Wer den Lippenbekenntnissen der Bundes-SPD und Grünen glaubt, könnte nach der Bundestagswahl 2017 in einer linken Republik aufwachen. Dafür sprechen zuviele Parallelen. Als im Dezember 2014 die SPD und Grüne den ersten Ministerpräsidenten der Linken in den Sattel hoben, konnte keine der drei Parteien einen Wählerauftrag dafür beanspruchen. Die Linkspartei legte marginal zu, verlor zugleich aber mehrere Direktmandate. Die Grünen büßten an Zustimmung ein und die SPD erhielt ein katastrophales Ergebnis, das man eben erhält, wenn kein Wähler weiß, was mit seiner Stimme geschieht. Doch ist dies nur eine Thüringer Angelegenheit oder lassen sich bundespolitische Lehren daraus ziehen?

  1. Die strategischen Motive

Vor der Wahl von Bodo Ramelow lag ein großer Fokus auf dem kleinen Land in der Mitte Deutschlands. Viele hinterfragten, warum sich die SPD und die Grünen mit den Linken verbrüderten statt in eine gemeinsame Koalition mit der CDU zu treten. Nun war dies 2014 keine ganz neue Angelegenheit. Schon 2009 hatten die drei Parteien miteinander geflirtet, aber sich am Ende gegen eine solche Ehe entschieden. 2014 war die Zeit dann reif: Die SPD tat dies vorallem aus Frust, in einer Koalition mit der CDU zwar viele ihre Ziele durchgesetzt, aber trotzdem nicht Gewinner einer solchen Koalition geworden zu sein. Zudem verflüchtigte sich die Mehrheit einer SPD der Mitte hin zu einer linken SPD, die bewußt oder unbewußt, die Linke als zweite sozialdemokratische ergo koalitionsfähige Partei anerkannte. Die Grünen wandten sich einer linken Koalition aus dem irrigen Glauben zu, über ein bürgerliches Profil Gewinner einer solchen Koalition werden zu können. Kommt einem das für die Bundestagswahl 2017 bekannt vor?

  1. Der linke Anspruch

Für die Linke geht es um mehr. Natürlich will sie zeigen, schaut her: wir stellen einen Ministerpräsidenten; wir sind eine ganz normale Partei. Aber solche machtstrategische Fragen unterschätzen den transformatorisch-revolutionären Anspruch der Partei:

„Wir setzen auf eine allmähliche Transformation, auf eine schrittweise Veränderung der Gesellschaft, wenn sie so wollen: Das Revolutionäre wird man erst in der Rückschau erkennen“, formulierte der Vordenker der Linken und Chef der Staatskanzlei, Prof. Benjamin-Immanuel Hoff Ende März 2015.

Der Leitstern des Regierungshandeln Ramelows ist der „hegemoniale Block“ (Antonio Gramsci) bestehend aus SPD+Grüne+Linke, welcher Staat und Gesellschaft formt. Zum Wesenskern der LINKEN gehören noch immer tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. Das unterscheidet die LINKE mit ihren kommunistischen Wurzeln übrigens deutlich von der SPD oder den Grünen – von der CDU sowieso, die den Einzelnen durch Bildung, soziale Förderung und gesicherte Rechte ermöglichen will, an den Früchten einer freien Gesellschaft und Wirtschaft Anteil zu haben.

  1. Nach Außen: Bodo, wer? Profilierung und linke Bündnisfähigkeit beweisen

In den ersten Wochen musste sich Bodo Ramelow fühlen wie das Schmuddelkind auf einem neuen Schulhof. Es stand allein in der Ecke und die anderen Kinder rissen Witze. Selbst die SPD im Bund hielt mehr als Tanzabstand und erlaubte den ersten Regierungschef von RRG nicht in Vorabstimmungsrunden zum Bundesrat von SPD und Grüne. Thüringen isoliert. Die Teilnahme musste sich erst verdient werden.

Mehr als ein Jahr später: ob durch Angriffe auf Horst Seehofer, Schlichter im Bahnstreik, in Soli-Allianz mit den anderen Ost-Ministerpräsidenten oder als omnipräsenter Flüchtlingshelfer – Ramelow profiliert sich und seine Regierung als „reinen“ sozialdemokratischen Politikentwurf und findet Platz in den Koordinations-Runden der SPD- und der Grünen-Regierungen. Dadurch werden auch diejenigen auf der Linken Teil des vereinten Deutschlands, die das nie wollten oder die den Prozess nie wollten (L.Bisky). Und gleichzeitig wird das Koordinatensystem der SPD und Grünen stärker links verortet. So regiert in Thüringen in Wahrheit eine Vier-Parteien-Koalition: Linke+SPD+Grüne+Bodo Ramelow.

