Was machen Facebook, Post und die Wahlkämpfer mit unseren Daten? Sind wir der gläserne Wähler? Die Debatte um Big Data und Wahlkampf erreichte in der letzten Woche eine neue Erregungsspirale. Trotz aller Aufregung für Deutschland gilt: Wir haben den sichersten Datenschutz der Welt, wenn es um die Nutzung von Daten im Wahlkampf geht. Worin unterscheidet sich das Herangehen in Deutschland und den USA?

1. USA, das Land der Mikrodaten

Die Sorge geht um, dass deutsche Parteien in ähnlicher Art und Weise auf individuelle Daten der Wähler zurückgreifen können wie Donald Trump oder Hillary Clinton. Keep calm. Es gibt einen prinzipiellen Unterschied: die USA ist das Land der Mikrodaten und Deutschland, das Land der Makrodaten. Was heißt das?

In den USA verstehen sich die nationalen Parteien als Datenzentren, deren Informationen sich aus unterschiedlichen Datenquellen speist.Bis zu 4.000 Einzelinformationen über den einzelnen Wähler und das von rund 200 Millionen registrierten Wählern in den USA sind in deren Datenbanken verfügbar. Das sind Daten aus öffentlichen Datenbanken (bspw. des State Motor Vehicle Department), Zensusinformationen, eigenen politischen Veranstaltungen oder durch das „Merging“ (Mischen) gewonnene Daten mit Angaben von sog. Third-Party-Groups (bspw. National Rifle Association, Listen von früheren Kampagnenspendern). Dazu kombinieren amerikanische Parteien Informationen von kommerziellen Datenanbietern, die einzelne Kaufmuster, Mitgliedschaften und Abonnements dokumentierten. Besonders wertvoll sind die Interaktionsdaten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Beteiligung als Freiwillige oder Themen, die beim Haustür-Canvassing angesprochen wurden. Die republikanische Partei ergänzte oder updatete über 1,2 Milliarden Wählerinformationen zwischen 2012–2016.

In dem ganzen Datendschungel sind aber zwei Informationen besonders wertvoll: die Parteiaffinität und wahrscheinliche Wahlteilnahme. Auch diese beiden Daten sind käuflich zu erwerben (zumindestens in 32 von 50 Bundesstaaten). Wenn also bekannt ist, mit welcher politischen Richtung man sympathisiert und bei welchen Wahlen man in der Vergangenheit teilgenommen hat, sind das schon ziemlich genaue Anknüpfungspunkte.

Mit prädiktiven Analysen versuchen die Parteien das Wahlverhalten des einzelnen Wählers vorherzusagen, indem sie die Unterstützung für einen republikanischen oder demokratischen Kandidaten, seine Wahlwahrscheinlichkeit und sein Interesse an Themen oder lokalen Initiativen korrelierten. Kombiniert man das mit wesentlichen Informationen aus dem Datenuniversum entsteht ein mustergültiges Wählerprofil. Doch auch für die USA ist es zu kostenintensiv jeden Wähler individuell und genau profiliert anzusprechen. Daher versuchen sie Bürger mit ähnlichen Mustern zu finden. So entstehen dann die berühmten „Soccer Mom Democrats“ oder „Yoga Republicans“. Im Wahlkampf 2016 über 1.800 solcher Wähler-Cluster.  

2. Deutschland, das Land der Makrodaten

Deutsche Parteien sind meilenweit von solchen Datenmodellen entfernt. Und sie werden auch nie dorthin kommen. Drei wesentliche Faktoren sind entscheidend.

  • Parteien dürfen nur eingeschränkt Wählerdaten kaufen

Zwar dürfen für Senioren oder Erstwähler für die Wahlen von den Einwohnermeldeämter Daten erworben werden. Diese sagen aber lediglich „Max Mustermann, Musterstadt“ aus. Unprofilierte Daten ohne jegliche zusätzliche Information. Parteien agieren sehr reserviert damit. Der Kostenaufwand und auch die Ansprache stehen für viele in keinem Verhältnis. Das hat auch mit dem zweiten Faktor zu tun:

  • Parteien dürfen diese Daten nicht behalten oder weiter anreichern

Unmittelbar nach der Wahl müssen die Parteien die erworbenen Wählerdaten wieder vernichten. Während die amerikanischen Parteien seit 1990 kontinuierlich ihre Datenbanken erweitern und die Wählerdaten anreichern, gehen deutsche Parteien nach jeder Wahl immer wieder über Los. Davon ausgeschlossen sind Daten, wo die jeweiligen Bürger ihre doppelte Zustimmung (double opt-in) zur Verwendung gegeben haben. Das macht in Deutschland ein verschwindend geringer Anteil.

