Wenn die CDU am kommenden Wochenende ihren dritten Bundesvorsitzenden in vier Jahren wählt, fragen sich viele: Findet die CDU wieder zurück zu alter Stärke? Wie sieht das Comeback der CDU aus?

Die Bundestagswahlen waren ein Denkzettel für die Union: Erstmals seit 1953 gaben der CDU weniger als 10 Millionen Wähler ihre Stimme. Man kann verlieren, aber ob eine Partei Zukunft und Charakter hat, zeigt sich wie sie mit Niederlagen umgeht. Und wie sie wieder aufsteht, wenn sie hingefallen ist. Der Machtverlust darf nicht zu einer Lähmung führen, sondern muss neue Ideen und Kreativität entfesseln. Die Union muss nun nicht mehr im Sinne einer Machtmaschine funktionieren, sondern kann sich einer Art Generalinspektion unterziehen.

Es klingt geradezu revolutionär und ein bisschen verrückt, aber nun besteht für die Möglichkeit, Positionen und Themen neu zu denken und sich auf Werte und Haltungen zurückzubesinnen. Für welche Punkte steht die CDU, die sie von anderen unterscheidet?

Das Comeback der CDU wird nur über programmatische Frische und Erneuerung gelingen. Für die CDU muss es um den Anspruch der geistigen Führung gehen, die eine Aufstiegs-Erzählung von ganz Deutschland mit dem Mut der Auseinandersetzung um den besten Weg verbindet. Klick um zu Tweeten

 

1. Geistige Führung eines verunsicherten Landes

Die CDU ist Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. 16 Jahre Regierung bedeutet auch gesellschaftliche Konflikte im Regierungspragmatismus zu relativieren. Im Wahlkampf fehlte der CDU das programmatische Alleinstellungsmerkmal und die Unverwechselbarkeit. Doch will sie nicht den Weg anderer europäischer christlich-demokratischer Parteien von Italien, Frankreich oder Belgien in die Marginialisierung gehen, dann muss sie sich um die geistige Meinungsführerschaft in gesellschaftlich-politischen Debatten kümmern.

Die Zeit dafür ist reif. Gesellschaftliche Konflikte entladen sich in polarisierten und moralisierten Debatten. Während der SPD-Parteivorsitzende das Sozialdemokratische Jahrzehnt anbrechen sieht, will die AfD die Spaltung der Bürgerlichen und der Union. Deswegen muss der gesellschaftliche Interpretationskampf der CDU in der Mitte gegen die SPD/Grünen und nach rechts gegen die AfD geführt werden.

Die alte, sozialökonomische Sicht bei SPD/Grünen/Linke ist passe – sie reden dem kulturellen Wandel aus einer Position der vermeintlichen moralischen Überlegenheit das Wort. In ihrem verabsolutierten Zeitgeist unterscheiden sie zwischen legitimen und nicht legitimen Sorgen. Erlaubt ist etwa die Angst vor der Klimakatastrophe oder vor dem Atomtod. Nicht erlaubt, ist die Angst mancher Bürger in der Globalisierung die eigene Identität zu verlieren. Hier setzt die AfD an, die sich als anti-institutionelle und ausländerfeindliche Populismusbewegung radikalisiert hat.

Beide Seiten machen die gesellschaftliche Unsicherheit zum Thema. Sie stehen für unterschiedliche Schattierungen des Status quo in einer sich wandelnden Welt. Ihr Blick auf Deutschland ist geprägt von einer Gesellschaft der Opfer und Minderheiten: diskriminierte Migranten, rechte Wutbürger, linke Flüchtlingshelfer, Abgehängte, Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger…

Doch wo ist das einigende Band? Wo die einende Gegenkraft zur linken und rechten Identitätspolitik?

Politik in einem polarisierten Umfeld funktioniert langfristig nicht ohne eine eigene kraftvolle Positionierung. Die CDU kann Sicherheit und Orientierung bieten, wenn sie es versteht, zu bewahrendes mit dem neuen zu verbinden. Doch dafür muss die CDU wieder den Weg nach Normalo-Deutschland suchen (Road to Somewhere).

 

2. Aufstiegserzählung für ganz Deutschland

Es braucht eine programmatische Erneuerung der CDU. Eine starke und verbindende Erzählung muss in den Blick nehmen, was das Anliegen und die Antworten christlich-demokratischer Politik ist. Im Zentrum steht: wie wollen wir in Deutschland miteinander leben.

Die CDU muss den tatsächlichen oder vermeintlichen Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erwartungen der eher lokal verwurzelten, in Werten wie Familie, Heimat und Nation denkenden seßhaften Normalbürgern (Somewhere) und der gut ausgebildeten, mobilen und global denkenden großstädtischen Elite (Anywheres) auflösen. Es geht um ein Zielfoto oder Vision in der „sinnentleerte Bequemlichkeitsdemokratie“ (Oberreuter), die eine Verbindung zwischen Tradition und Moderne, Heimatbedürfnis und globalem Fortschritt bietet.

Für die CDU muss es, um Deutschland als gemeinsame Aufstiegsgesellschaft gehen – für das Land und den einzelnen. Ob Angestellter, Arbeiter oder Selbständiger, ob Ost oder West.

Es geht dabei aber nicht nur um Identität, sondern auch Gerechtigkeit. In Deutschland haben soviel Menschen Arbeit wie nie zuvor. In der breiten Mitte unserer Gesellschaft existieren aber eine Frustration und das Gefühl, dass unterm Strich immer weniger übrig bleibt und Deutschland absteigt.

