Es herrscht große Unsicherheit darüber, was der Weg aus der Krise ist. Es sind schwierige politische Entscheidungen, die kein Virologe oder Unternehmer abnehmen kann. Durch das resolute Handeln in der ersten Phase geht die Zahl der neu laborbestätigten positiv auf Corona getestete Personen zurück, Reproduktionszahl liegt in Deutschland aktuell bei weniger als 1 und die Zahl der Genesenen steigt stetig an. Sollte die Quarantäne fortgesetzt werden? Wenn ja, wie lange? Sollte es eine pauschale Quarantäne für alle Regionen und Altersgruppen sein? Welche Systeme müssen vorhanden sein, um sicher neu zu starten? Sollten alle Wirtschaftssektoren gleich behandelt werden?
 
Also im Kern: Heben wir den Stillstand des öffentlichen Lebens nach den Osterferien auf – mit dem Risiko, dass die Infektionszahlen wieder hochschnellen? Oder verlängern wir den Shutdown und nehmen in Kauf, dass die Wirtschaft weiter in die Knie geht und Arbeitsplätze wegfallen?
 
Die Corona-Krise verändert die Welt. Noch vor wenigen Wochen lebten wir unser gewohnt geschäftiges Leben. Jetzt sind Dinge, die normal und selbstverständlich erscheinen – ein Abend mit Freunden, der Schulbesuch der Kinder oder der Weg zur Arbeit – nicht mehr möglich. Es besteht Unsicherheit über morgen; über die Gesundheit und Sicherheit unserer Familien, Freunde und Angehörigen; und über unsere Fähigkeit, das Leben zu leben, das wir lieben. Gleichzeitig wächst der Wunsch nach Normalisierung.  
 
Die geplanten Lockerungen dienen dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und ermöglichen wieder mehr wirtschaftliche Entwicklung. Gesundheit und Leben der Menschen stehen dabei an erster Stelle. Versucht man die Summe als den inzwischen zahlreichen, wissenschaftlich wohlbegründeten, jedoch keineswegs übereinstimmenden Empfehlungen zu ziehen, so spricht vieles für einen behutsamen, schrittweisen Neustart mit klaren Maßnahmen und Regeln. 
 
Unsere soziale und wirtschaftliche Erholung wird davon abhängen, wie es gelingt in den nächsten Monaten die wichtigsten Aufgaben anzugehen: Bekämpfung des Virus, Rettung des Lebensunterhalts unserer Bürger und Wiederherstellung des öffentlichen Lebens. 
 

1. Gesundheit der Bevölkerung und Bekämpfung des Virus 

 
Wenn das öffentliche Leben wieder sorgsam geöffnet wird, ist mit einem Anstieg der Übertragung zu rechnen. Glücklicherweise verfügt Deutschland über ein Gesundheitssystem, das stark genug ist, um Fälle zu erkennen, darauf zu reagieren und neue Fälle zu verhindern. Unser Ziel muss sein, dieses Risiko zu minimieren und mögliche Konsequenzen beherrschbar zu halten. Folgende Punkte können dazu beitragen:
 
  • ausreichende medizinische Kapazität, insbesondere auf Intensivstationen, einschließlich ausgebildeter Ärzte, Pfleger und Betten,
  • ausreichend Schutzkleidung für Ärzte und Pfleger muss vorhanden sein,
  • eine Schnelltestinitiative für COVID-19, um infizierte und immune Menschen so gut wie möglich zu identifizieren,
  • technologische Wege zur effektiven Identifizierung und Isolierung von Fällen, einschließlich digitaler Tools für den Echtzeitaustausch kritischer Daten,
  • Aufklärung der Öffentlichkeit durch die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse,
 
Verschleppte Arztbesuche, Operationen und Krankheiten werden das konventionelles System fordern. Deswegen brauchen wir in diesem Jahr eine eigene Säule der Gesundheitsinfrastruktur: Coronaeinrichtungen, die Schwerpunktzentren für die Behandlung sind und das konventionelle System stärken. 
 
Die Gesundheitskrise ist noch nicht gebannt. Es wird eine zweite und dritte Welle geben. Der Herbst und Winter werden die Herausforderungen verschärfen und erneute Probleme mit sich bringen. Ohne einen Impfstoff oder eine wirksame prophylaktische Behandlung ist eine rasche Rückkehr zu einer zunehmenden Ausbreitung des Virus eine echte Bedrohung. Daher bedeuten die Sommermonaten wertvolle Zeit, um die Testkapazitäten und die Strukturierung des Gesundheitssystems aufzubauen.
 

