5 Trends für Digitales Campaigning in Deutschland

5 Trends für Digitales Campaigning in Deutschland

Was machen die Deutschen Online? Die jährliche Digitalstudie von We are Social zeigt, worauf es beim Digital Campaigning im Wahljahr 2017 in Deutschland ankommen könnte.

 

Don’t forget E-Mail. Weniger als jeder Zweite ist in Social Media.

Jeder zweite Mensch auf der Welt ist mittlerweile online. Die Digitalisierung greift um sich, vernetzt und führt zu täglicher Onlinekommunikation.

Social Media Use

In Deutschland ist das Internet in allen Bereichen des Lebens präsent. Fast 90 Prozent der Deutschen sind online. Überraschend ist aber, dass weniger als die Hälfte sich in sozialen Netzwerken bewegt.

Digitales Campaiging bedeutet nicht nur Social Media Campaigning. Die Botschaft muss in Deutschland auch in der E-Mail Inbox landen, um erfolgreich zu sein.


Know your device. Ansprache auf allen Kanälen.

Die Deutschen sind Onliner. Und sie sind es ausdauernd: Neben fünf Stunden Desktop-Internet am Tag surfen sie auch noch über eine Stunde Mobile. Doch von den durchschnittlich sechs Stunden Zeit, die sie online verbringen, halten sie sich nur eine Stunde in den sozialen Netzwerken auf.

Zeitverbrauch im Netz

Schön Deutsch: E-Mail checken und Arbeiten findet auf dem Computer statt. Geht es sozial zur Sache, dann findet das mobil statt. Sucht der Deutsche etwas, dann greift jeder zweite zum Smartphone und fast 2/3 zum Computer.

 

Wöchentliche Onlineaktivität

 

Wer im Digitalen Campaigning Durchschlagskraft erreichen will, der braucht eine Ansprachestrategie, die zwischen E-Mail, Social Media und SEO klug variert. Die Deutschen erwarten, auf allen Kanälen und auf unterschiedlichen Devices erreicht zu werden.

Content für Youtube, Facebook und Whatsapp is king.

Der Anteil der Social Media Nutzer liegt mit 41 Prozent über dem globalen Durchschnitt von 37 Prozent. 33,0 Millionen Menschen nutzen in Deutschland die Social-Media-Plattformen mindestens einmal im Monat. In Deutschland ist Facebook neben Youtube die dominierende Social Media Plattform.

Wichtigsten Social Media Plattformen

Fast alle Social Media Nutzer (33 Millionen Anwendern) sind mindestens einmal pro Monat auf Facebook, davon 64 Prozent täglich und 85 Prozent mobil. Überflügelt wird Facebook nur von YouTube, das von (69 Prozent) genutzt wird, allerdings ist die Vernetzungs- und Contentstrategie der meisten Nutzer bei Youtube wesentlich passiver. Facebook bietet eigene Interaktionen und landet auf Platz zwei in Deutschland gefolgt von WhatsApp (55 Prozent). Die Buzz Social Media Instagram (21%), Twitter (19) und Snapchat (10) folgen deutlich dahinter.

Social_Media_Plattform_Germany_2017

Digitales Campaiging in Deutschland hat mindestens vier Kanäle zu bedienen: Youtube für Video und Entertaiment, Facebook und Whatsapp für Interaktion und Kommunikation in persönlichen Netzwerken – sowie Twitter: der Nummer 1 Elitenkanal von Journalisten und Politikern. Und wer dann noch zusätzliche Ressourcen investiert, liegt bei Instagram und Snapchat richtig: jüngere Zielgruppe, anderes Storytelling und Ausweis für Modernität im Digitalen Campaiging.

Schlummernde Potentiale bei Erstwählern und Silver Surfern.

Weltweiter Spitzenreiter bei den Social Media Plattformen ist Facebook. Mehr als 1,8 Milliarden Nutzer sind monatlich auf Facebook aktiv. Mehr als jeder Zweite (55 Prozent) nutzt Facebook täglich. In Deutschland sind täglich 64 Prozent dort unterwegs, wobei 48 Prozent der Facebook Profile als weiblich registriert sind, 52 Prozent als männlich.Profile_Facebook_User_Germany_2017

Profil der Facebooknutzer

Beim Blick auf den Breakdown der 33 Mio. Nutzer fällt auf: Während der Großteil der Nutzer von Facebook zwischen 18-34 Jahre ist – 16,5 Mio. liegen in der mittlerweile ausdifferenzierten Altersverteilung riesige Kampagnenpotentiale. Für das politische Digital Campaiging im Jahr 2017 sind rund 7,1 Mio. Erstwähler zwischen 18 und 24 Jahre auf dieser Plattform aktiv. Rund 9 Mio. Deutsche sind älter als 45 Jahre und regelmäßig bei Facebook aktiv. Da mit steigendem Alter die Verlässlichkeit der Wahl zunimmt, erscheinen die 3,6 Mio. Deutsche, die älter als 55 Jahre und sich in Facebook bewegen besonders attraktiv für die Digital Campaigner. Das sich die Ansprachestrategien zwischen Erstwählern und Silver Surfern auch in Social Media unterscheiden, ist selbsterklärend.

Smart Streaming und klares Targeting.

