High Tech mit High Touch – Mit App im Wahlkampf

High Tech mit High Touch – Mit App im Wahlkampf

Tür-zu-Tür und App – der Wahlkampf ist High Tech mit High touch. Ob aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf oder asiatischen Kampagnen sind sie bekannt: Die kleinen technischen Hilfsmittel, die Informationen zu potentiellen Wählern geben, Laufrouten optimieren oder die Kontaktaufnahme erfassen. Doch was bieten die Parteien an neuen Applikationen auf, um ihre Wahlkämpfer Tür-zu-Tür zu unterstützen?!

 

Praktisch alle Parteien greifen auf Apps zurück, um ihre inhaltlichen Positionen zu verbreiten. Es gibt im Bundestagswahlkampf bisher nur drei Parteien, die ihre Tür-zu-Tür Wahlkämpfer mit einer App unterstützen. Damit wird der Wahlkampf vor Ort organisiert, Zwischenstände und Anfragen zentral zurückgemeldet oder einfach nur die Botschaft des Tages in den sozialen Medien verbreitet.

  1. SPD: „Tür-zu-Tür-App“

Bei der SPD dominiert der laufende Fragebogen. Sie bietet Wahlkämpfern die Möglichkeit, einen Fragebogen jeweils zu Politikthemen und Kandidaten aufzurufen. Die Antworten des Bürgers können direkt an der Tür oder später eingetragen werden. Es geht nach thematischen Interessen, der SPD-Wahl-Wahrscheinlichkeit oder der Absicht, am 24.9. seine Stimme abzugeben. Es gibt zwei Möglichkeiten (Kandidaten oder Themen) mit jeweils drei Fragen. So entstehen einfache Handlungsanleitungen für das Türgespräch – ein kleiner Leitfaden.

Frage in der SPD-App

Die App ist eine responsive Internetseite; quasi „ein Online-Formular“ durch welches dann der Kandidat Informationen über den politischen Puls seiner Wahlkreisregion erhält. Im SPD-eigenen Vorwärts heißt es dazu: „Und sie werden über die Bundestagswahl hinaus gespeichert. So kann auch in künftigen Wahlkämpfen auf bestehende Informationen zurückgegriffen werden.“

  1. Linke: App „Partisanin“

App der Linken

Bei der Linken geht es mit der App „Partisanin“ um den Häuserkampf. Sie ist nur als Web-App verfügbar und last minute für den Bundestagswahlkampf fertig geworden. Eine native Smartphone-App soll mittelfristig in Planung sein. Herzstück ist eine Karte, wo Nutzer ihre Aktionen eintragen. So markiert man bspw. wo Wahlkampfplakate hängen oder bewertet mit Schulnoten einzelne Häuserblöcke, um die Empfänglichkeit der dort lebenden Wähler für Tür-zu-Tür-Wahlkampf zu erfassen. Perspektivisch sollen sich die Nutzer untereinander messen können und dafür Punkte erhalten.

Strassenmarkierung in der App

Der Zugang ist limitiert und erfolgt über QR-Code Scan im Wahlkampfbüro oder bei einem User, der die App schon hat. Interessant ist der OpenSource-Gedanke: der Quellcode wird veröffentlicht.

  1. CDU: „connect17-App“

Die CDU verknüpft in ihrer Connect17-App den Haustürwahlkampf mit digitalen Anspracheformen. Über ein Facebook-Login bedienen die Nutzer eine App, die für die TzT-Ansprache und für die Social Media Mobilisierung gedacht ist. Nutzer erfassen ihre Tür-zu-Tür Aktionen und geben Rückmeldung über positive oder reservierte Wählerkontakte. Zudem können sie datenschutzrechtlich validiert, Unterstützer erfassen oder Nachfragen von Bürgern aufnehmen. Gleichzeitig können die Nutzer Nachrichten an ihre Freunde in die relevanten sozialen Netzwerke pushen.

