


Rot-Rot-Grün im Bund 2017? Lehren aus Thüringen
Wer den Lippenbekenntnissen der Bundes-SPD und Grünen glaubt, könnte nach der Bundestagswahl 2017 in einer linken Republik aufwachen. Dafür sprechen zuviele Parallelen. Als im Dezember 2014 die SPD und Grüne den ersten Ministerpräsidenten der Linken in den Sattel hoben, konnte keine der drei Parteien einen Wählerauftrag dafür beanspruchen. Die Linkspartei legte marginal zu, verlor zugleich aber mehrere Direktmandate. Die Grünen büßten an Zustimmung ein und die SPD erhielt ein katastrophales Ergebnis, das man eben erhält, wenn kein Wähler weiß, was mit seiner Stimme geschieht. Doch ist dies nur eine Thüringer Angelegenheit oder lassen sich bundespolitische Lehren daraus ziehen?
- Die strategischen Motive
Vor der Wahl von Bodo Ramelow lag ein großer Fokus auf dem kleinen Land in der Mitte Deutschlands. Viele hinterfragten, warum sich die SPD und die Grünen mit den Linken verbrüderten statt in eine gemeinsame Koalition mit der CDU zu treten. Nun war dies 2014 keine ganz neue Angelegenheit. Schon 2009 hatten die drei Parteien miteinander geflirtet, aber sich am Ende gegen eine solche Ehe entschieden. 2014 war die Zeit dann reif: Die SPD tat dies vorallem aus Frust, in einer Koalition mit der CDU zwar viele ihre Ziele durchgesetzt, aber trotzdem nicht Gewinner einer solchen Koalition geworden zu sein. Zudem verflüchtigte sich die Mehrheit einer SPD der Mitte hin zu einer linken SPD, die bewußt oder unbewußt, die Linke als zweite sozialdemokratische ergo koalitionsfähige Partei anerkannte. Die Grünen wandten sich einer linken Koalition aus dem irrigen Glauben zu, über ein bürgerliches Profil Gewinner einer solchen Koalition werden zu können. Kommt einem das für die Bundestagswahl 2017 bekannt vor?
- Der linke Anspruch
Für die Linke geht es um mehr. Natürlich will sie zeigen, schaut her: wir stellen einen Ministerpräsidenten; wir sind eine ganz normale Partei. Aber solche machtstrategische Fragen unterschätzen den transformatorisch-revolutionären Anspruch der Partei:
„Wir setzen auf eine allmähliche Transformation, auf eine schrittweise Veränderung der Gesellschaft, wenn sie so wollen: Das Revolutionäre wird man erst in der Rückschau erkennen“, formulierte der Vordenker der Linken und Chef der Staatskanzlei, Prof. Benjamin-Immanuel Hoff Ende März 2015.
Der Leitstern des Regierungshandeln Ramelows ist der „hegemoniale Block“ (Antonio Gramsci) bestehend aus SPD+Grüne+Linke, welcher Staat und Gesellschaft formt. Zum Wesenskern der LINKEN gehören noch immer tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. Das unterscheidet die LINKE mit ihren kommunistischen Wurzeln übrigens deutlich von der SPD oder den Grünen – von der CDU sowieso, die den Einzelnen durch Bildung, soziale Förderung und gesicherte Rechte ermöglichen will, an den Früchten einer freien Gesellschaft und Wirtschaft Anteil zu haben.
- Nach Außen: Bodo, wer? Profilierung und linke Bündnisfähigkeit beweisen
In den ersten Wochen musste sich Bodo Ramelow fühlen wie das Schmuddelkind auf einem neuen Schulhof. Es stand allein in der Ecke und die anderen Kinder rissen Witze. Selbst die SPD im Bund hielt mehr als Tanzabstand und erlaubte den ersten Regierungschef von RRG nicht in Vorabstimmungsrunden zum Bundesrat von SPD und Grüne. Thüringen isoliert. Die Teilnahme musste sich erst verdient werden.