Die Studie zum Digitalen Deutschland 2017 belegt, dass Fernsehen immer noch der dominierende Videokanal der Deutschen ist. In Zeiten von Netflix und Amazon Prime vertrauen 89 Prozent der Deutschen auf ihre tägliche Portion TV. Dennoch streamen fast ein Viertel bereits täglich Videos online. Und fast 60 Prozent der Internetnutzer in Deutschland schauen sich mindestens einmal im Monat online ein Video an. Damit ist natürlich nur die Demandseite in den Blick genommen worden. In gleichem Maße dominieren mittlerweile Videocontent, gifs und kleine snippets die Social Media Plattformen von Facebook bis Whatsapp.Time_Spent_Media_Germany_2017

Die Viralität der Kommunikation erfordert von den Digitalen Campaignern mehr Aufmerksamkeit für kurze, emotionale Videoangebote im Netz, die Marke und Inhalt verbinden.

Diese fünf Trends werden beim Digitalen Campaigning in Deutschland 2017 eine Rolle spielen. Man könne noch viel über Targeting und Big Data schreiben. Auch die Verbindung von online und offline nimmt Fahrt auf. Ein kleiner Hint vielleicht noch zum Schluss: Über Online-Fundraising ist lange Jahre gestritten worden. Nimmt man die Entwicklung des E-Commerce in Deutschland als Indikator für die Entwicklung von Spenden online, dann ist Licht am Ende des Tunnels. Denn mit der Verbreitung des Internets steigt auch der Anteil der Menschen, die E-Commerce Angebote nutzen. Beim Shoppen im Internet liegen die Deutschen auf dem 3. Platz direkt hinter Großbritannien und Südkorea. Fast drei Viertel aller deutschen Internet-Nutzer kauften im letzten Monat online ein (72 Prozent).

Die vollständigen deutschen Statistiken gibt es hier. 

Let’s get religious: Politik und Religion in den USA

Let’s get religious: Politik und Religion in den USA

Für die USA gilt: Sag mir, was Du glaubst und ich sage Dir, was Du wählst.

Aus der Sicht vieler Europäer sind die Amerikaner verwirrend religiös. Im Gegenzug betrachten viele Amerikaner die Europäer als unerklärlich weltlich. Und in der Tat, gibt es keine westliche Demokratie, die so religiös gebunden ist wie die USA. Rund 90 Prozent der erwachsenen Amerikaner bekennen, an Gott zu glauben. Zwei von drei Bürgern beten jeden Tag, besuchen regelmäßig Gottesdienste und sehen Religion als sehr wichtigen Teil ihres Lebens an. Den gesellschaftlichen amerikanischen „melting pot“ prägen ganz unterschiedliche Religionen: Protestanten, Katholiken, Juden, Mormonen, Muslimen, Buddhisten, Hindus und Anhängern anderer Glaubens-Traditionen.

Religion in Amerika

Bei aller Vielfalt bleiben die USA ein zutiefst vom Protestantismus geprägtes Land. Historisch waren es die Siedler verschiedener evangelischer Gruppen, die auf ihrer Suche nach einem Platz für religiöse Freiheit im 17. und 18. Jahrhundert ihren Weg in die USA fanden. Fast ausschließlich europäischer Herkunft gaben sie den USA als der First New Nation ihre demokratische Gestalt. Daraus formte sich auch ein Kirchenverständnis, welches sich weitgehend von dem europäischen Staatskirchentum unterscheidet. Durch das First Amendment und bundesstaatliche Gesetze entstand ein wettbewerbsorientierter religiöser Markt, in dem munter Kirchen, Gruppen und Sekten miteinander konkurrieren. Typisch amerikanisch, der Markt übertrifft Monopole, vor allem staatlich unterstützte.

Die bewusste Trennung von Kirche und Staat erschuf die „Demokratisierung“ der amerikanischen Religion – einen religiösen Stil, in dem jede erdenkliche religiöse Neigung ihre Nische fand und religiöse Ansichten und moralische Vorstellungen eng verwoben sind. Ironischerweise wuchs daraus ein Erwartungswert an politische Verantwortliche. Bis heute kann man kaum ein öffentliches Amt begleiten, ohne den Wählern versichert zu haben, wie religiös man ist. Es verwundert nicht, wenn 91 Prozent der Mitglieder des neu gewählten amerikanischen Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) angeben, Christen zu sein, verglichen mit 71% der amerikanischen Bevölkerung. Religion spielt also auch bei den Wahlen ihre Rolle.

Religion und die Wahlen 2016

Der Wahlausgang der Präsidentschaftswahlen überraschte. Der Wahlkampf hätte aus der Feder der „House of Cards“-Autoren stammen können: Der Multimillionär Trump gewinnt die Nominierung und die Hauptwahlen, obwohl er – dreimal verheiratet – öffentlich xenophob und frauenfeindlich redete, seine Steuererklärung versteckte und im Fernsehen über seine nicht nur ökonomische Potenz fabulierte. Nicht gerade der Idealtypus für wertegebundene, religiös geprägte Wähler. Und dennoch weisen die Wahltagsbefragungen 2016 (Exit Polls) kaum Veränderungen bei den religiösen Gruppen zu den vorherigen Präsidentschaftswahlen auf.

In gewisser Weise blieben die Grundmuster von Religion und Politik in den USA unverändert. Einige religiöse Gruppen (einschließlich evangelischer Protestanten und Mormonen) unterstützen in der Regel die republikanische Partei, während andere Gruppen (einschließlich Juden, religiöse „Ungebundene“, hispanische Katholiken und Kirchenmitglieder, die der historisch schwarzen protestantischen Tradition angehören) eher demokratisch sind.