Apps helfen beim Wahlkampf

Die CDU setzt auf Gamification: für jedes Gespräch gibt es virtuelle Punkte. Man kann eine Ladder of Engagement erklimmen – vom Neuling zum Kanzlerinnenmacher. Der Wettbewerbscharakter wird durch unterschiedliche Missionen angespornt. Ob „Hans Dampf in allen Gassen“ (60 Türen) bis zu „Netzwerker“ (20 Social Media Shares) – jede kann entsprechend mithelfen, Angela Merkel zur Kanzlerin zu machen. Apropos, den zehn fleißigsten Helfer winkt ein Gespräch mit der Kanzlerin.

Die App kam bereits bei den Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zum Einsatz und ist somit schon wahlkampferprobt.

High tech für high touch

Big Data Wahlkampf oder Microtargeting? Viel wird über die Möglichkeiten in den USA oder UK geschrieben. In Deutschland kommen die Parteien mit den harten Datenschutz-Regeln aus und entwickeln dabei ihre eigenen Lösungsansätze. Sie identifizieren Potentialregionen (SPD, CDU), motivieren ihre Unterstützer mit App Fragen zu stellen (SPD), Wahlplakate zu erfassen (Linke) oder für die Wahl an der Tür oder in Social Media (CDU) zu werben.

Allen wahlkämpfenden Parteien ist der langfristige Ansatz klar. Die Bundestagswahl ist der Beginn des intensiven, direkten Wählerdialogs. Potentiale erkennen und pflegen. Technologische Lösungen wie Apps helfen zu strukturieren, Hilfestellungen zu geben oder auch durch Gamefication die Unterstützer anzuspornen. Ein App bleibt aber ein Instrument. Sie ersetzt nicht das persönliche Gespräch, den überzeugenden Kandidaten und den gewinnenden inhaltlichen Standpunkt.

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Wahl schon gelaufen? Wann entscheiden die Wähler?

Wahl schon gelaufen? Wann entscheiden die Wähler?

Timing is everything. Doch wann entscheiden eigentlich die Deutschen ihre Wahl? Zwei Trends lassen sich ablesen: frühe Wähler und späte Entscheider.

Timing der Entscheidung

Das Timing der Wahlentscheidung ist für die Wahlkampfanstrengungen der Kampagnen erheblich. Es ist die landläufige Ansicht, dass die Kampagnen zum Schluss hin steigern, um dann am Wahltag erfolgreich zu sein. Darauf konzentrieren sich die Parteien in der heißen Wahlkampfphase, die üblicherweise sechs Wochen dauert. Die Kampagnen wollen eine Geschichte erzählen. Mit Broschüren, mehr Großflächen, mehr Online, mehr Veranstaltungen. Doch entscheiden sich die Deutschen erst am Wahltag?

Frühe Wähler: Kleine Parteien profitieren

Ein größerer und wachsender Teil gibt seine Stimme bereits deutlich vorher – manchmal schon vier Wochen vor dem Wahltag ab. Dies sind meist die früh festgelegten Wähler. Bei der Bundestagswahl 2013 gaben 14 % an, dass sie immer dieselbe Partei wählen würden. Zudem entschieden sich 33 % der Wähler bereits „vor längerer Zeit“. Diese Wählergruppen nutzen ihr Wahlrecht häufig sehr frühzeitig.

Zeitpunkt der Entscheidung

Die Bürger dürfen ab sechs Wochen vor dem Wahltag ihre Stimme abgeben, also per Briefwahl oder Voraus-Wahl. Davon machen immer mehr Wähler Gebrauch. Bei den Bundestagswahlen ist schon jeder vierte Wähler Briefwähler. 2013 beantragten 11,3 Millionen Bürger den Wahlschein, 10,8 Millionen gaben ihn tatsächlich auch ab. Briefwählen ist ein wachsender Trend, 2013 lag der Briefwähleranteil bei 24 Prozent – ein Rekord. Er lag fast drei Prozent höher als 2009. Bei der Wahl 2017 wird der Anteil wohl noch weiter steigen.