Mehr als ein Jahr später: ob durch Angriffe auf Horst Seehofer, Schlichter im Bahnstreik, in Soli-Allianz mit den anderen Ost-Ministerpräsidenten oder als omnipräsenter Flüchtlingshelfer – Ramelow profiliert sich und seine Regierung als „reinen“ sozialdemokratischen Politikentwurf und findet Platz in den Koordinations-Runden der SPD- und der Grünen-Regierungen. Dadurch werden auch diejenigen auf der Linken Teil des vereinten Deutschlands, die das nie wollten oder die den Prozess nie wollten (L.Bisky). Und gleichzeitig wird das Koordinatensystem der SPD und Grünen stärker links verortet. So regiert in Thüringen in Wahrheit eine Vier-Parteien-Koalition: Linke+SPD+Grüne+Bodo Ramelow.
Doch trotz des bundespolitischen Profilierungskurses bleibt Ramelow ein Ministerpräsident von Stasis Gnaden. Die hauchdünne Einstimmenmehrheit mit zwei ehemaligen IMs in der Fraktion beschert ihm Themen, welche die neue Regierung in die bundespolitische Isolation führen: die Ankündigung alle V-Leute abzuschaffen oder der Winterabschiebestopp.
Die Abschaffung der V-Leute bezeichneten Innenminister anderer Bundesländer als „gefährlichen Alleingang“ und führten aus, dass in bestimmten Fällen der Staat ohne den Einsatz menschlicher Quellen unmöglichen feststellen könne, welche Gefahren drohten. Dem entgegnete der stv. Linke-Vorsitzende in Thüringen, Dittes, trocken, die Erfahrung zeige vielmehr, das V-Leute-System erhöhe die Sicherheit nicht, sondern gefährde die Demokratie. Das die Strukturen des Thüringer Verfassungsschutzes neu überdacht werden müssen ist eine, durch den NSU-Skandal provozierte, durchaus berechtigte Frage. Wenn die Lösung jedoch in der Abschaffung besteht, also in der Ausgliederung und Isolierung hinsichtlich der bundesweiten Informationsbeschaffung und Verbrechensbekämpfung, dann wirft das die Frage nach einem ‚warum‘ auf.
Darin wird das Grenzgängerische, der transformatisch-revolutionäre Charakter sichtbar. In Sicht der Linken muss der Staat als Instrument für die Formung der Gesellschaft verändert werden, wenn er ggf. im Weg steht. Da für die Linken der Extremismus aus der Mitte kommt, nötigt die fehlende eigene Distanz zum extremistischen Lager am linken Rand – besonders – dem kommunistischen Block, ihnen so Änderungen in der Sicherheitsarchitektur des Staates ab.
Nicht ohne Grund ist Ramelow der erste Türöffner für die Debatte um RRG im Bund.
- Nach Innen: auf leisen Sohlen das Land verändern?!
Bis 2014 galt, Thüringen ist ein erfolgreiches Bundesland. Die höchste Beschäftigungsquote Deutschlands, das Bundesland mit der höchsten Aufklärungsquote in der inneren Sicherheit und die Thüringer Schüler belegen bei allen Tests Spitzenplätze. Warum also etwas ändern?
Ein vielfach intoniertes Mantra der neuen Regierung: wir wollen nicht alles anders aber vieles besser machen. Die ersten Monate schienen das zu bestätigen. Kleine sichtbare Prestigeprojekte festigten den neuen gemeinsamen Bund.
Als erstes schufen RRG das Landeserziehungsgeld ab, dem Vorläufer des Bundeserziehungsgeldes. Der Wahlfreiheit der Eltern stellte RRG die vollkommene staatliche Betreuung in öffentlichen Einrichtungen gegenüber: Man wolle damit den Einstieg in den kostenfreien Kindergarten bezahlen. Wohlgemerkt in Thüringen gehen 97 Prozent der Kinder im Vorschuljahr in den Kindergarten.
Auch das erste Gesetz amtete den Geist der Bevormundung und der Wirtschaftsfeindlichkeit. Mit einem Vorschlag zum staatlich verordneten Bildungsurlaub für Arbeitnehmer zur gesellschaftlichen Weiterbildung überzog RRG alle Thüringer Unternehmen mit mehr als 5 Mitarbeitern. Deren Arbeitnehmer sollen bis zu 5 Tage im Jahr an Seminaren zur gesellschaftlichen oder kulturellen Bildung teilnehmen; die berufliche Weiterbildung ist ausgeschlossen. Das Gesetz dient schlicht als ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für gewerkschaftsnahe Fortbildungseinrichtungen.