Auch im Wahljahr 2016 stimmten acht von zehn weiße evangelische Christen für Trump, während gerade 16% sich für Clinton aussprachen. Trump reihte sich in seinem Vorsprung bei weißen evangelischen Wählern, bei weißen Katholiken oder Mormonen in die Erfolge von George W. Bush im Jahr 2004, John McCain im Jahr 2008 und Mitt Romney im Jahr 2012 oder übertraf sie sogar. Weiße Katholiken unterstützten Trump über Clinton (60% bis 37%) und damit gewann er auch mit 7 Prozentpunkten Vorsprung „the catholic vote“, obwohl „Hispanic Catholics“ Clinton mit 41 Prozentpunkten (67% bis 26%) vor Trump wählten. Wie die hispanischen Katholiken waren auch Wähler jüdischen Glaubens (71%) und „nicht-gläubige“ Wähler starke Clinton-Unterstützer (70%). Bei den meisten Menschen anderer Glaubensrichtungen als dem Christentum lag Clinton 62%-29% deutlich vor Trump.

Ein wesentliches Merkmal für die Prognose, wie ein Amerikaner politisch tickt, ist seine Kirchgangshäufigkeit. Laut Wahltagsbefragung sprachen sich die meisten wöchentlichen Kirchgänger für Trump aus (56%-40%). Je weniger regelmäßig die Wähler in die Kirche gehen, umso stärker lässt das auf demokratische Unterstützung schließen. Waren noch sporadische Kirchgänger gleich verteilt in ihrer Wahlentscheidung unterstützten Kirchgangsmuffel Clinton mit einem 31-Punkte-Vorsprung zu Trump (62% bis 31%). Die Ergebnisse entsprechen in etwa historischen Erfahrungen.

Wie geht es weiter?

Bei allen Kontinuitätslinien wirken gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf die Wählerschaft, besonders bei den sogenannten „millenials“. So ändern sich Meinungsbilder zu Homosexualität oder bleiben wie bei dem Nein zur Abtreibung relativ stabil. Das wird langfristig auch Spuren im öffentlichen Diskurs und im Wahlverhalten finden.

Dessen ungeachtet wird Religion in der Politik der USA weiterhin eine große Rolle einnehmen – angefangen bei der politischen, teils religiös aufgeladenen Sprache, über offene religiöse Bekenntnisse von Politikern bis zur aktiven Wählerhilfe evangelischer Mega-Kirchen im Süden. Und dies scheint für die Amerikaner auch okay zu sein. Religion beeinflusst ihr tägliches Leben und führt zu einem deutlich höherem ehrenamtlichen, häufig auch für politische Kampagnen arbeitenden,  Engagement. Es überrascht nicht, dass jede Woche ein Fünftel der Amerikaner ihren Glauben online diskutieren, in religiöses Talk Radio hören, religiöse Fernsehprogramme oder christliche Rockmusik einschalten.

In einer groß angelegten Studie des angesehene Pew Instituts sagten drei Viertel der erwachsenen Amerikaner, dass sie Gott für etwas in der vergangenen Woche gedankt haben (Pew 2015). Spontan fällt einem in Europa kein Staat ein, wo eine Befragung dies aufweisen könnte. Es ist Zeit, von manchem hohen „moralischem Roß“ der Weltpolitik abzusteigen und uns zu fragen, ob wir im religiösen Dialog nicht auch etwas von dem freiheitlichen und offenen Amerika lernen können. Fernab von Diskussionen über Donald Trump oder TTIP.

 

so erschienen in: Wartburg-Kurier, Ostern 2017

Big Data, Anger Points und digitaler Wahlkampf

Big Data, Anger Points und digitaler Wahlkampf

Microtargeting, Psychologisches Targeting oder Datamining. Big Data sind Teil der DNA politischer Kommunikation. Besonders in den USA. Was schon George W. Bush und Barack Obama nutzen, perfektionierte die Trump-Kampagne. 2016 war die erste Wahl, wo Wähler individuell analysiert und emotional direkt angesprochen wurden. Digitale Kommunikation und Big Data transformierten 2016 im amerikanischen Wahlkampf die Wähleransprache.

Die drei Big Data und Digital Campaigning Trends aus dem US-Wahlkampf.

  1. Find the Anger Points – Big Data Targeting

Während bereits Bush 2004 unterschiedliche soziographische, psychographische und lebenstilbezogene Daten kombinierten, ließ Obama bereits jede Nacht über 60.000 Simulationen laufen, um Wählerverhalten und psychologische Reaktionsmuster vorherzusagen. Trump ging 2016 mit Cambridge Analytica einen Schritt weiter. Die sozialen Medien boten ihm nicht nur die Möglichkeit der Analyse der Daten, sondern sie gab ihm auch das Instrument wählergenau, in Echtzeit individuelle Botschaften auszuspielen. Dem „gigantischen Wählertelefonbuch“ in den Datenbanken fügte man durch Online- Befragungen Informationen zum politischen Verhalten, zu Einstellungen und Sorgen hinzu. So identifizierten sie inhaltliche und mentale „Anger Points“, welche die Wahlentscheidung der jeweiligen Personen motivieren. Die sozialen Medien boten eine ideale Spielwiese, um durch Verhaltensdaten (Likes) Emotionen, Sorgen und Hoffnungen nachzuspüren und sie gezielt anzusprechen.

Drei Zahlen mögen dies verdeutlichen. 2012 nutzte Obama 9 Wählersegmente. Als Cambrigde Analytica 2015 für Cruz zu arbeiten begannen, entwickelten sie allein für Iowa 176. Landesweit gab es über 1.800 Wählersegmente.

So gab es erstmals eine cross-device Wähleridentität mit modernem Targeting durch vollumfängliche Datenprofile in den heiß umkämpften Battleground-States.