Für CSU, Grüne und FDP ist die frühe Wahl ein wichtiger Seismograph. Ein Drittel ihrer Wähler stimmt nicht am Wahltag ab. Champion der frühen Wähler ist die CSU, bei der mehr als jeder dritte Wähler (34,7%) postalisch oder vorher auf dem Amt abstimmt. Auch FDP (31,1 %) und GRÜNEN (28,9 %) erhalten ihre Stimmen mit dem Wahlbrief. Erstmals lagen 2013 die Volksparteien CDU und SPD im Briefwahlverhalten gleichauf. Fast jeder vierte Wähler (23,1%) gab ihnen seine Stimme per Brief. Blickt man auf die Union, dann wird die Bedeutung der frühen Wähler augenscheinlich: Am Wahltag 2013 gaben 13.597.199 Deutsche ihre Stimme der Union. Bereits in den Wochen zuvor wählten 4.568.247 Deutsche die CDU/CSU.

Im Vergleich zur Bundestagwahl 2009 wuchs der Anteil der frühen Wähler für die Union um mehr als 1 Mio. Bürger an. Zudem vergrößerte sich der Abstand zur SPD von 1,5 Mio. (2009) auf fast 2 Mio. mehr Briefwähler.

Unter ihnen gibt es recht viele, die von vorherein wissen, dass sie per Brief wählen werden. Es gibt für sie also keinen Grund zu warten – vor allem dann nicht, wenn sie zu diesem Zeitpunkt schon sicher sind, wen sie wählen wollen. Sie beantragen ihren Wahlschein sofort. Deshalb gibt es zu Anfang der Frist, in der eine Briefwahl möglich ist, gleich eine Spitze in der Teilnahme. Das Problem für die Parteien ist: Wenn die Zeit der konventionellen Wahlwerbung beginnt, haben die Wähler schon ihre Wahlbenachrichtigungskarten bekommen und fangen an zu wählen, ohne dass sie von der Wahlkampfkommunikation erreicht werden. Nach zwei Wochen flacht die Kurve der Briefabstimmungen ab. In den letzten ein, zwei Wochen vor dem Wahltag steigt sie wieder steil an. Das sind diejenigen Wähler, die am Wahltag kurzfristig etwas anderes vorhaben.

Späte Entscheider

Der große Bruder der frühen Wähler sind die späten Entscheider.

Aus Wahlverhaltensstudien über Spätentscheider  wissen wir: Mehr als jeder dritte Wähler ist Spätentscheider. Er entscheidet sich in den letzten zehn Tagen vor der Wahl. Darunter sind klassische Parteiwechsler: tendenziell politisch interessierte Bürger, die im Laufe des Wahlkampfs die bevorzugte Partei wechseln. Wen sie wählen, hängt davon ab, wie die Kommunikation verläuft. Gut die Hälfte der Spätentscheider entscheidet sich erst am Wahltag. Dies sind sehr Unentschlossene, tendenziell Menschen, die kaum Interesse an Politik haben. Sie entscheiden darüber, ob sie überhaupt wählen – sie können also schnell zum Nichtwähler werden – und wen sie wählen.

Wen wählten Spätentscheider

Bei der Bundestagswahl 2013 fällten insgesamt 32 % der Wahlberechtigten erst in den letzten Tagen vor der Wahl eine Entscheidung über ihre Stimmabgabe. Diese rund 20 Millionen Spätentscheider sind für die Parteien ein hochinteressanter und starkumkämpfter Wählerpool, der über Sieg und Niederlage entscheiden kann.

Gründe für die späte Wahlentscheidung liegen bspw. bei den zahlreichen Erstwählern, die sich bis zum Wahltag noch eine eigene Meinung bilden und bei den taktischen Wählern, die abhängig von der letzten Prognose ihre präferierte Koalitionsoption zum Wahlsieg verhelfen wollen.

Gelänge es einer Partei die gesamte Gruppe der Spätentscheider für sich zu gewinnen, sei es mit inhaltlichen Argumenten oder durch äußere Einflüsse, würde man mit Abstand die stärkste Fraktion im neuen Bundestag stellen.

2013 konnte die CDU den größten Teil der Spätentscheider von den eigenen Inhalten überzeugen. Mit 34 % gelang ihr jedoch weitaus weniger Stimmen zu holen als beim Gesamtergebnis. Auf dem zweiten Platz folgt die SPD mit 26 %. Betrachtet man die Ergebnisse der anderen Parteien (Linke 10 %, Grüne 9 %, FDP 5 %) ergibt das ein vom amtlichen Endergebnis kaum abweichendes Bild. Wenig überraschend, handelt es sich doch um ein Drittel der Wahlberechtigten.