Der minimalinvasive Politikansatz von Rot-Rot-Grün bescherte ihnen im Sommer stabile Umfragewerte und normale Zustimmungswerte. Doch regiert wird nicht nur auf dem Sonnendeck und so zeigt sich allmählich das wahre Gesicht, welches Staat und Gesellschaft verändern soll. Es wird die Axt an eingeübte Institutionen des Landes gelegt: Gebietsreform, Finanzen, Kultur und Heimat.
Mit einer deutlich zentralistisch geprägten Gebietsreform von Kreisen und Gemeinden sollen bürgernahe Strukturen zerschlagen und anonyme Großkreise entstehen. Dem Bürgerlichen soll im Land der Dichter und Denker durch eine Strukturreform die jahrhundertealte Theater- und Operntradition entzogen werden. Auch in der Finanzpolitik bewahrheitet sich, dass linke Regierungen lieber verteilen und nicht über das erwirtschaften nachdenken. Sie schlachten das Sparschwein der Landesfinanzen und streiten öffentlich über die Gültigkeit der Schuldenbremse. Der Doppelhaushalt bläht das Volumen um 1 Mrd. Euro im Vergleich zum letzten Haushalt der CDU-Regierung auf, die Schuldentilgung wird ausgesetzt und die Rücklage aufgelöst. Es wundert nicht, dass das Wirtschaftswachstum in Thüringen mittlerweile in den Keller gerutscht ist. Gravierende Managementfehler bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme tun ihr übriges.
Mittlerweile kursiert als Mantra der neuen Regierung: wir wollen vieles anders aber nichts besser machen.
- Lektionen für den Bund 2017
Mit ihrer Entscheidung, einen Ministerpräsidenten der LINKEN in den Sattel zu heben, haben die SPD und die Grünen mehr als einen taktischen Schwenk vollzogen. Sie ordnen sich einem grundsätzlich anderen Politikansatz unter. Die LINKE versteht sich als Anker in einem Dreierbündnis und bestimmt damit auch den Radius, in dem sich das Schiff der Regierungspolitik in den Strömen der Zeit zukünftig bewegen soll. Thüringen soll nicht mehr aus der politischen Mitte heraus, sondern vom linken Rand her regiert werden. Es geht um einen fundamentalen Wandel mit Ansage.
SPD-Landesvorsitzender Bausewein sieht die Positionierung der SPD in der linken politischen Mitte an der Seite der Linken und Thüringen als Trendsetter für das politische System Deutschlands. Thüringen dient den linken Parteien in Deutschland als Blaupause; als Denkschablone für eine mögliche andersartige Koalitionsoption im Bund. Bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in 2016 und bei den Wahlen im Saarland 2017 sollen solche RRG Träume Wirklichkeit werden. Wackeln die Umfragen in NRW für das Frühjahr 2017 weiter, werden in der schwindenden Volkspartei SPD die Diskussion um neue Regierungsmöglichkeiten und den Ausbruch aus dem 20-Prozentturm beginnen. Auch die Grünen sind in einer Art Schaukelstuhlpolitik zwischen linkem und bürgerlichem Lager gefangen. Bei ungewissen Umfragewerten von FDP und AfD, frohlocken die Linken als potentieller Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne.
Spätestens mit dem Parteitagsbeschluss der SPD im Herbst 2013 dürfte klar sein, wenn es rechnerisch möglich ist, werden SPD und Grüne 2017 mit der Linken sondieren. Dafür sprechen viele Parallelen aus Thüringen: Die SPD verhält sich im Bund wie eine Opposition in der Regierung. Die Grünen machen Lockerungsübungen für rot-rot-grüne Gespräche. Das öffnet die Grundsatzfrage für den Wahlkampf 2017: Gelingt es der CDU gut zu begründen, warum sie ein starkes Mandat für eine vierte Regierungszeit unter Führung von Angela Merkel verdient hat? Wie verändert die Anti-Establishment-Stimmung nach der Flüchtlingskrise das Wählerverhalten und wie steht es um die Mobilisierungsfähigkeiten der Parteien. Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben dafür erste Anzeichen gegeben. Und auch für die flexible Koaltionsarithmetik im deutschen Parteiengefüge.
Wie fragil ein erfolgreiches Land und wie schnell der Weg in eine linke Republik ist, kann man im Brennglas an Thüringen beobachten. Deutschland braucht ein weiteres solches Experiment nicht.