Doch trotz des bundespolitischen Profilierungskurses bleibt Ramelow ein Ministerpräsident von Stasis Gnaden. Die hauchdünne Einstimmenmehrheit mit zwei ehemaligen IMs in der Fraktion beschert ihm Themen, welche die neue Regierung in die bundespolitische Isolation führen: die Ankündigung alle V-Leute abzuschaffen oder der Winterabschiebestopp.

Die Abschaffung der V-Leute bezeichneten Innenminister anderer Bundesländer als „gefährlichen Alleingang“ und führten aus, dass in bestimmten Fällen der Staat ohne den Einsatz menschlicher Quellen unmöglichen feststellen könne, welche Gefahren drohten. Dem entgegnete der stv. Linke-Vorsitzende in Thüringen, Dittes, trocken, die Erfahrung zeige vielmehr, das V-Leute-System erhöhe die Sicherheit nicht, sondern gefährde die Demokratie. Das die Strukturen des Thüringer Verfassungsschutzes neu überdacht werden müssen ist eine, durch den NSU-Skandal provozierte, durchaus berechtigte Frage. Wenn die Lösung jedoch in der Abschaffung besteht, also in der Ausgliederung und Isolierung hinsichtlich der bundesweiten Informationsbeschaffung und Verbrechensbekämpfung, dann wirft das die Frage nach einem ‚warum‘ auf.

Darin wird das Grenzgängerische, der transformatisch-revolutionäre Charakter sichtbar. In Sicht der Linken muss der Staat als Instrument für die Formung der Gesellschaft verändert werden, wenn er ggf. im Weg steht. Da für die Linken der Extremismus aus der Mitte kommt, nötigt die fehlende eigene Distanz zum extremistischen Lager am linken Rand – besonders – dem kommunistischen Block, ihnen so Änderungen in der Sicherheitsarchitektur des Staates ab.

Nicht ohne Grund ist Ramelow der erste Türöffner für die Debatte um RRG im Bund.

  1. Nach Innen: auf leisen Sohlen das Land verändern?!

Bis 2014 galt, Thüringen ist ein erfolgreiches Bundesland. Die höchste Beschäftigungsquote Deutschlands, das Bundesland mit der höchsten Aufklärungsquote in der inneren Sicherheit und die Thüringer Schüler belegen bei allen Tests Spitzenplätze. Warum also etwas ändern?

Ein vielfach intoniertes Mantra der neuen Regierung: wir wollen nicht alles anders aber vieles besser machen. Die ersten Monate schienen das zu bestätigen. Kleine sichtbare Prestigeprojekte festigten den neuen gemeinsamen Bund.

Als erstes schufen RRG das Landeserziehungsgeld ab, dem Vorläufer des Bundeserziehungsgeldes. Der Wahlfreiheit der Eltern stellte RRG die vollkommene staatliche Betreuung in öffentlichen Einrichtungen gegenüber: Man wolle damit den Einstieg in den kostenfreien Kindergarten bezahlen. Wohlgemerkt in Thüringen gehen 97 Prozent der Kinder im Vorschuljahr in den Kindergarten.

Auch das erste Gesetz amtete den Geist der Bevormundung und der Wirtschaftsfeindlichkeit. Mit einem Vorschlag zum staatlich verordneten Bildungsurlaub für Arbeitnehmer zur gesellschaftlichen Weiterbildung überzog RRG alle Thüringer Unternehmen mit mehr als 5 Mitarbeitern. Deren Arbeitnehmer sollen bis zu 5 Tage im Jahr an Seminaren zur gesellschaftlichen oder kulturellen Bildung teilnehmen; die berufliche Weiterbildung ist ausgeschlossen. Das Gesetz dient schlicht als ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für gewerkschaftsnahe Fortbildungseinrichtungen.