Der Wahlkampf und vor allem das richtige Timing werden durch Briefwähler, Nichtwähler und vor allem Spätentscheider immer komplexer. 2013 haben 47 % der Wähler ihre Entscheidung schon vor der heißen Phase des Wahlkampfes getroffen. 32 % trafen sie erst in den letzten Tagen bis zum Wahlsonntag während der Zeit von Tür-zu-Tür, Plakaten und Wahlkampfständen. Die Parteien und Kandidaten müssen bis zuletzt um jede Stimme kämpfen.

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Warum Briefwahl unterschätzt wird – 5 Fakten

Warum Briefwahl unterschätzt wird – 5 Fakten

Immer mehr Deutsche tun es. Briefwahl. Mehr als jeder vierte Wähler entscheidet sich von Zuhause aus. Wie sind die Fakten und was heißt das für die Wahlkämpfer?

Der Wahlkampf nimmt an Fahrt auf. Großflächen, Plakate und Veranstaltungen beginnen. Der Grund: In diesen Tagen erhalten die Wähler ihre Wahlbenachrichtungen und können beginnen, ihre Stimmen abzugegeben. Zwar ist der Wahltermin erst am 24.9.2017. Doch immer mehr Deutsche wählen deutlich vor dem eigentlichen Wahlsonntag. Die Gründe sind vielfältig: Arbeit, Urlaub oder Gewohnheit.

Seit der Bundestagswahl im Jahr 1957 ist Briefwahl möglich. Seit fünf Jahren geht dies sogar ohne Begründung. Vorher gab es nur die Möglichkeit, mit einem Hinderungsgrund den Gang zur Urne zu vermeiden und stattdessen per Brief zu wählen. Wer krank war oder zu den Öffnungszeiten der Wahllokale arbeiten musste, konnte Briefwahl beantragen. Studien in den USA, im internationalen Vergleich und Deutschland beschäftigen sich mit den Auswirkungen.

Fünf Trends lassen sich über das Briefwahlverhalten der Deutschen anhand der repräsentativen Wahlstatistik ablesen:

  1. Immer mehr Deutsche tun es: Briefwahl

Anteil der Briefwähler seit 1957

Immer mehr Deutsche entscheiden sich zu einer Stimmabgabe per Brief. Fast jeder vierte Deutsche wählt per Brief vor dem eigentlichen Wahltag. Der Anteil der Briefwähler lag bei der Bundestagswahl 2013 mit 24,3 % um 2,9 Prozentpunkte höher als bei der Bundestagswahl 2009. Er erreichte den höchsten Wert seit Einführung der Briefwahl 1957. Der Trend zur verstärkten Nutzung der Briefwahl hält unvermindert weiter an. Die Steigerung von Wahl zu Wahl beträgt rund 2-3 Prozent. Insgesamt stimmten 2013 in Deutschland 10.758.677 Bürger per Brief ab.

  1. Kleine Parteien stark, große Parteien mit Reserven

Stimmen der Briefwähler nach Parteien

Für CSU, Grüne und FDP ist die Briefwahl ein wichtiger Seismograph. Ein Drittel ihrer Wähler stimmt nicht direkt am Wahltag ab. Briefwahl-Champion ist die CSU, bei der mehr als jeder dritte Wähler (34,7%) postalisch oder vorher auf dem Amt abstimmt. Auch FDP (31,1 %) und GRÜNEN (28,9 %) erhalten ihre Stimmen mit dem Wahlbrief.

Erstmals lagen 2013 die Volksparteien CDU und SPD im Briefwahlverhalten gleichauf. Fast jeder vierte Wähler (23,1%) gab ihnen seine Stimme per Brief. Blickt man auf die Union, dann wird die Bedeutung der Briefwahl augenscheinlich: Am Wahltag 2013 gaben 13.597.199 Deutsche ihre Stimme der Union. Bereits in den Wochen zuvor wählten 4.568.247 Deutsche die CDU/CSU per Brief.

Im Vergleich zur Bundestagwahl 2009 wuchs der Anteil von Briefwähler für die Union um mehr als 1 Mio. Bürger an. Zudem vergrößerte sich der Abstand zur SPD von 1,5 Mio. (2009) auf fast 2 Mio. mehr Briefwähler.