(so ähnlich erschienen in Bayernkurier 2015)

Angriff auf die Heimat: Warum die RRG-Gebietsreform keinen Sinn macht
Rot-Rot-Grün will den Radikalumbau von Thüringen. Selten ist im Schweinsgalopp ein so massiver Eingriff in die Lebensweise der Thüringer erfolgt. Bis auf Jena und Erfurt stehen fast alle Thüringer Gemeinden, Städte und Landkreise auf der Kippe.
Gera soll nicht mehr kreisfrei und Landkreise geschaffen werden, die von der bayrischen bis zur sachsen-anhaltinische Grenze reichen und größer als das Saarland sind. Zwei Drittel der Gemeinden sollen sich neu zusammensetzen. Das ist eine Zwangszentralisierung, die am Lebensgefühl im Freistaat vorbeigeht.
Diese Gebietsreform spart nichts
Am Anfang jeder Veränderung steht die Frage: Was bringt es? Nach einem halben Jahr Debatte zeigt sich, dass Rot-Rot-Grün diese einfache Frage nicht beantworten kann. Keine sachlichen Berechnungen zu Einsparungen oder Effizienz einer Gebietsreform. Stattdessen zeigen die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen das Gegenteil von Einsparungen. Allein im sächsischen Vogtlandkreis kostete der Neubau eines Landratsamtes über 50 Mio. Euro. Auch die ungleiche demographische Entwicklung in Thüringen zählt nicht als Argument. Es muss immer um die Leistungsfähigkeit und nicht die Größe gehen.
Erst Funktional- und Verwaltungsreform
Rot-Rot-Grün zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Erst eine vorgeschaltete Funktional- und Verwaltungsreform kann klären, welche Aufgabe auf Landesebene und auf kommunaler Ebene erfüllt wird. Nur daraus kann sich die Notwendigkeit einer Reform ergeben. 45 von 21.000 Stellen hat die Regierung identifiziert, die auf die Kommunen übergehen können. Wenn aber auf Landesebene alles bleibt wie es ist, dann braucht es keine Gebietsänderung. Oder wie sagte ein Anzuhörender im Landtag: Wenn ich meinen Betrieb wettbewerbsfähig machen will, dann baue ich nicht als erstes eine neue Halle und überlege mir, wie die Produktionsabläufe da hineinpassen. Vielmehr denke ich zunächst nach, was will ich erreichen, was wird an welcher Stelle gebraucht und wo setze ich meine Leute am sinnvollsten ein. Bevor ich dies nicht weiß, reiße ich nicht meine alte Halle ab.
Gegen den Willen der Bürger
Zwischen kommunikativen Autismus und Scheinbeteiligung ignorierte die Landesregierung den Rat von erfahrenen Landräten und Bürgermeistern. Vielmehr engagierte Rot-Rot-Grün für 1500 Euro pro Tag einen Professor aus Berlin als Berater. Es ist beachtlich, mit welcher Arroganz Rot-Rot-Grün das Ehrenamt ignoriert. Eine kleine Nomenklatura von Rot-Rot-Grün in Erfurt entscheidet, was hunderte Stadträte und Kreistagsmitglieder als Vertreter von über 1,4 Mio. Thüringern durch Beschlüsse ablehnen. Statt auf Bürgerbeteiligung und lokale Erfahrungen zu setzen, werden Stellungnahmen und Proteste von Betroffenen ausgeblendet. Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, indem man sie ignoriert. Kein Wunder, dass fast 60 Prozent der Thüringer die Reform von Rot-Rot-Grün ablehnen.
Es schadet Demokratie und Bürgerbeteiligung
Bürgerschaftliche Nähe stützt nachweisbar das Ehrenamt. Je überschaubarer und persönlicher die Gemeinden, desto mehr Menschen machen mit. Wissenschaftliche Studien belegen ein Absinken der Wahlbeteiligung bei größeren Gemeinden. Anonyme Großstrukturen führen dazu, dass es in vielen ehemals selbstständigen Orten keine Vertreter mehr gibt, welche die Probleme kennen und pragmatisch lösen. Das wirkt sich auf Vereine und das gemeindliche Leben aus. Wie soll ein ehrenamtlicher Stadtbrandmeister demnächst 35 Ortsteilfeuerwehren betreuen können? Das wird ehrenamtlich nicht mehr gehen. Die Auswirkungen auf Sportbünde, Kreissparkassen oder –krankenhäuser kann man sich ausmalen.