2. Sicherung des Lebensunterhalts und der wirtschaftlichen Kraft

 
Ein funktionierendes Gesundheitssystem baut auf einem funktionierenden wirtschaftlichen. Vom wirtschaftlichen Weltmarktführer bis zum Friseur um die Ecken stehen Unternehmen vor der Herausforderung ihres Lebens. Mittelständler und Handwerker kämpfen um ihre Existenz, Arbeiter und Angestellten bangen um ihren Job. Ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um zehn Prozent und eine Arbeitslosenquote von knapp sechs Prozent bei noch einmal mehr als zwei Millionen Kurzarbeitern liegen im Bereich des Möglichen. Mit allen schwerwiegenden Auswirkungen auf das gesellschaftlich leben. Diese Rezession hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt, bei den Selbstständigen und im Staatshaushalt. Den wirtschaftlichen Schock gilt es so weit zu verkürzen, wie es aus gesundheitlichen Gründen vertretbar ist.
 
Momentan leben wir davon, dass einige strategische Sektoren auch bei Quarantäne vollständig arbeiten – Gesundheitswesen, öffentliche Sicherheit, Lebensmittel, Medizin, Energie, Wasser, Gas und Kommunikation. Deutschland steht in vielerlei Hinsicht noch vergleichsweise gut da, doch mit jedem Tag steigt die Gefahr von irreparablen Schäden. Deswegen braucht es einen differenzierten Ansatz, der zwischen Sektoren und Regionen unterscheidet. 
 
Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr müssten zuerst geöffnet werden und dann schrittweise weitere Bereiche folgen. Hochautomatisierte Fabriken, verarbeitenden Gewerbe und der Einzelhandel könnten zuerst starten, wenn sie dafür sorgen können, dass ihre Mitarbeiter und Kunden ausreichend Abstand halten. Damit die Angst nicht mitgeht in die Werkhalle, auf die Baustelle, den Laden oder in das Büro brauchen wir eine Schnelltestinitiative, die für möglichst viele möglichst schnell Sicherheit schafft
 
Auch eine Differenzierung nach Regionen scheint sinnvoll. Überall dort, wo der Infektionszeitraum stabil ist und wir bei 12 oder mehr Tagen liegen, kann man behutsam öffnen. Es spricht vieles dafür im ländlichen Raum eher zu öffnen, da das soziale Gefüge und die Bekanntheit in den Dörfern überschaubarer ist. 
 
Moderne Datenanalysen und Dashboards können dabei helfen, das Ausmaß der Infektionsbedrohung für gefährdete Bevölkerungsgruppen und -gebiete (Hotspots) zu verfolgen und vorherzusagen. Wichtig ist, dass wir auch in der Wirtschaft den Weg zur Öffnung mit klaren Maßgaben begleiten, um die Gesundheit der Arbeitnehmer und des Restes der Gemeinschaft zu gewährleisten. So sind Gesundheits- und Verhaltensregeln zu stärken, um das Potenzial für eine weitere Übertragung zu verringern und das Wiederauftreten neuer Fälle zu verhindern: Home-Office, hygiene- und gesundheitsorientierte Richtlinien, häufige Überwachung der Temperaturen der Menschen zur Früherkennung neuer Fälle, Meldung relevanter Informationen an die Gesundheitsbehörden und Durchsetzungsmaßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung.
 
Es geht um eine nationale Kraftanstrengung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft, um die wirtschaftlichen Verwerfungen abzufangen.
Wir sollten diese Krise dafür nutzen, den Ballast an Bürokratie, Ideologie und Kleingeistigkeit abzuwerfen. Klick um zu Tweeten Zum Beispiel durch die vorübergehende Aussetzung belastender bürokratischen Regeln.
 
  • schnelle Bewilligung der Soforthilfen für Unternehmen bis zu 50 Mitarbeitern, 
  • Auffangprogramm für Start-ups und Azubis,
  • Sofortunterstützung und langfristigen Bürgschaften für Unter-nehmen zwischen 50 und 250 Mitarbeitern, in denen rund ein Fünftel der Thüringer Arbeitnehmer beschäftigt ist,
  • Sicherungsinitiative für Hotels und Gaststätten, sowie die Öffnung des Außenbetriebs von Gaststätten mit klaren Abstandsregeln,
  • zeitweise Vereinfachung des Vergabegesetzes, um durch zügige Auftragsvergabe der öffentlichen Hand Handwerk und Mittelstand zu stützen,
  • Sofortprogramm E-Government Thüringen, in dem alle krisenrelevanten Anträge digitalisiert, per E-Akte aufbereitet und in Datenbanken angelegt sind,
  • zügige Digitalisierung der Aufbaubank zur besseren Antragsverarbeitung,
  • Verluste des laufenden Jahres in der Steuererklärung für 2019 anrechenbar machen und so für Liquidität bei den Unternehmen sorgen. 
 