  1. Briefwähler unterscheiden sich nach Bundesländern

Man weiß nicht, was die Deutsche Post im Norden und Osten der Republik anders macht als im Süden oder Norden. Eines ist klar: Die Briefwahlquoten unterscheiden sich zwischen den Bundesländern deutlich. Zwischen den Bundesländern liegen 20 Prozent Unterschied bei der Briefwahl. Als generelle Faustregel darf gelten: Hoher Briefwahlanteil im Westen und Süden; geringerer Anteil an Briefwahl im Norden und Osten.

Briefwahl nach Bundesländern

Bei der Bundestagswahl 2013 lag der Briefwähleranteil insbesondere in Hamburg und Bayern mit 30,6% bzw. 35,3% deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Außerdem schnitten Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz leicht über dem Durchschnitt ab. Besonders gering fiel der Briefwähleranteil 2013 in Schleswig-Holstein (17,9%), Brandenburg (15,9%), Sachsen-Anhalt (15,2%), Sachsen (16,4%) und Thüringen (16,2%) aus. Das Wachstum des Briefwähleranteils liegt mit unter 1% von der Wahl 2009 zu 2013 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen deutlich unter dem Bund mit 2,8%.

  1. Briefwähler verstärkt in den Städten

Je städtischer es ist, umso höher fällt die Briefwahl aus. Bewohner in Städten nutzen Briefwahl häufiger als im ländlichen Raum. Während in eher ländlichen Wahlkreisen der Briefwähleranteil bei durchschnittlich 23,2 Prozent lag, kamen die Wahlkreise, die Städte mit mehr 250.000 Einwohnern einschließen, auf 27,3 Prozent. Gerade die Großstädte München, Hamburg oder Köln kommen auf Werte zwischen 30 und 40 Prozent.

Und da ergeben sich auch Chancen und Herausforderungen für die Parteien. Während die Union in den größeren Städten häufig unterdurchschnittliche Gesamtergebnisse einfährt, liegt das Ergebnis bei Briefwählern besser. So schnitt die Union in den größeren Städten bei den letzten Bundestagswahlen 2009 und 2013 in der Briefwahl zwischen 3,5 und 6 Prozentpunkte höher als am Wahltag. Den gegenteiligen Trend sieht man bei der Performance der Sozialdemokraten. Ihre Ergebnisse bei der Briefwahl in den Städten war sowohl 2009 als auch 2013 2-3 Prozentpunkte hinter dem Wahltag.

  1. Bayrische Wahlkreise sind Briefwahl-Spitze

Besten und schlechtesten Briefwahlkreise

Die Bayern mögen das Wählen per Post. Alle zehn der Wahlkreise mit den höchsten Anteilen an Briefwähler finden sich in Bayern. An der Spitze steht der Wahlkreis 229 (Passau) mit einem Anteil von 43,2 %. Natürlich muss man die Landtagswahlen in Bayern und das Hochwasser 2013 berücksichtigen, aber dennoch gilt der Trend im Bayern auch in den Wahlen zuvor. Die zehn Wahlkreise mit den geringsten Anteilen an Briefwählern weisen Anteile zwischen 11,9 % und 13,5 % auf. Die ersten neun dieser Wahlkreise befinden sich in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg und somit alle in neuen Bundesländern. Der Wahlkreis mit dem geringsten Briefwahlanteil aus einem der alten Bundesländer findet sich an zehnter Stelle und ist in Niedersachsen.

Nimmt man alle Wahlkreise in den Blick, so ist in über 70 Prozent der Wahlkreise mehr als jeder Fünfte Briefwähler. Dieser Wert lag bei der Bundestagswahl 2009 noch bei knapp 54 Prozent. In mehr als der Hälfte der 299 Bundestagswahlkreisen (158) lag der Wert zwischen 20-30 Prozent. In 56 Wahlkreisen machte die Briefwähler sogar mehr als ein Drittel der Wähler aus.