Was können wir für unsere Heimat tun
Hätte Rot-Rot-Grün Mut, würden sie ihre Reform zur Volksabstimmung stellen, ob die Menschen in unserem Land das wirklich wollen oder nicht! Als stärkste Fraktion im Thüringer Landtag werden wir gegen die Umsetzung der Gebietsreform kämpfen. Die Thüringer müssen über die Gebietsreform abstimmen können. Deswegen unterstützen wir das Volksbegehren für kommunale Selbstverwaltung und starten eine verfassungsändernde Initiative. 25 Jahre Thüringer Identität, Selbständigkeit und die Heimat von Millionen Menschen darf nicht für unausgegorene Rot-Rot-Grüne Pläne geopfert werden.
Der Artikel erschien als Gastbeitrag in der OTZ.

Entscheidung über Gebietsreform den Bürgern überlassen
OTZ- Interview mit Mario Voigt. Er ist zutiefst überzeugt, dass die geplante Gebietsreform schlecht ist für Thüringen. „Als CDU brauchen wir einen kühlen Kopf und ein heißes Herz für unser Gesamthandeln: Im Landtag politische Alternativen aufzeigen, die juristische Prüfung der Koalitionsschritte, und als drittes der intensive Dialog mit den Bürgern im Land, der ihnen von der Landesregierung verweigert wird.“
Ihre Abgeordneten-Kollegen von Rot-Rot-Grün haben diese Woche im Landtag ein Gesetz vorgestellt, das direkte Mitbestimmung in Kommunen erleichtern soll. Wird es helfen, das Interesse der Bürger an kommunalen Angelegenheiten auch in künftigen Großgemeinden wachzuhalten?
Nein, und ich wundere mich, dass die Verbindung zur beabsichtigten Gebietsreform überhaupt gezogen wird. Vermutlich geht es der Koalition um etwas ganz anderes.
Nämlich worum?
Wer die Abwahl von Bürgermeistern vor Ende einer Wahlperiode erleichtert, der will mehr Unruhe und politische Instabilität in unseren Dörfern und Städten. Aus meiner Sicht ist das ein weiterer Angriff von Rot-Rot-Grün auf den ländlichen Raum. So wie es schon der geplante Wassercent war, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer oder eben die Gebietsreform. Nichts davon ist gut für den zum großen Teil ländlich geprägten Freistaat.
Wenn Thüringen aber immer weniger Geld vom Bund und von der EU bekommt und vermutlich weiter Einwohner verliert, kann dann alles so bleiben, wie es ist?
Niemand bestreitet, dass wir die Verwaltung reformieren müssen. Das betrifft aber vor allem die des Landes. Bis heute hat die Koalition nicht vorrechnen können, welche Einsparungen es durch Großkreise und die Abschaffung der Verwaltungsgemeinschaften geben soll. Ich sage, eine Gebietsreform wird erhebliche Mehrkosten verursachen und das Ehrenamt schwächen. Welches ehrenamtliche Kreistagsmitglied wird sich zwei Stunden ins Auto setzen, nur um zu einer Ausschusssitzung zu kommen? Und wer wird sich noch in einem Ortschaftsrat engagieren, wenn er dort zwar den Ärger der Bürger abbekommt für alles, was nicht klappt, aber nichts ändern kann, weil er so gut wie nichts entscheiden darf?
Im Saale-Holzland-Kreis, wo Sie Ihren Wahlkreis haben, gründete sich unlängst der Verein „Selbstverwaltung für Thüringen“. Er will, sollte der Landtag das Vorschaltgesetz zur Gebietsreform beschließen, ein Volksbegehren dagegen starten. Eine gute Idee?
Ich finde ja. Der Unmut in der Bevölkerung wegen der beabsichtigten Gebiets-Zentralisierung ist mit Händen zu greifen. Fast täglich schicken mir Leute E-Mails und fragen, was man dagegen tun könnte. Und deshalb bin ich davon überzeugt, dass man für diesen Protest ein Angebot machen muss. Sollte es zu einem Volksbegehren kommen, dann werde ich persönlich die Unterschriftensammlungen unterstützen. Der CDU-Kreisverband Saale-Holzland sieht das genauso und hat sogar formell einen Beschluss dazu gefasst.
