD, die bis dahin stets ausgeschlossen hatte, eine Juniorpartnerschaft mit den Linken einzugehen, hat ihnen nur einen Strich durch Ihre Strategie gemacht.
Noch einmal. Erstens hatten wir als CDU nie Angst vor einer starken SPD und zweitens ist Frau Neubert eine exzellente Staatssekretärin. Wahlen gewinnt man nicht durch Mobilisierung des Gegners, sondern durch ein programmatisches und personelles Angebot.
Was sagen Sie ihren traditionellen Wählern, die mittlerweile hadern, weil sie der Ansicht sind, dass die CDU sich kaum noch von der SPD unterscheidet?
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Es geht um Lieberknecht versus Ramelow. Die SPD ist nur ein Mehrheitsbeschaffer in einer linken Koalition. Die CDU will unter Führung von Christine Lieberknecht Thüringen zur Vollbeschäftigung führen und zwar mit fairen Löhnen. Bodo Ramelow verspricht 5000 staatlich bezahlte Jobs, die fast 100 Millionen Euro kosten, und bemerkt dabei nicht einmal, dass sich die Arbeitslosigkeit seit seinem ersten Spitzenkandidaten-Versuch 2004 halbiert hat. . Die Linke ist das garantierte Schuldenprogramm und Abwrackprogramm für den Wirtschaftsstandort Thüringen.
Bundes- und landesweit hat man derzeit nicht das Gefühl, dass die CDU die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessert oder die arbeitende Mittelschicht fördert, die wird im Gegenteil immer stärker belastet.
Sie müssen auch sehen, was die CDU Gott sei Dank nicht zugelassen hat: höhere Erbschaftssteuer, höhere Eigenkapitalsteuer nur ein paar Beispiele, die unsere Wirtschaft noch stärker belasten würden. Aber Sie haben Recht, es gibt hier Ungerechtigkeiten. Gerade bei den Kosten von Energie. Da müssen wir ran.
Dann belassen Sie es auch nicht nur bei Ankündigungen. Die wahrlich große Berliner Koalition hat immerhin fast eine absolute Mehrheit.
Aber wir regieren nicht allein. Und entgegen allem Gerede von der Gleichheit der Parteien, gibt es einen grundlegenden Unterschied. Die SPD setzt auf Verteilen, wir auf Erwirtschaften. Deshalb müssen wir so stark wie möglich werden, um unsere Position durchsetzen zu können.
Aber die CDU hat doch maßgeblich mit dafür gesorgt, dass die Rentenbeiträge nicht gesenkt werden und ihr Parteifreund und Gesundheitsminister Hermann Gröhemöchte jetzt auch noch die Beiträge für die Pflegeversicherung anheben.
Wir haben bei der Rente gemacht, was wir vorher gesagt haben. Wir haben die Mütterrente beworben und sie wird jetzt kommen. Das ist nur gerecht. Warum sollten wir denn die Leistung der Mütter, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, weniger wertschätzen?
Warum wird der Rentenbeitrag nicht gesenkt?
Sie können doch nicht auf der einen Seite den Beitrag senken und auf der anderen quasi die Auszahlung erhöhen.
Aber was die Union nun auf den Weg bringt, belastet die, die arbeiten und Beiträge zahlen und kommt Menschen zu Gute, die nichts eingezahlt haben.
Zunächst einmal gilt doch wohl, dass jeder möchte, dass seine Mutter die gleiche Rente bekommt, egal ob sie ein Kind vor oder nach 1992 zur Welt gebracht hat. Die Mütterrente wird kommen zum 1. Juli und das ist auch richtig! Und unabhängig von Einzahlungen: Ohne die Mütter, die jetzt profitieren, bräuchten wir überhaupt nicht mehr über Renten zu diskutieren. Weil niemand Kinder geboren und großgezogen hätte.
Und was ist mit der Rente ab 63?
Hier gibt es im Detail noch Klärungsbedarf. Ich habe Sorge, dass die nun vorgestellten Pläne zu Frühverrentungen führen, weil auch bis zu 5 Jahre Arbeitslosigkeit einbezogen werden. Das können wir weder für ältere Arbeitnehmer wollen, noch kann sich der Wirtschaftsstandort es leisten, auf die Erfahrung der Älteren zu verzichten.
Das heißt, Sie fordern SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles auf, die Rente mit 63 zu stoppen?
Das bedeutet, dass ihr Vorschlag noch nicht alle Fragen beantwortet hat und dass ich Nachbesserungen einfordere. Im Moment sehe ich den Gesetzentwurf noch nicht als zustimmungsreif an, weil das Problem der Frühverrentungen nicht gebannt ist. Generell gilt in der Rentenpolitik: Wir brauchen soziale Absicherung auf der einen Seite, aber wir müssen erwirtschaften bevor wir verteilen. Das ist der substanzielle Unterschied zu den Linken. Und das werden wir auch im Landtagswahlkampf ganz deutlich machen.
Wie genau?
Neben den schon beschriebenen Unterschieden in der Wirtschaftspolitik geht es um Finanzen. Die CDU setzt auf ausgeglichene Haushalte, weil es eine Frage der Generationengerechtigkeit ist. Wir haben die zweithöchste Pro-Kopf-Schuldentilgung nach Bayern in ganz Deutschland. Die Linken versprechen viel und meinen eigentlich nur neue Schulden. Die Beispiele in Baden-Württemberg undNordrhein-Westfalen zeigen: Grün-Rot oder Rot-Grün machen dort Milliarden neue Schulden. Trotz der höchsten Steuereinnahmen, die es jemals gab, setzen die Regierungen in diesen Ländern weiter auf eine Schuldenpolitik. Damit verlassen sie den politischen Konsens, den wir mit der Schuldenbremse nach Jahrzehnten endlich parteiübergreifend gefunden haben.
Wer war noch gleich in den vergangenen 25 Jahren immer die stärkste Kraft in der Thüringer Landesregierung und hat damit maßgeblich zu den 17 Milliarden Euro Schulden in Thüringen beigetragen?
Wir liegen bei der Pro-Kopf-Verschuldung im deutschen Mittelfeld. Da wollen wir besser werden. Aber: Es war in den Jahren nach der Wiedervereinigung notwendig in Wirtschaft zu investieren, Infrastruktur aufzubauen und Bildungsstandards zu halten. Und Sie werden mit mir doch wohl übereinstimmen, dass diese Politik erfolgreich war. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern…
… und die niedrigsten Löhne!
Das stimmt doch gar nicht mehr. Sie leben doch in einer Welt von vor drei Jahren.
Ach ja?
Natürlich. Im Dezember vergangenen Jahres hat eine Studie den Beweis erbracht, dass die Lohnsteigerungen in Thüringen am deutlichsten sind. Seit 2009 sind die Einkommen inThüringen um zehn Prozent gestiegen.
Das mag sein, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass in Thüringen die Beschäftigten im Schnitt weiter ein Drittel weniger verdienen als der Bundesschnitt. Das hat erst in diesem Monat wieder die Bundesagentur für Arbeit vermeldet. Und genau diese Gehaltsschere führt doch dazu, dass es Unternehmen schwer fällt, Fachkräfte aus anderen Regionen anzulocken.
Niemand hat bestritten, dass wir schon am Ende des Weges sind. Natürlich wollen wir auch hier noch besser werden. Aber Sie können doch nicht ignorieren, dass unsere Politik dazu geführt hat, dass Thüringen sich inzwischen zum ostdeutschen Primus bei Wirtschaft und Finanzen entwickelt hat.
Zumindest seit Finanzminister Wolfgang Voß gegen alle Widerstände auch in der CDU – einen rigiden Sparkurs fährt, hatten wir den Eindruck, dass Thüringen beim Schuldenabbau vorankommt. Aber kaum hat das Land einen kleinen Überschuss erwirtschaftet, wird nicht mehr gespart, sondern 136 Millionen Euro werden an die Kommunen verschenkt.
Die Überschüsse gehen zum einen anteilig in die Schuldentilgung des Landes, zum anderen geben wir Geld in die kommunale Familie, um denen bei der Schuldentilgung zu helfen.
Was ist das für ein Signal? Die Gemeinden, die teilweise selbst verschuldet, ihre Haushalte nicht mehr zubekommen, müssen nur nach Landeshilfe rufen und schon gibt es Geld.