  • Schließlich ist das Targeting in Deutschland mit Daten von entsprechenden Anbietern hochgradig unscharf:

Datenschutzrechtlich dürfen die Informationen über die Wähler nur auf der Größe einer sogenannten Mikrozelle erfolgen. Es geht nicht um die einzelne Person oder den einzelnen Haushalt. Vielmehr besteht eine Mikrozelle aus im Schnitt 6,6 Haushalten. Wer sich für einen Moment mal überlegt, welche Personen in den sechs Haushalten in seinem unmittelbaren Umfeld leben, kann sich das Targeting vorstellen.

Die Datenanbieter in Deutschland geben keine personenbezogenen Daten, sondern statistische Wahrscheinlichkeitswerte wider. Zudem vermieten sie die Daten und verkaufen diese nicht.

Das heißt nicht, dass nicht auch in Deutschland Parteien versuchen, Wähler zu erfassen. Aber ihr Herangehen besteht aus historisch-geographischen Wahlanalysen und aus groben sozio-demographischen Einschätzungen („Frauen über 60 Jahre in katholischen Gegenden wählen mit einer Wahrscheinlichkeit von x Prozent CDU“).  Sie setzen auf klassische Zielgruppenana­lysen anhand von Sinus-Milieus, das heißt Typisierung der Menschen nach sozialer Lage und Grundorientierung kombiniert mit erweiterten Wählerpotenzialen.

In a nutshell: Während in den USA vom einzelnen Wähler ausgehend ähnliche Personen geclustert und angesprochen werden, kommt man in Deutschland aus der 10.000 Meter-Perspektive und versucht durch Annährungsverfahren geographische und soziodemographische Schwerpunkte zu erfassen. Aber Lieschen Müller bleibt den Parteien verborgen. Außer wenn man engagierte Ortsvorsitzende hat, die jeden Wähler im Dorf oder der Stadt einzuschätzen wissen. Aber ob das genauer ist?

Aber Facebook und Wahlkampf?

Die Berichte aus dem Guardian und der New York Times sind eine andere Baustelle und hier gilt es auch in Deutschland wachsam zu sein. Die Methodiken von Cambridge Analytica (CA) im Umgang mit Nutzerprofilen und personalisierten Anzeigen, habe ich an anderer Stelle beschrieben. Generell gilt, man sollte aufpassen, nicht dem Marketing von Cambridge Analytica aufzusitzen. Wer behauptet, man könne mit dem Wissen von nur zehn Likes demokratische Wahlen gewinnen, macht nur eines: Er wirbt für das Geschäftsmodell von Facebook und deren laxen Umgang mit Daten. Und die meisten deutschen Parteien waren sehr transparent über ihr Targeting und Werbung auf Facebook. Außer der AfD.

Während des Bundestagswahlkampfes lag der Fokus der AfD klar auf Facebook. Das soziale Netzwerk ist die Tagesschau der AfD. Sie erreichte dort mit einer hohen Häufigkeit der Beiträge, einem (bewegt-) bildhaftem Auftritt und engagierten Fans eine große Reichweite, die fast der Hälfte aller Parteien im Wahlkampf entsprach.

Die AfD griff offensichtlich als einzige Partei auf Microtargeting zurück. Die AfD kreierte aus den 300.000 Fans bei Facebook ein Modell und eine sogenannte „lookalike audiences“, um ähnliche Nutzer gezielt ansprechen zu können. So identifizierten sie sieben Zielgruppen, bspw. Mütter (2,6 Millionen), Unternehmer (1,1 Millionen) und Arbeiter, vor allem Gewerkschafter (6,4 Millionen). Diese bespielten sie gezielt mit bezahlter Werbung besonders von der Anti-Merkel-Webseite „Die Eidbrecherin“ (Silver 2017). Die Webseite war mit einem Facebook-Cookie versehen und so konnten die Besucher gezielt getrackt werden. Die AfD war die einzige Partei, die auf solche datenschutzrechtlich bedenklichen Methoden zurückgriff. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie damit besonders im Engagement punktete.

Genau deswegen stellen sich Fragen nach dem Code of Conduct im Digital Campaigning. Wir brauchen hier mehr Transparenz von Facebook und eine klare Absprache der Parteien und Kampagnen.

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