Müsste das nicht der Landesvorstand der Partei machen?
Das wird der CDU-Landesvorstand zum richtigen Zeitpunkt entscheiden und hält sich diesen Weg offen. Klar ist, die Mitglieder werden an der Basis aktiv, also in ihren Heimatorten. Und da unterstütze ich alle ausdrücklich. Im Landtag hat meine Fraktion bereits angekündigt, die Beschlüsse von Rot-Rot-Grün zur Gebietsreform gegebenenfalls verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. Als CDU brauchen wir einen kühlen Kopf und ein heißes Herz für unser Gesamthandeln: Im Landtag politische Alternativen aufzeigen, die juristische Prüfung der Koalitionsschritte, und als drittes der intensive Dialog mit den Bürgern im Land, der ihnen von der Landesregierung verweigert wird. Ich bleibe dabei: Politik ist Kontaktsport, also ganz nah dran an den Leuten. Ein Volksbegehren ist eine gute Gelegenheit, von den Menschen zu erfahren, was sie wollen. Wenn Rot-Rot-Grün Mut hätte, würden sie die Initiative unterstützen.
Für solche direktdemokratischen Übungen gibt es genau regulierte Abläufe. Käme das Volksbegehren noch zur rechten Zeit, oder ist die Gebietsreform dann schon gelaufen?
Es wird zeitlich ziemlich eng. Dass Linke, SPD und Grüne eine so tiefgreifende Veränderung geradezu im Schweinsgalopp über die Bühne jagen, wäre allein schon Grund genug, dagegen vorzugehen. Zunächst muss freilich abgewartet werden, bis das Vorschaltgesetz verabschiedet ist und in welcher Form. Das bildet ja die Grundlage für alles, was folgen soll. Das Volksbegehren könnte dann, alle Schrittfolgen und Einspruchsfristen eingerechnet, frühestens im Frühjahr 2017 mit der eigentlichen Sammlung beginnen. Dann sind vier Monate Zeit, die nötigen Unterstützerunterschriften beizubringen. Nach Aussagen der Koalition will sie die Landrats- und Bürgermeisterwahlen 2018 schon in der zentralisierten Gebietsstruktur stattfinden lassen.
Rund 195 000 gültige Unterschriften, das ist ordentlich viel Holz. Wäre die CDU nicht beschädigt, wenn die Sache schief geht?
Zunächst mal glaube ich nicht, dass die Sache schief geht. Aber es wird schwer. Für seine Überzeugungen muss man kämpfen. Ich bin vom Erfolg eines Volksbegehrens so überzeugt wie davon, dass die rot-rot-grünen Pläne für Thüringen falsch und schädlich sind. Und eine große Zahl von Unterschriften kann die Ramelow-Regierung auch dann nur schwerlich ignorieren, wenn das Quorum für den Erfolg eines Volksbegehrens nicht ganz erreicht würde.
Die Thüringer AfD hat ihre Unterstützung bereits zugesagt. Wollen Sie mit der zusammen um die Häuser ziehen?
Ich halte die AfD auf der einen und die Linke auf der anderen Seite für die politischen Hauptgegner der CDU. Gleichwohl kann ich die AfD nicht daran hindern, wenn sie ein Volksbegehren unterstützt. Das heißt aber nicht, dass man gemeinsam Unterschriften sammelt. Wichtig ist, dass wir den Menschen erklären, was unsere Motive dafür sind.
Manche unterstellen kritischen Bürgermeistern und VG-Chefs als Motiv, sie würden vor allem ihren Job retten wollen. Ihre Mutter ist VG-Vorsitzende und im Verein „Selbstverwaltung für Thüringen“ aktiv. Ist das für Sie erklärungsbedürftig?
Für mich nicht, aber wer es gern erklärt haben möchte: Meine Mutter steht für viele Mitarbeiter und Bürgermeister in den Verwaltungsgemeinschaften, die in unserem Land einen guten Job machen. Und so, wie ich ihr nicht versuchen würde vorzuschreiben, womit sie sich in ihrer Freizeit beschäftigen sollte, so gut hat sie andererseits mich dazu erzogen, ein selbstständig denkender Mensch zu sein.