Der minimalinvasive Politikansatz von Rot-Rot-Grün bescherte ihnen im Sommer stabile Umfragewerte und normale Zustimmungswerte. Doch regiert wird nicht nur auf dem Sonnendeck und so zeigt sich allmählich das wahre Gesicht, welches Staat und Gesellschaft verändern soll. Es wird die Axt an eingeübte Institutionen des Landes gelegt: Gebietsreform, Finanzen, Kultur und Heimat. 

Mit einer deutlich zentralistisch geprägten Gebietsreform von Kreisen und Gemeinden sollen bürgernahe Strukturen zerschlagen und anonyme Großkreise entstehen. Dem Bürgerlichen soll im Land der Dichter und Denker durch eine Strukturreform die jahrhundertealte Theater- und Operntradition entzogen werden. Auch in der Finanzpolitik bewahrheitet sich, dass linke Regierungen lieber verteilen und nicht über das erwirtschaften nachdenken. Sie schlachten das Sparschwein der Landesfinanzen und streiten öffentlich über die Gültigkeit der Schuldenbremse. Der Doppelhaushalt bläht das Volumen um 1 Mrd. Euro im Vergleich zum letzten Haushalt der CDU-Regierung auf, die Schuldentilgung wird ausgesetzt und die Rücklage aufgelöst. Es wundert nicht, dass das Wirtschaftswachstum in Thüringen mittlerweile in den Keller gerutscht ist. Gravierende Managementfehler bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme tun ihr übriges.

Mittlerweile kursiert als Mantra der neuen Regierung: wir wollen vieles anders aber nichts besser machen.

  1. Lektionen für den Bund 2017

Mit ihrer Entscheidung, einen Ministerpräsidenten der LINKEN in den Sattel zu heben, haben die SPD und die Grünen mehr als einen taktischen Schwenk vollzogen. Sie ordnen sich einem grundsätzlich anderen Politikansatz unter. Die LINKE versteht sich als Anker in einem Dreierbündnis und bestimmt damit auch den Radius, in dem sich das Schiff der Regierungspolitik in den Strömen der Zeit zukünftig bewegen soll. Thüringen soll nicht mehr aus der politischen Mitte heraus, sondern vom linken Rand her regiert werden. Es geht um einen fundamentalen Wandel mit Ansage.

SPD-Landesvorsitzender Bausewein sieht die Positionierung der SPD in der linken politischen Mitte an der Seite der Linken und Thüringen als Trendsetter für das politische System Deutschlands. Thüringen dient den linken Parteien in Deutschland als Blaupause; als Denkschablone für eine mögliche andersartige Koalitionsoption im Bund. Bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in 2016 und bei den Wahlen im Saarland 2017 sollen solche RRG Träume Wirklichkeit werden. Wackeln die Umfragen in NRW für das Frühjahr 2017 weiter, werden in der schwindenden Volkspartei SPD die Diskussion um neue Regierungsmöglichkeiten und den Ausbruch aus dem 20-Prozentturm beginnen. Auch die Grünen sind in einer Art Schaukelstuhlpolitik zwischen linkem und bürgerlichem Lager gefangen. Bei ungewissen Umfragewerten von FDP und AfD, frohlocken die Linken als potentieller Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne.

Spätestens mit dem Parteitagsbeschluss der SPD im Herbst 2013 dürfte klar sein, wenn es rechnerisch möglich ist, werden SPD und Grüne 2017 mit der Linken sondieren. Dafür sprechen viele Parallelen aus Thüringen: Die SPD verhält sich im Bund wie eine Opposition in der Regierung. Die Grünen machen Lockerungsübungen für rot-rot-grüne Gespräche. Das öffnet die Grundsatzfrage für den Wahlkampf 2017: Gelingt es der CDU gut zu begründen, warum sie ein starkes Mandat für eine vierte Regierungszeit unter Führung von Angela Merkel verdient hat? Wie verändert die Anti-Establishment-Stimmung nach der Flüchtlingskrise das Wählerverhalten und wie steht es um die Mobilisierungsfähigkeiten der Parteien. Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben dafür erste Anzeichen gegeben. Und auch für die flexible Koaltionsarithmetik im deutschen Parteiengefüge.

Wie fragil ein erfolgreiches Land und wie schnell der Weg in eine linke Republik ist, kann man im Brennglas an Thüringen beobachten. Deutschland braucht ein weiteres solches Experiment nicht.

 

(so ähnlich erschienen in Bayernkurier 2015)

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