Sie können natürlich alles schlecht reden. Aber der Ansatz der Union ist immer gleich. Unsere Auffassung von Gerechtigkeit ist: Es geht um den Zugang zu Chancen. Ob bei der Bildung, der Wirtschaft, den Finanzen oder den Gemeinden. Es geht darum, dabei zu helfen, die kommunale Zukunft zu gestalten.
Traditionell beansprucht die CDU immer für sich eine hohe Wirtschaftskompetenz. Aber das Amt des Wirtschaftsministers überlassen Sie, von Bayern abgesehen, immer anderen. Das Verhältnis zur Wirtschaft gilt durch den mitunter sozialdemokratisch gefärbten Kurs der Union als belastet. Wie wollen Sie das ändern?
Ich weiß nicht, in welchem Land Sie leben. Punkt eins: Die Union ist der Sachwalter für wirtschaftspolitische Vernunft – in Thüringen wie in Deutschland. Das ist unsere Kernkompetenz. Deshalb wählen die Menschen Angela Merkel genauso wie Christine Lieberknecht …
… deshalb überlassen Sie das Wirtschaftsressort immer den Koalitionspartnern?
Nein. Punkt zwei ist: Thüringer Mittelständler, und das sage ich Ihnen, als jemand der selbst im Mittelstand gearbeitet hat, wollen keinen Wirtschaftsminister, der doppelt abkassiert, sondern einen, der sich doppelt engagiert. Es geht darum, gute infrastrukturelle Bedingungen zu schaffen und qualifizierte Fachkräfte zu haben…
… aber die Wirtschaft klagt doch über viel zu viel Bürokratie und hohe Belastungen. Und kein Politiker irgendeiner Partei hat ernsthafte Anstrengungen unternommen, hier etwas zu ändern. Im Gegenteil: Es kommt immer mehr drauf.
Ich darf mal daran erinnern, dass wir in Thüringen gerade eine große Verwaltungsmodernisierung auf den Weg bringen. Und gerade dabei hat auch die Frage des Bürokratieabbaus eine herausragende Rolle gespielt. Mit einem One-Stop-Shop werden die Unternehmen künftig für alle ihre Angelegenheiten eine zentrale Anlaufstelle haben. Auch durch die fortschreitende Digitalisierung, zum Beispiel beim E-Government, sorgt Thüringen längst für eine erhebliche Entlastung der Unternehmen. Aber natürlich wollen wir, wenn wir die Chance dazu haben, nach der Wahl wieder den Wirtschaftsminister stellen, um bestimmte Fehlentwicklungen beispielsweise in der Förderpolitik zu korrigieren.
Zum Beispiel?
Ich habe nichts gegen die Ansiedlung von Zalando am Erfurter Kreuz. Aber dort haben wir, um das Unternehmen hierhin zu locken, Geld investiert, das besser beim Mittelstand aufgehoben gewesen wäre. Wir stecken zu viel Geld in Logistik anstatt damit moderne innovative Unternehmen zu unterstützen.
Aber gerade Ansiedlungen wie Zalando spielen Ihnen doch in die Hände, weil sie für Beschäftigung sorgen. Und die niedrige Arbeitslosenquote haben Sie gerade noch als Ergebnis weitsichtiger CDU-Politik gelobt.
Wir haben die höchste Handwerkerdichte in ganz Deutschland. Und 90 Prozent der Unternehmen, haben weniger als 10 Mitarbeiter. Diese Mittelständler, die bereits im Land sind, müssen wir stärker unterstützen und nicht Geld für fragwürdige neue Ansiedlungen binden.
Ist dieses von Ihnen hier skizzierte Bild einer Partei der regionalen Nähe auch ein Grund dafür, warum Sie keine Landkreise zusammenlegen wollen?
Mit uns wird es keine Großkreise geben. Das haben wir in dieser Legislaturperiode oft genug deutlich gemacht und dabei bleibt es…
… aber wird eine Gebietsreform nicht der Preis sein, um mit SPD oder Grünen koalieren zu können?
Das sehe ich nicht so. Wir werden schon bei der Kommunalwahl erleben, dass die Menschen mit den Füßen abstimmen, also für die regionalen Gebietskörperschaften, in denen sie leben. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es jetzt zwar nur noch sechs Landkreise, aber keiner hat mehr einen ausgeglichenen Haushalt. In Sachsen sagen selbst SPD-Politiker, dass die Reform erst 500 Millionen Euro Anschubfinanzierung kostet. Strukturen sind kein Selbstzweck. Die zentrale Frage ist doch: Wie können die Aufgaben vor Ort am besten erledigt werden? Und da ist mein fester Glaube, dass wir Übersichtlichkeit, Nähe und Identität brauchen.