Volkhardt Paczulla / 12.03.16 / OTZ

Nach Köln: Angst als Killervirus der Gesellschaft
Ist sie jetzt bestätigt? Die berechtigte Angst vor dem Fremden. Unter den Augen von Polizei und Politikern, assistiert von einer schweigsamen Presse. Köln als Wendepunkt einer integrationspolitischen Naivität? Obacht ist geboten.
Was sich in Köln an einem der belebtesten Plätze an einem der belebtesten Tage abgespielt hat, ist Staats- und Medienversagen. Wenn Frauen nicht geholfen werden kann, weil das NRW-Innenministerium die angeforderten Einsatzkräfte verwehrt, versagt der Staat bei der Sicherheit seiner Bürger. Wenn die Medien nicht (oder sehr verspätet) berichten, weil sie es als volkspädagogisch verwerflich empfinden und nicht sein kann, was nicht sein darf, versagen sie in ihrer Aufgabe als verlässliche, wertungsfreie Informationsquelle.
Ein gedemütigter Staat hinterlässt Spuren im Unterbewusstsein der Leute: Das verunsichert und trifft die Menschen im Land traumatisch. Es entsteht Angst. Wo ist das Sicherheitsversprechen des Staates hin, wenn er sich nicht an seinen Grenzen, sondern in seinem Inneren als schwach und unentschlossen erwiesen hat?
Die Sehnsucht nach Sicherheit wird zur Sehnsucht nach dem Staat, die Integrationsdebatte wird zur Sicherheitsdebatte. Wie sichern wir die deutschen Lebenskultur, wenn die „zugewanderte Machokultur Nordafrikas und der arabischen Halbinsel“ versucht Platz zu greifen?
- Klarheit in der Ansage: Schuld ist immer individuell. Egal, ob ein Deutscher, ein geflüchteter Nordafrikaner oder ein zugewanderter Araber – wer eine Straftat begeht, muss zur Rechenschaft gezogen werden. Und das bedeutet nachvollziehbarer Weise bei Asylsuchenden, wer unsere Regeln und Kultur nicht teilt, hat auch keinen Anspruch, sie schutzsuchend in Anspruch zu nehmen. Wer straffällig geworden ist, gehört abgeschoben.
- Ehrlichkeit in der Debatte: Unter digitalen Voraussetzungen beschleunigt sich aufgeladen mit Verschwörungstheorien das Auseinanderdriften von Publikums- und Mediensicht. Wenn nach einer Umfrage von Allensbach über die Hälfte der Deutschen den Beteiligten vor Ort mehr glauben, als den öffentlichen Medien, beginnt Vertrauen in deren Objektivität massiv zu schwinden. Das befördert ein Gefühl schleichender Political correctness, bei der man nicht mehr alles aussprechen kann, was man denkt. In einer offenen Gesellschaft darf es keine zwei Öffentlichkeiten und keine politische verordnete Schweigespirale geben.
- Unterscheiden und nicht Relativieren: Nur böswillige werden die Vorfälle von Köln als Argument gegen die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen nutzen. Es gibt keinen Kollektivsingular „Die Flüchtlinge“. Aber es gibt kulturelle Unterschiede und die sind klar anzusprechen. Übrigens, auch was den Islam angeht. Wer auf den Strassen von Baku wandelt, der fühlt sich im Sommer fast an den FKK-Strand der Ostsee versetzt, während eine Flugstunde weiter in Teheran die Frauen verschleiert herumlaufen. Beides sind schiitische Länder. Unterscheiden gilt auch für die Gutmenschen. Es ist nicht derjenige Deutsche gleich ein Rassist, der berechtigte Fragen zur Integration, der weiteren Aufnahmefähigkeit oder zwischen Asylsuchendem und Zuwanderer stellt.
- Verteidigung des Humanitären Imperatives gegen Ethno-Nationalismus: Auch nach Köln dürfen wir nicht die Zugbrücken hochziehen und sagen: lass das mal die Anderen machen. Wir haben neue zivilisatorische Standards gesetzt. Der humanitäre Imperativ: zu helfen, wenn Hilfe nötig wird, hat Deutschland zusammen mit seiner wirtschaftlichen Strahlkraft zur globalen Zufluchtshoffnung gemacht. Klar ist, wir werden nicht die 60 Mio. Flüchtlinge der Welt aufnehmen können. Aber Deutschland ist eine Metapher für Humanität geworden. Dies gilt es gegen jede Anwandlung von Ethno-Nationalismus zu verteidigen.
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