Bei der Mittelschicht entspricht die gefühlte Lage auch dem tatsächlichen Bild: Schließlich haben Sozialstaatsversprechen der Politik und die Corona-Kosten das Gros der Finanzierung der Staatsausgaben bei ihr abgeladen: staatliche Ungerechtigkeiten und Eingriffe von Energiesteuern über Mietpreisbremse bis Dauerbürokratie. Es droht das „Ende der Mittelschicht“ (Daniel Goffart), wenn nicht mehr alle an der Wohlstandsgemeinschaft Deutschland beteiligt sind.

Mittlerweile arbeitet jeder Vierte im Niedriglohnsektor; im Osten sogar fast ein Drittel. Es macht sich eben der Fleiß und die Anstrengung nicht bemerkbar, wenn fast 4 Millionen Menschen vollwertig lohnabhängig beschäftigt sind und trotzdem Sozialleistung in Anspruch nehmen müssen – vom Verkäufer über den LKW-Fahrer bis zum Pfleger.

Deutschland und seine Bürger brauchen wieder den Glauben an den gemeinsamen Erfolg. Für die CDU geht es um eine Aufstiegserzählung, indem der große Teil der Deutschen wieder gemeinsam nach oben fährt und vom wirtschaftlichen und ideelen Wachstum profitiert. Klick um zu Tweeten

In dieser Diskussion um die Gesellschaft des Aufstiegs liegen alle politischen Zukunftsfelder, gesellschaftliche Konfliktlinien und Gerechtigkeitsdiskussion offen zu tage:

  • wie kann eine neue Bildungsinitiative aussehen, die Chancen für Wissen und Qualifizierung in der Digitalisierung bieten,
  • welche Politik stärkt die Familien und die Kinder wirklich und macht sie nicht nur zum Spielball wirtschaftlicher Notwendigkeiten,
  • wie beleben wir die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft und der bürgerlichen Wettbewerbsgesellschaft gegen den linken wie rechten Staatsinterventionismus,
  • welche Rentenversprechen können wir in einer wandelnden Arbeitswelt abgeben?
  • wie kann Deutschland seine kleine Dörfer und Städte als Zukunftsmagneten entwickeln,
  • wo soll der Strompreis in zehn Jahren stehen mit einer engagierten Klimapolitik stehen und was bedeutet das für den Industriestandort Deutschland oder die Mittelschicht-Familie,
  • welche Migration wollen wir und wo sehen wir integrative Grenzen,
  • wie sieht Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt aus,

Die CDU muss aus ihren Grundüberzeugungen des christlichen Menschenbildes moderne, wertegebundene Antworten formulieren. In einer solchen Diskussion führt die „alte Gesässgeografieführt in die Irre. Denn was, bitte schön, ist an vernünftiger Sozialpolitik links, was am klassischen Familienbild rechts? Aber es geht um den Mut zur Auseinandersetzung.

 

3. Mut zur Auseinandersetzung

Gesellschaftlich ist etwas ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennenlernt. Corona hat die Emotionen weiter hochkochen lassen. Politik wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz. Will die Volkspartei CDU für ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft eine Mehrheit gewinnen, darf sie sich bei den Diskussionen nicht wegducken. Andreas Rödder beschreibt zu recht über die CDU: Eine intellektuell satisfaktionsfähige Partei kann unterschiedliche Positionen vertreten, die man mal für eher links und mal für eher rechts halten würde, aber sie darf nicht permanent nur im Kielwasser des Mainstreams fahren.

Eine Ampel aus SPD, Grüne und FDP bedeutet eine Großstadt-Koalition. Das wird die politisch-kulturelle Spaltung im Land nur vergrößern. Die Volkspartei CDU sollte sich nicht an einer falschen politischen Korrektheit beteiligen, mit der objektive Probleme verleugnet oder verschwiegen werden. Kurt Tucholsky beschrieb dies einmal so: „Der deutsche Krach unterscheidet sich von allen anderen Krachs der Welt dadurch, dass er sich niemals mit dem Einzelfall begnügt. Es wird immer gleich alles Prinzipielle miterledigt.“

Die Union sollte den Krach suchen und erklären, für welche offene Gesellschaft sie steht. Daher geht es in der Debatte nicht um Lackierarbeiten am Partei-Image, sondern um einen Kampf um die Stimmung im Land, um eine inhaltliche Schärfung und das Besetzen von Begriffe wie Respekt, Leistung, soziale Marktwirtschaft, Gerechtigkeit, Subsidarität.

Über solche Diskussionen gewinnt man auch die Deutung in ganz Deutschland. Mancher Ostdeutsche empfindet sich heute als „deutscher“ als die meisten Westdeutschen. Daraus erwächst ein Aufbegehren und eine Verteidigung der Heimat, der noch durch die Empfindung eines komplett westdeutschen Diskurses in den Medien und der Öffentlichkeit empfunden wird. Insofern überrascht es nicht, wenn ein Teil der Ostdeutschen längst abgestreifte DDR-Erfahrungen des nicht öffentlich sondern nur privat Sagbarem im Mantel von linksliberalen, westdeutschen Sprachkonventionen wiederentdecken.

Der CDU gelingt das Comeback, wenn sie sich anhaltenden Auseinandersetzung, die in der ganzen Gesellschaft geführt werden, offen und ehrlich stellt, geistige Meinungsführerschaft sucht und den Weg in eine Aufstiegsgesellschaft beschreibt. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß.

Ist die CDU gewillt, mit Debatten und einem neuen Grundsatzprogramm diese Aufgabe anzugehen, wird sie zur starken Mitte und führenden Partei, die das intellektuelle und moralische Rückgrat unserer pluralistischen Demokratie bildet.

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