Strategischer Ansatz der Parteien: Mobilisierung bevor der Wahlkampf richtig beginnt

Die Briefwahl wächst an. Die Deutschen wählen aus ganz unterschiedlichen Gründen per Brief. Arbeit, Urlaub oder ungestörtes Abstimmen von Zuhause – Umfragen aus dem Jahr 2013 legen ganz unterschiedliche Motive offen.

So gibt ein größerer Teil die Abwesenheit durch Urlaub oder einen Termin am Wahltag an. Fast ein ähnlich großer Anteil wählt aus Bequemlichkeit von Zuhause. Zudem bewegen verschiedene Wähler auch die ungestörte Abwägung über die Wahlentscheidung in den heimischen vier Wänden. Dies deckt sich mit Studien in den USA. Dort gaben Briefwähler an, gerne nochmal zuhause Wahlwerbung zu sichten, sich Zeit für die Wahlentscheidung zu nehmen oder auch nicht in den langen Schlangen an den Wahllokalen stehen zu müssen.

Für die Parteien ergeben sich strategische Fragen daraus:

  • Mancher Wahlkreis wird über die Briefwahl entschieden.

Wenn es knapp zugeht, entscheidet die Performance. Und da gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Parteien bei Brief- und bei Urnenwahl. Die CSU erzielte bei Briefwahl 10,6 während sie am Wahltag 6,4 Prozent erreichte. Die CDU und die SPD errangen am Wahltag 2013 rund 2 Prozentpunkte mehr als während der Briefwahlphase. Die FDP 6,1% und die GRÜNEN 10,0% profitieren von der Briefwahl.

Unterschied zwischen Brief- und Urnenwählern

Historisch betrachtet lag bei jeder Bundestagswahl seit 1990 das Briefwahlergebnis bei der CSU über dem Wahltagsergebnis. Dagegen erzielte die CDU bei den beiden vorherigen Bundestagswahlen etwas höhere Ergebnisse bei der Brief- als bei der Urnenwahl (2005: 30,7-27,1; 2009: 28,0-27,1). Die SPD ist bei der Briefwahl beständig schlechter gewesen, verringert aber den Abstand.

  • Storytelling interrupted: Unsicherer Zeitpunkt der Wahlentscheidung

Landläufig steigern die Wahlkampfkommunikatoren den Werbedruck zum Wahltag hin. Sie wollen eine Geschichte erzählen. Mit Broschüren, mehr Großflächen, mehr Online, mehr Veranstaltungen. Doch was macht man, wenn sich ein größerer Teil bereits vor dem Wahltag entscheidet und manchmal auch schon vier Wochen vor dem Wahltag. Keine choreografierte Wahlkampfgeschichte. Der Bürger hat seine Stimme schon vergeben. Studien legen ein Wahlverhalten nahe, bei dem Briefwähler bereits sehr frühzeitig ihre Stimme abgeben. Da kommen Tür-zu-Tür und digitale Mobilisierung ins Spiel. Die direkte Ansprache wirkt weit bevor der offizielle Kampagnen-Startschuss und die Sichtbarkeit hergestellt ist.

  • Informieren und Applaudieren: Den Bürger unterstützen

Um Briefwähler frühzeitig zu erreichen, gehen die Parteien Tür-zu-Tür und informieren im Netz über die Möglichkeit der Briefwahl. Die CDU wirbt mit eigener recherchierbarer Datenbank unter briefwahl17.de . Auch SPD und Grüne bieten Infos. Und die unabhängige Initiative Sonntag-hab-ich-was-besseres-vor applaudiert der demokratischen Teilhabe. Studien belegen, dass Bürger die soziale Anerkennung lieben. Also, „I voted“ oder „Ich habe gewählt“ wäre in international bewegten Zeiten der richtige Applaus für die Briefwähler. Zumal in den sozialen Medien der Mobilisierungseffekt nachhallt.

Die Briefwahl ist ein wichtiger Bestandteil des Wahlkampfes geworden. Ohne eigenes Campaigning zur Briefwahl entgehen den Parteien wertvolle Stimmen – und sie zählen genauso wie am Wahltag.

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Trends im Wahlkampf: Von Tür-zu-Tür bis Digital

Trends im Wahlkampf: Von Tür-zu-Tür bis Digital

Der Sommer lässt in Deutschland noch auf sich warten, der Wahlkampf beginnt heißer zu werden. