Für die USA gilt: Sag mir, was Du glaubst und ich sage Dir, was Du wählst.

Aus der Sicht vieler Europäer sind die Amerikaner verwirrend religiös. Im Gegenzug betrachten viele Amerikaner die Europäer als unerklärlich weltlich. Und in der Tat, gibt es keine westliche Demokratie, die so religiös gebunden ist wie die USA. Rund 90 Prozent der erwachsenen Amerikaner bekennen, an Gott zu glauben. Zwei von drei Bürgern beten jeden Tag, besuchen regelmäßig Gottesdienste und sehen Religion als sehr wichtigen Teil ihres Lebens an. Den gesellschaftlichen amerikanischen „melting pot“ prägen ganz unterschiedliche Religionen: Protestanten, Katholiken, Juden, Mormonen, Muslimen, Buddhisten, Hindus und Anhängern anderer Glaubens-Traditionen.

Religion in Amerika

Bei aller Vielfalt bleiben die USA ein zutiefst vom Protestantismus geprägtes Land. Historisch waren es die Siedler verschiedener evangelischer Gruppen, die auf ihrer Suche nach einem Platz für religiöse Freiheit im 17. und 18. Jahrhundert ihren Weg in die USA fanden. Fast ausschließlich europäischer Herkunft gaben sie den USA als der First New Nation ihre demokratische Gestalt. Daraus formte sich auch ein Kirchenverständnis, welches sich weitgehend von dem europäischen Staatskirchentum unterscheidet. Durch das First Amendment und bundesstaatliche Gesetze entstand ein wettbewerbsorientierter religiöser Markt, in dem munter Kirchen, Gruppen und Sekten miteinander konkurrieren. Typisch amerikanisch, der Markt übertrifft Monopole, vor allem staatlich unterstützte.

Die bewusste Trennung von Kirche und Staat erschuf die „Demokratisierung“ der amerikanischen Religion – einen religiösen Stil, in dem jede erdenkliche religiöse Neigung ihre Nische fand und religiöse Ansichten und moralische Vorstellungen eng verwoben sind. Ironischerweise wuchs daraus ein Erwartungswert an politische Verantwortliche. Bis heute kann man kaum ein öffentliches Amt begleiten, ohne den Wählern versichert zu haben, wie religiös man ist. Es verwundert nicht, wenn 91 Prozent der Mitglieder des neu gewählten amerikanischen Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) angeben, Christen zu sein, verglichen mit 71% der amerikanischen Bevölkerung. Religion spielt also auch bei den Wahlen ihre Rolle.

Religion und die Wahlen 2016

Der Wahlausgang der Präsidentschaftswahlen überraschte. Der Wahlkampf hätte aus der Feder der „House of Cards“-Autoren stammen können: Der Multimillionär Trump gewinnt die Nominierung und die Hauptwahlen, obwohl er – dreimal verheiratet – öffentlich xenophob und frauenfeindlich redete, seine Steuererklärung versteckte und im Fernsehen über seine nicht nur ökonomische Potenz fabulierte. Nicht gerade der Idealtypus für wertegebundene, religiös geprägte Wähler. Und dennoch weisen die Wahltagsbefragungen 2016 (Exit Polls) kaum Veränderungen bei den religiösen Gruppen zu den vorherigen Präsidentschaftswahlen auf.

In gewisser Weise blieben die Grundmuster von Religion und Politik in den USA unverändert. Einige religiöse Gruppen (einschließlich evangelischer Protestanten und Mormonen) unterstützen in der Regel die republikanische Partei, während andere Gruppen (einschließlich Juden, religiöse „Ungebundene“, hispanische Katholiken und Kirchenmitglieder, die der historisch schwarzen protestantischen Tradition angehören) eher demokratisch sind.

Auch im Wahljahr 2016 stimmten acht von zehn weiße evangelische Christen für Trump, während gerade 16% sich für Clinton aussprachen. Trump reihte sich in seinem Vorsprung bei weißen evangelischen Wählern, bei weißen Katholiken oder Mormonen in die Erfolge von George W. Bush im Jahr 2004, John McCain im Jahr 2008 und Mitt Romney im Jahr 2012 oder übertraf sie sogar. Weiße Katholiken unterstützten Trump über Clinton (60% bis 37%) und damit gewann er auch mit 7 Prozentpunkten Vorsprung „the catholic vote“, obwohl „Hispanic Catholics“ Clinton mit 41 Prozentpunkten (67% bis 26%) vor Trump wählten. Wie die hispanischen Katholiken waren auch Wähler jüdischen Glaubens (71%) und „nicht-gläubige“ Wähler starke Clinton-Unterstützer (70%). Bei den meisten Menschen anderer Glaubensrichtungen als dem Christentum lag Clinton 62%-29% deutlich vor Trump.

Ein wesentliches Merkmal für die Prognose, wie ein Amerikaner politisch tickt, ist seine Kirchgangshäufigkeit. Laut Wahltagsbefragung sprachen sich die meisten wöchentlichen Kirchgänger für Trump aus (56%-40%). Je weniger regelmäßig die Wähler in die Kirche gehen, umso stärker lässt das auf demokratische Unterstützung schließen. Waren noch sporadische Kirchgänger gleich verteilt in ihrer Wahlentscheidung unterstützten Kirchgangsmuffel Clinton mit einem 31-Punkte-Vorsprung zu Trump (62% bis 31%). Die Ergebnisse entsprechen in etwa historischen Erfahrungen.

Wie geht es weiter?

Bei allen Kontinuitätslinien wirken gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf die Wählerschaft, besonders bei den sogenannten „millenials“. So ändern sich Meinungsbilder zu Homosexualität oder bleiben wie bei dem Nein zur Abtreibung relativ stabil. Das wird langfristig auch Spuren im öffentlichen Diskurs und im Wahlverhalten finden.

Dessen ungeachtet wird Religion in der Politik der USA weiterhin eine große Rolle einnehmen – angefangen bei der politischen, teils religiös aufgeladenen Sprache, über offene religiöse Bekenntnisse von Politikern bis zur aktiven Wählerhilfe evangelischer Mega-Kirchen im Süden. Und dies scheint für die Amerikaner auch okay zu sein. Religion beeinflusst ihr tägliches Leben und führt zu einem deutlich höherem ehrenamtlichen, häufig auch für politische Kampagnen arbeitenden,  Engagement. Es überrascht nicht, dass jede Woche ein Fünftel der Amerikaner ihren Glauben online diskutieren, in religiöses Talk Radio hören, religiöse Fernsehprogramme oder christliche Rockmusik einschalten.

In einer groß angelegten Studie des angesehene Pew Instituts sagten drei Viertel der erwachsenen Amerikaner, dass sie Gott für etwas in der vergangenen Woche gedankt haben (Pew 2015). Spontan fällt einem in Europa kein Staat ein, wo eine Befragung dies aufweisen könnte. Es ist Zeit, von manchem hohen „moralischem Roß“ der Weltpolitik abzusteigen und uns zu fragen, ob wir im religiösen Dialog nicht auch etwas von dem freiheitlichen und offenen Amerika lernen können. Fernab von Diskussionen über Donald Trump oder TTIP.

 

so erschienen in: Wartburg-Kurier, Ostern 2017

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