Aber die Menschen definieren sich doch nicht über Ihr Leben in Landkreisen, sondern sie leben in ihren Dörfern oder Städten.
Da widerspreche ich. Die Menschen identifizieren sich auch mit ihren Kreisen. Nehmen sie nur das Eichsfeld. Und wenn sie zu große Einheiten schaffen, haben die kleinen eingemeindeten Orte überhaupt keine Mitsprache mehr, was zu Verdrossenheit und Identitätsverlust führt. Wir wollen, dass die Menschen weiter etwas zu sagen haben. Das gilt für alle Ebenen. Deshalb sind wir gegen Monsterkreise und gegen Mindestgrößen von 12 000 Einwohnern bei Gemeinden.
Die CDU reklamiert für sich, alle wichtigen Reformen gemacht zu haben: beim Forst, dem Kommunalen Finanzausgleich und der Polizei. Vor allem bei der Polizei wird die Kritik aus den eigenen Reihen aber immer lauter, dass die innere Sicherheit durch einen zu starken Stellenabbau leidet.
Die Reform wird am Ende dazu führen, dass mehr Polizisten auf der Straße zur Verfügung stehen werden. Innere Sicherheit ist für die CDU ein wichtiges Thema. Hier werden wir keine Abstriche zulassen.
Ihr Innenminister besetzt aber vor allem gerne Themen wie Integration. Law and Order spielt bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. Haben Sie nicht die Sorge, dass das Ihre Wähler vergrault?
Wir haben in Jörg Geibert einen exzellenten Innenminister, der sowohl für Sicherheit und Ordnung steht als auch für einen starken kommunalen Raum. Thüringen ist das Land mit der bundesweit besten Aufklärungsquote. Insgesamt haben wir die drittwenigsten Straftaten. Dabei wird es auch bleiben.
Christine Lieberknecht werden oft zu viele sozialdemokratische Gene nachgesagt. Und auch in Berlin hat man derzeit den Eindruck, die Koalition wird mehr vonSigmar Gabriel als von Angela Merkel geführt, weil die SPD-Akzente überwiegen.
Ich bin Schachspieler, deshalb weiß ich, Partien werden selten in der Eröffnungen gewonnen, sondern häufig im Endspiel. Die Legislaturperiode dauert mehr als nur drei Monate…
… das heißt, zurzeit sind Sie auch unzufrieden?
Das heißt: Wir müssen noch deutlicher machen, was unsere Schwerpunkte sind. Aber ich bin Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sehr dankbar, dass er mit unserem Bauminister Christian Carius das Thema Ausbau der digitalen Infrastruktur auf die Agenda gesetzt hat. Wir werden in Thüringen auch für eine Digitalisierungsoffensive werben.
Wie soll die aussehen?
Wir brauchen einen Technologiemix. Aber der Zugang zu schnellem Internet ist mittlerweile eine Frage von Gerechtigkeit. Wir als Union wollen, dass auch in ländlichen Regionen die Versorgung so ist, dass alle Angebote nutzbar sind. Zurzeit kann man in 97 Prozent des Landes mit nur zwei MB pro Sekunde im Netz surfen. Das reicht für die ist Entwicklung der Wirtschaft in der Fläche nicht aus.
Hermann Gröhe, Alexander Dobrindt, Andrea Nahles alle Generalsekretäre im Bund sitzen jetzt im Kabinett Merkel. Welches Ministerium werden Sie, im Fall einer erfolgreichen Landtagswahl, übernehmen?
Ich bin gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Nach der Wahl wird mir deshalb meine Frau das Familienministerium übergeben. Ich nehme mindestens einen Monat Erziehungsurlaub, um die Eingewöhnungszeit unseres zweiten Sohnes im Kindergarten begleiten zu können.
Das heißt: Sie wollen kein Minister werden?
Ich will, dass es in Thüringen weiter voran geht und dass Christine Lieberknecht Ministerpräsidentin bleibt. Für alles andere brauchen wir keine Planspiele.
Interview in der TLZ vom 3.2.2014
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