  1. Wähleransprache in Echtzeit

Wenn man weiß, wen man wie anspricht, dann kann man tagesaktuell Emotionen und Themen aufgreifen. Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 war die erste Wahl, die in Echtzeit über alle Kanäle gleichzeitig und im ganzen Land geführt wurde. Vor allem im digitalen Bereich erfolgte die Anpassung und der Einsatz der Ressourcen in Real-Time. 

Iwaehlerregistrierungn der Phase der Wählerregistrierung bspw. werteten die Kampagnen die Google-Suchen auf Stimmbezirksebene aus. Bei hohen regionalen Suchnachfragen schalteten die Kampagnen hyperlokale, geocodierte, digitale Anzeigen bspw. im Umfeld von Universitäten, um Erst- und Jungwähler zu erreichen.

 

  1. Digitales Marketing on Speed

Digitale Werbung war 2016 der größte Wachstumsmarkt der politischen Werbung. Durch hohe Reichweite, schnellere Reaktionszeit und dichtere Frequenz wurde Social Media zum Push-Kanal Nummer 1 der individuellen Kommunikation. Erstmals überschritten die politischen Online-Ads die Hürde von einer Mrd. Dollar. Sie machten rund 20-25 Prozent der Kampagnenbudgets aus.

online-spendingGerade die Erfolge im Online-Fundraising und der Organisation von Freiwilligen beschleunigte die Integration des Digitalen in die zentralen Aufgaben der Kampagnenführung. So war 2016 die erste Wahl, wo über die Hälfte der Spenden digital eingeworben wurden. Clinton vereinnahmte mehr als 1 Milliarden Spenden, wo rund 60 Prozent online eingingen.

Und Mobile first dominierte die digitale Kommunikation. Im Wahljahr hielten sich über 150 Mio. Amerikaner mobil rund 500 min im Netz auf. 60 Prozent der Suchen fanden dabei auf mobilen Endgeräten statt. Für jede Stunde, die sich ein Wähler vor dem Fernseher zu brachte, waren sie fast zwei Stunden online (Quelle: Google). Dazu zählt auch, dass Youtube der Kommunikationskanal Nummer 1 für alle 18-49 jährigen war.

Wrap up:

Digitale Kampagnen im amerikanischen Wahlkampf transformieren politische Kommunikation und Wähleransprache. Die Rolle der Digitalen Medien innerhalb der Kampagnen nimmt mit beschleunigenden technologischem Wandel rapide zu. Soziale Medien dienen als Brücke zwischen Kampagnen/Parteien und Öffentlichkeit. Digitale Transformation ändert interne politische Organisationslogik von Kampagnen. Es entsteht mit „networked politics“ komplexe Interaktionen zwischen traditionellen und sozialen Medien sowie den Kampagnen. Generell verlieren traditionelle Medien ihre Bedeutung als Gatekeeper und eigene kommunikative Pfade entstehen. Obwohl die Verfügbarkeit von politischen Informationen und Partizipation wachsen, fraglich bleibt, ob echter Diskurs entsteht. Die Kandidaten-Kampagnen wählen ihre Wähler: Daten, Analysen und Tests führen zum gläsernen Wähler, der entsprechend seiner Präferenzen und Einstellungen angesprochen wird. Die Anti-Establishment-Stimmungen in digitalen Nischen nehmen zu und politische Sprache und Kultur verschärfen sich. Diese digitale Transformation werfen neue Fragen für Demokratie und Macht auf.

 

Foto FB: Alexander Klaus/pixelio

Wahljahr 2017: In welchem Deutschland wollen wir leben?

Wahljahr 2017: In welchem Deutschland wollen wir leben?

Die Bundestagswahl 2017 wird eine Richtungswahl. Die Bürger entscheiden darüber, in welchem Deutschland wollen sie leben. In einem Bauchnabel-Deutschland, wo die Gedanken nur um sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und das Hier und Jetzt kreisen, oder in einem Deutschland mit Herz und Verstand, wo der Blick auf Zukunft, die nächste Generation und die Welt gerichtet ist.

Wo stehen wir?

Es ist offensichtlich: Deutschland und seinen Bürgern geht es gut. Es haben soviele Menschen Arbeit wie nie zuvor und die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste seit 25 Jahren. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Wirtschaft wächst und der Staatshaushalt ist ausgeglichen. Die ältere Generation erhält für ihre Lebensleistung den höchsten Rentenzuwachs seit Jahren und Mütter bekommen in einer zusätzlichen Mütterrente die Anerkennung, welche sie verdienen. Junge Menschen finden fast alle einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz und die Investitionen in Forschung und Entwicklung verzeichnet Rekordwerte. Deutschland genießt hohen Respekt in der Welt und stabilisiert in einer schwierigen Lage das europäische Schiff. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eine der gefragtesten der Welt und auch auf dem Glücksbarometer äußern die Deutschen ihr Wohlbefinden.

Doch irgendetwas ist gesellschaftlich ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo seit 2015 vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennengelernt hat.  Gesellschaftliche Eliten wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz. Manche verengen das gesellschaftliche Rumpeln auf die Flüchtlingswelle des Sommers 2015. Für sie ist es die Wegscheide, der Dammbruch.

Tatsächlich sind prinzipielle Kräfte am Werk. Es fordern uns viele Veränderungsprozesse heraus: Demographischer Wandel, Digitalisierung, Globale Veränderungen.

Was Wolfgang Schäuble treffend mit „Rendezvous mit Globalisierung“ bezeichnet hat, verunsichert viele Bürger. Es geht dabei nicht nur um Menschen anderer Herkunft. Es geht um die Unübersichtlichkeit einer globalen Ordnung. Wer entscheidet noch was, wer gehört noch zu wem? Opel ist jetzt GM, das Maschinenbauunternehmen um die Ecke jetzt Teil eines chinesischen Großkonzerns oder wie heißt mein Tengelmann morgen? Die vermeintliche Einfachheit brachte Klarheit und Verlässlichkeit.