3. Das öffentliche Leben ermöglichen

 
Das öffentliche Leben muss Schritt für Schritt wieder normalisiert werden. Immer nach dem Grundsatz: So viel Freiheiten wie möglich und so viel bleibende Einschränkungen wie zur Vermeidung eines neuerlichen sprunghaften Anstiegs der Infektionszahlen erforderlich. Jeder Schritt muss in der Regierung und im Thüringer Landtag behutsam abgewogen werden.
 
 
Für die „Normalisierung“ des öffentlichen Lebens wird es zu einer gewissen Ungleichzeitigkeit kommen müssen. Die Sensibilität der Bevölkerung für besondere Hygienemaßnahmen ist auf ein hohes Niveau gestiegen. Wenn es mit Augenmaß geschieht, ist es vertretbar, Kontaktauflagen für Risikogruppen und ältere Menschen etwas später aufzuheben. Für weniger gefährdete Gruppen könnten die Einschränkungen entsprechend früher aufgehoben werden. 
 
Mit dem verminderten Risiko geht die Möglichkeit einher zu einer breiteren Immunisierung beizutragen. Schulen und Kindergärten sollten stufenweise bis Anfang Mai wieder geöffnet werden. Besonders die Prüfungsjahrgänge und die Grundschulen sollten frühzeitig beginnen. Dazu braucht es eine Entlastung für Familien in der Krisenzeit – über ein Elterngeld und Anrechnung der Arbeitszeitreduzierung.  
 
Kritische Rückfragen hat es zu der Tatsache gegeben, dass Bundesländer und Landkreise teils unterschiedliche Regeln erlassen haben. Eine bessere Koordination wäre wünschenswert. Doch sollten die Vorzüge landesspezifischer Regeln und vereinzelter kommunaler Abweichungen nicht unterschätzt werden. Für einen Ballungsraum mit Zehntausenden Pendlern sind andere Regeln nötig und möglich als für den ländlichen Raum. 
 
Die Einschränkung der Grundrechte im medizinischen Krisenfall war wichtig und fand in großer Gemeinsamkeit statt. Doch nun müssen die Parlamente einbezogen werden, bis auf die kommunale Ebene. Entsprechende Änderungen der Kommunalordnung für den Pandemiefall sind dringend erforderlich.
 
Die Funktionsfähigkeit der vielen Gemeinden und die demokratische Meinungsbildung sind entscheidend, da eine wesentliche Einnahmequelle in Form von Gewerbesteuern massiv einbrechen wird. Das hat Auswirkungen auf das Leben im Dorf oder der Stadt. Es braucht einen Rettungsschirm für die Kommunen und die Reform des kommunalen Finanzausgleichs muss sofort angegangen werden, der die strukturelle Unterfinanzierung der Haushalte der nächsten Jahre auffängt. Klick um zu Tweeten
 
Der Maßstab für die Politik muss lauten: das Land zusammenhalten und nah an den Sorgen der Bürger sein. Das ist als Politikansatz auch dann noch gefragt, wenn die unmittelbare Bedrohung gebannt ist und es ans Aufräumen geht. Die allenthalben geschnürten Hilfspakete zeigen, wir bleiben in einer Gesamthaftung: für die Menschen, deren Arbeitsplatz gefährdet sind, für die Wirtschaft als Voraussetzung unseres Wohlstandes, für die Kommunen, in denen die Bürger leben, für den großen sozialen und kulturellen Bereich, der vielfach vom Ehrenamt getragen wird. Für die enormen Kosten, die all dies verursacht.
 
Die Corona-Krise ordnet zugleich die Dinge neu. Es ist eine Notsituation, die uns zwingt, in vielen Bereichen neu nachzudenken, und neu zu organisieren. Das gilt für das Private, wenn die Schulbank ins Wohnzimmer rückt, während die Eltern in Arbeitszimmer und Küche im Home-Office arbeiten. Das gilt für die Wirtschaft, die in vielen Branchen gerade neu überlegen muss, wie sie Produktion und Vertrieb den neuen Gegebenheiten anpassen kann. Und das gilt für die Politik. Probleme, die noch gestern wichtig, echte Aufreger waren oder schienen, sind über Nacht in den Hintergrund getreten. Weil die konkreten Probleme der Bürger im Mittelpunkt stehen und nicht ideologische Nischenthemen. Das ist gut so. Es braucht einen klugen, schrittweisen Neustart mit differenzierten und klaren Regeln. 

 

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