In gleichem Atemzug mit den globalen Unsicherheiten verlor das deutsche Einheitsnarrative an Kraft. Nach 25 Jahren scheint das große Glück einer friedlichen Revolution und eines gemeinsamen Aufbruchs einer kalten Finanzmathematik des Länderfinanzausgleichs und dem „Jetzt-reichts-aber-mal“ gewichen. Vielleicht hängt das auch mit dem Abtreten der Wendegeneration zusammen und hat etwas Normales. Tatsächlich fehlt dieser Kitt, wenn es um gemeinsames Einstehen gegen wenige in Dresden oder pauschale Urteile über Ost und West geht.

Schließlich sorgt eine zunehmende Technisierung und Digitalisierung für Wandlungsprozesse in der Arbeits- und Lebenswelt. Nicht alle begreifen disruptive Technologien und Wachstumszyklen als Zugewinn, vielmehr fürchten sie um den Arbeitsplatz und gewohnte Sicherheiten.

Das macht es für Wahlen und Parteien nicht einfacher. Über 50 Prozent sagen von sich sie seien Wechselwähler. Fast ein Drittel wählt per Brief, und über ein Drittel fällt seine Wahlentscheidung in der letzten Woche. Dies macht nicht nur die Wahlentscheidung weniger vorhersagbar, sondern zerstört auch jedes dialogische, kommunikative Element, welches in einer Wahlkampferzählung und einer Schlussdramaturgie mündet. Die Wähler sind situativer, wählerischer und die Wählerkalküle vielfältiger geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht mehr klar ist, was mit der Wahlstimme passiert. In Thüringen wusste ein Wähler der SPD nicht, ob seine Stimme für eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition oder ein linkes rot-rot-grünes Bündnis zählt. Unter solchen politischen Lotteriebedingungen wägt der Bürger seinen Wahlakt sorgfältig und strebt nach Eindeutigkeit und Alternativen. Ein Ausweg erscheint mehr direkte Beteiligung. Und es wundert nicht, dass die Zustimmung auch für Volksentscheide auf Bundesebene zunimmt. Dem Misstrauen gegenüber Politikern setzt man die eigene Beteiligung entgegen. Dadurch entsteht aber eine Situation, die Karl-Rudolf Korte zurecht eine „Beteiligung-Paradoxie“ nennt: es wollen immer mehr beteiligt werden, aber zugleich wollen immer mehr, dass sich politische Prozesse beschleunigen. So manche Beteiligungsentartung gibt es in den Sozialen Medien zu bestaunen.

Angela Merkel 2013

 

Worum geht es bei der Bundestagswahl?

Für 2017 zeichnet sich ein klares strategisches Bild ab. Die AfD will die Wahl zum Referendum über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel machen. Auf den potentiellen Trümmern dieses Angriffs möchte dann Rot-Rot-Grün ungeniert sein neues Deutschlandhaus bauen.

AfD aber auch RRG möchten die Bundestagswahl zum Referendum über die Politik von Angela Merkel machen. Von links (Euro, Verteilungspolitik) wie von rechts (Flüchtlinge) wird der Vorwurf ertönen, Merkel hätte die Interessen der Deutschen verraten und 12 Jahre seien genug. Beide Seiten eint eine zutiefst nationale und teilweise sozialistische Sichtweise. Sowohl für die AfD und die Linke aber auch große Teile der SPD gehören tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft mittlerweile zum Wesenskern: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. In Zeiten globaler Unübersichtlichkeit eine geradezu erwärmende Vorstellung.

Besonders AfD und Linke sind anti-global, anti-modern, national und sozialistisch. In gewisser Weise bemächtigen sie sich konservativen Positionen und werben für eine vergangene Welt, die wahrscheinlich so nie existierte. Sie spielen mit tatsächlichen oder vermeintlichen sozialen Verwerfungen, schüren xenophobe Ressentiments, beklagen den kulturellen Wandel und versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Die gesellschaftliche Instabilität und Unsicherheit ist ihr Thema. Sie sind der Status quo in einer sich wandelnden Welt.

Vor diesem Szenario ringt jetzt die Union um ihre Position. Bei Bundestagskandidaten, Parteimitgliedern und in der Führung herrscht die Gewissheit, dass 2017 ein anderer Bundestagswahlkampf werden wird als 2005, 2009 und 2013. Besonders im Bundestagswahlkampf 2013 musste die Union nicht um Vertrauen kämpfen und hatte auch keinen richtigen Gegner. Die unmittelbaren Folgen der Flüchtlingskrise scheinen bewältigt, aber die Wunden, Debatten und Fragen sind noch nicht verheilt. Das lähmt und gefährdet den Wahlerfolg 2017. Gerade weil die Anfeindungen von rechts und links zunehmen.

Was ist für die Union zu tun?

Die Bundestagswahl 2017 gewinnt, wer der Sinn- und Sicherheitssuche der Bürger eine Antwort auf die Frage geben kann, in welchem Deutschland möchte ich leben?

Es steht außer Rede, dass das Image von Angela Merkel sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verändert hat. Durch die Diskussion um die Flüchtlingskrise ist die unaufgeregte „Krisenlotsin“ (Korte) Angela Merkel, in den Augen mancher Bürger von einer pragmatischen Problemlöserin zur emotionalen Problemschafferin geworden. Besonders in den neuen Bundesländern hat ihr das massiv geschadet. Im gleichen Atemzug verkennen die Kritiker, wie weiterhin hoch das Ansehen und die Stellung der Bundeskanzlerin in den Augen der Bevölkerung ist. Würde mancher parteilich-schwesterlicher Disput nicht unnötig verlängert, könnte Merkel zurecht behaupten, eine weitere Krise gelöst zu haben.

Dennoch muss die Union mehr aufbieten als die Kanzlerin allein. Es entscheiden Haltung und Richtung.

Die Haltung muss eine selbstbewusste und nicht geprügelte Partei sein, die stolz auf die politischen Erfolge und kämpferisch auf das Kommende ist. Eine Union, die zusammensteht und nicht Einzelfrage den Gesamterfolg in Frage stellen lässt. Zur Haltung gehört auch, Angela Merkel mit Verstand und Herz zu sehen, unter deren Führung Deutschland zur Nummer 1 in Europa und im Ansehen in der Welt wurde. Quasi, Weltklasse für Deutschland.

Doch um den vierten Stern zu holen, braucht die Union eine inhaltliche Begründung, warum sie Deutschland führen und Angela Merkel für vier weitere Jahre Kanzlerin bleiben soll. Es geht nur mit einem inhaltlichen Zielfoto, nennen wir es, Vision, wo Deutschland am Ende der nächsten Legislaturperiode stehen will und warum das für die Menschen in Deutschland wichtig ist.

Die mutige Perspektive auf das Deutschland von morgen ist im Hinblick auf die nötige Einigung mit der CSU aber auch Hinblick auf die Konkurrenz umso wichtiger. Dem Referendum über den Status quo setzt die Union eine Abstimmung über den zukünftigen Weg entgegen.

Die Union muss erklären, wohin sie will, und muss sich dafür die Offenheit ihrer politischen Entscheidungen sichern. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß. Und die Union ist die beste Kraft dafür.

Zur Bundestagswahl geht es für die Union um ein zentrales Versprechen: Wir sind realistischer Schutzpatron der Bürger und machen Deutschland zum besten Land der Welt, wo Sicherheit und Wohlstand für alle Menschen herrscht. In der Heimat stark und in der Welt führend.

Fünf Aspekte sind dafür wesentlich:

  1. Wachstum und soziale Marktwirtschaft: Wir sollten die Stärken Deutschlands in den Vordergrund stellen und nicht immer jedes Einzelproblem zum Staatsakt erklären. Zwischen berechtigten Debatten um Industrie 4.0 und Steuerpolitik sollten wir die tatsächliche Stärke des Landes in den Mittelpunkt stellen: der Einsatz und das Engagement der Menschen. Für Wettbewerb und wirtschaftliche Freiheit gilt es manche Larmoyanz abzuschütteln und gut über unsere Chancen zu reden. Warum sollten wir sorgenvoll sein, wir haben die besten Arbeiter und Ingenieure der Welt. Im Kampf gegen jegliche Populisten braucht es eine Wachstumsbotschaft.
  2. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Stabilität: Wir arbeiten für eine Gesellschaft, in der keiner zurückgelassen oder abgehängt wird. Unser Handeln ist von einem mitfühlenden Konservativismus geprägt, der sozialen Abstieg verhindert. Die besten Chancen für unsere Kinder stärken wir durch ein leistungsorientiertes Bildungssystem und ermöglichen es mit einer Unterstützung von Familien. Die Sicherheit im Alter gewinnen wir durch eine verlässliche Rentenpolitik und ein Steuersystem, wo arbeiten attraktiv ist. Auch wenn bei der nächsten Bundestagswahl die Mehrheit der Wähler über 55 Jahre sein wird, tragen Verteilungsversprechen nicht. Es geht um einen strukturellen Umbau, der die schrumpfenden Generationen der Erwerbstätigen nicht endgültig überlastet und doch Mittel für die wachsende Zahl immer älterer Bürger freischaufelt.
  3. Staat und Sicherheit: Die Aufgabe der CDU ist es, wieder über ein gemeinsames, ein einiges Deutschland zu reden. Dies gilt in der Frage von Ost und West, aber eben auch von Stadt und Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass ganze Bundesländer, ländliche Regionen oder einzelne stigmatisiert werden. Dass bedeutet auch, nicht jeden in der rechten Schmuddelecke zu sehen, nur weil er Sorgen und Probleme – ob gerechtfertigt oder nicht – anspricht. Viele Bürger stellen seit der Flüchtlingskrise Fragen über die Rolle des Staates, seine Funktionsfähigkeit und seine Defizite. Ob bei Grenzschutz, Polizei oder Schule – staatliches Handeln steht unter bürgerschaftlicher Beobachtung. Nur wer überzeugend antworten kann, was der Staat darf und kann, wird auch dem Sicherheitsempfinden der Bürger gerecht.
  4. Weltoffen und patriotisch: Wir treten für ein weltoffenes Deutschland ein und haben nach allen Erfahrungen einen realistischen Blick auf die Globalisierung. Dazu zählt auch zu sagen, wir werden alles dafür tun, dass es eine Situation wie 2015 nicht wieder geben wird. Deutschland ist ein Land, wo Asyl ein Recht auf Zeit und Zuwanderung nur nach klaren Spielregeln geht. Den Wagenknechts und Petrys halten wir entgegen, das Gegenteil von Globalisierungsbefürworter ist nicht Patriot. Deutschland ist der Globalisierungsgewinner und muss daher ihr vehementeste Verteidiger sein. Kosmopolit zu sein ist nicht elitär, es ist patriotisch. Das Erfolgsmodell Deutschland ist nur langfristig finanzierbar, wenn wir unsere Produkte, Dienstleistungen und Ideen international verwirklichen.
  5. Zukunft und Tradition: Wir glauben an eine bessere Zukunft und setzen auf die Hoffnungen der Menschen nicht ihre Ängste. Die Geschichte der Bundesrepublik ist gekennzeichnet, von einem unbändigen Willen Probleme erfolgreich zu lösen. Warum soll aus dieser Tradition nicht ein neues Narrativ für das 21. Jahrhundert entstehen. Etwas mehr Pathos und weniger Bonner Bescheidenheit: In der Heimat stark und in der Welt führend.

Eine solche inhaltliche Schwerpunktsetzung mit Gesichtern verbunden, die sowohl Sicherheit und Stabilität ausstrahlen als auch Zukunft und Modernität, kann nur die Union aufbieten. Sie gibt den Menschen Richtung und Haltung.

Die Bundestagswahl wird eine Richtungswahl. In welchem Deutschland wollen wir leben? In einem national antiquierten, auf Verteilung ausgerichteten und gesellschaftlich stagnierenden Deutschland von Rot-Rot-Grün und AfD oder in einem weltoffenen, gesellschaftlich lebendigen und wirtschaftlich prosperierenden Deutschland? Es ist wieder Zeit, an der große Erzählung für unser Land zu arbeiten.

 

Der Aufsatz erscheint in Civis mit Sonde Winter/2016

Eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten

Eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten

Herr Voigt, wie ist Ihre persönliche Beziehung zu den USA? 
Ich habe dort über ein Jahr gelebt, Praktikum gemacht und meine Masterarbeit an der Jefferson-Universität in Virginia geschrieben. Während meiner Doktorarbeit über den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf bin ich durch zehn Bundesstaaten gereist und habe Demokraten und Republikaner interviewt. Das waren über 60 Gespräche, und zu vielen Partnern habe ich heute noch Kontakt.
Nun haben sie wieder – frei nach Kurt Tucholsky – das amerikanische Volk bei seiner Wahlvorbereitung beobachtet. Was genau machen Sie da?
Ich rede mit Demokraten, Republikanern und Experten. Zum Beispiel darüber, wie sich die demokratische Kultur in den Vereinigten Staaten geändert hat.
Wahlkämpfe in den USA sind stets pompöser und turbulenter als in Deutschland. Doch diesmal scheint sich das alles noch zu steigern, oder?
Die Stimmung bei den Amerikanern, die ich getroffen habe, ist so, dass sie möglichst schnell den Wahltermin hinter sich haben wollen. Sowohl Anhänger der Demokraten als auch der Republikaner wirken desillusioniert. Hillary Clinton und Donald Trump sind beides keine beliebten Kandidaten, bis hin in die eigenen Reihen. Ein Amerikaner hat mir gesagt, Trump habe der demokratischen Kultur im Land das Rückgrat gebrochen.

Es ist zu beobachten, wie schnell soziale Medien den Anstand und die Distanz verlieren lassen. Das hat die politische Kultur in den USA noch mal radikalisiert, von der Mitte weg.

Haben die Amerikaner bei diesen Präsidentschaftskandidaten so etwas wie die Wahl zwischen Pest und Cholera?
Das kann man sicher so sagen. Meine Favoriten waren andere Kandidaten. Aus deutscher Sicht ist Frau Clinton sicher positiver konnotiert. Es bleibt eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten. Bei Trump weiß man nicht, was man bekommt. Bei Clinton weiß man vielleicht, was man kriegt, aber mit ihr kommt eine große Menge Gepäck mit, zum Beispiel der Email-Skandal. Da gibt es Dinge, die wohl noch unter der Decke gehalten werden. Viele Amerikaner sagen deshalb: Wir wollen nicht das erleben, was wir schon bei ihrem Mann hatten – dass quasi zum Amtsantritt auch das Amtsenthebungs­verfahren startet.
Was ist nach Ihrer Beobachtung schlimmer: Die sexistische Haltung Trumps oder der sehr nachlässige Umgang Clintons mit geheimen Mails?
Es ist beides schlimm, aber auf unterschiedlichen Ebenen. Ich würde auch ungern von einem Menschen regiert werden, der das andere Geschlecht oder Minderheiten so niedermacht. Das ist eine Frage der Werte und des Stils. Bei Clinton kommt immer wieder durch, dass sie sich für etwas Besseres hält und andere Standards an sich legt. Normalerweise würde man ja gefeuert werden, wenn man hochgeheime Dokumente sorglos herumliegen lässt, Einschätzungen über Kriegssituationen über einen privaten Server leitet.
Wie kommt es denn, dass Hillary Clinton in deutschen Medien tendenziell besser wegkommt als Donald Trump? 
Das ist zunächst mal die Frage, wie man die USA in Deutschland wahrnimmt, auch in den hiesigen Medien. Man liest hierin Deutschland ja kaum amerikanische Medien.
Allgemein besteht bei uns eine hohe Skepsis, gerade in Ostdeutschland, wo man mit der Rhetorik und insbesondere mit der Mentalität vieler Amerikaner nicht so zurecht kommt. Clinton wirkt da deutlich moderater. Hinzu kommt die Symbolik, dass mit ihr die erste Präsidentin ins Weiße Haus einziehen könnte.
Mit Theresa May in Großbritannien, Angela Merkel bei uns und Hillary Clinton würden dann wesentliche Staaten der westlichen Welt von Frauen regiert.
Ja, das ist spannend. Allerdings hat Clinton aus dieser Konstellation viel zu wenig gemacht.
Dennoch: Wäre Hillary Clinton auch für Sie das kleinere Übel?
Definitiv. Um die transatlantischen Beziehungen muss man sich bei ihr keine Sorgen machen. Eigentlich kann das mit ihr nur besser werden, denn Barack Obama hat – im übertragenen Sinn – nicht so richtig gewusst, wo Europa liegt. Er hat in seiner Politik da andere Schwerpunkte gesetzt. Clinton ist berechenbarer.
Das wäre für Deutschland und Europa besser? 
Ich habe Amerikaner getroffen, die nach dem Brexit nun Deutschland für wichtiger halten. Das Handelslabkommen TTIP dürfte aber dennoch wohl kaum vor 2020 wieder aufgenommen werden, so der Eindruck auch bei Firmen in den USA.
Ein Amerikaner hat mir gesagt: We have overlook the Loosers, also: Wir haben die Verlierer übersehen. Das zielte auf die Globalisierung, die in den USA viel mehr Sorgen bereitet als bei uns. In Deutschland gibt es die geringste Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren, in den USA ist es genau umgekehrt. Dort gab es seit acht Jahren keinen Job-Zuwachs bei Menschen ohne College-­Abschluss. Das durchschnittliche Einkommen ist seit 15 Jahren nicht gewachsen. Viele Amerikaner haben deshalb das Gefühl, dass sich keiner um sie kümmert, dass das politische Establishment sie allein lässt.
Das nutzt Trump. Er nutzt das Potenzial der weißen Arbeiter, die glauben, es werde für Minderheiten und Kleingruppen mehr getan als für die Mehrheit der Gesellschaft. Wenn jemand zwei oder drei Jobs ausführen muss, um zu überleben, ist er anfälliger für populistische Themen.
Was ist denn Ihr Tipp, wer die US-Präsidentschaft gewinnt?
Es wird sehr knapp werden. Unsere Gruppe, zu der auch die CDU-Kollegen Gruhner, Tischner, Zippel und Herrgott gehörten, war in Virgina und North Carolina, einem der wesentlichen Staaten, die man gewinnen muss, will man Präsident werden.
Vielleicht gewinnt sogar Trump die meisten Stimmen bundesweit, verliert aber die Mehrheit der Wahlmänner in den Bundesstaaten.
Am Ende wird es Clinton wohl schaffen, denke ich, weil sie einen großen Vorteil hat im Bereich der Wählermobilisierung, digital und von Tür zu Tür. Gerade dies scheint Trump nicht sonderlich zu interessieren. Clinton hat so großen Vorsprung bei den freiwilligen Wahlhelfern und bei den Strukturen. In wahlentscheidenden Staaten ist sie viel präsenter als ihr Konkurrent.
Trump hat in einem Fernsehduell offen gelassen, ob er eine Niederlage akzeptieren würde. Wie groß ist die Sorge in den USA vor möglichen Unruhen?
Es gib durchaus sorgenvolle Blicke darauf, dass man die Geister, die man rief, mit dem Wahltag nicht los wird. Hinter dem Trumpschen Populismus existiert eine ganze Reihe von wirklichen Problemen. Den davon Betroffenen hat Trump eine Stimme gegeben. Es wird es sehr darauf ankommen, wie es Hillary Clinton als Präsidentin gelingt, die gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen, auch im Senat über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Clinton sollte auf die Republikaner zugehen – mehr als das es der sehr parteiische Präsident Barack Obama getan hat. Und die Republikaner wiederum sollten den Selbstreinigungsprozess ihrer Partei vorantreiben. Ich habe viele Republikaner getroffen, welche die nationalistische, isolationistische und xenophobe Richtung Trumps ablehnen. Trump hat mit seinen Aktionen nahezu die gesamte Bevölkerungsgruppe mit lateinamerikanischem Hintergrund gegen sich aufgebracht.
Was können wir Deutschen vom Wahlkampf in den USA lernen? Und was sollten wir besser nicht lernen? 
Was man lernen kann ist, die Probleme, die oft als „Rendezvous mit der Globalisierung“ bezeichnet werden, offen anzusprechen. Wie steht es um die soziale Mobilität? Profitieren alle vom Wirtschaftswachstum? Geht es um Einzelinteressen oder um das Große und Ganze? Wichtig ist auch die Sprache. Man muss versuchen, den Leuten aufs Maul zu schauen, ohne ihnen aber nach dem Munde zu reden. Bei der Frage, wie man Wahlkampf macht, geht es auch darum, dass man Bürger direkt anspricht – digital und von Tür zu Tür. Mit Themen, die sie interessieren, die stärker an den Fragen und Sorgen der Menschen orientiert sind. Ein dritter Aspekt ist der Umgang mit populistischen Bewegungen. Da kann man von den USA sehr stark lernen, wie man es nicht macht. Für uns in Deutschland kommt es darauf an, aus den großen Ballons der politisch rechten und der linken Seite die Luft herauszulassen.
Was machen Sie mit den Erkenntnissen? 
Im nächsten Jahr gebe ich gemeinsam mit einer Berliner Kommunikationswissenschaftlerin ein weiteres Buch heraus, das den US-Wahlkampf auf Seiten der Demokraten und der Republikaner analysiert.
Zudem arbeite ich dafür, dass Unternehmen aus Thüringen ihre Produkte leichter in den USA einführen können, neue Märkte erschließen oder Amerikaner hier investieren. Dafür habe ich mich mit der Außenwirtschaftseinrichtung Deutschlands in den USA getroffen – Germany Trade and Invest.
Gespräch: Wolfgang Schütze
OTZ 05.11.16 OTZ

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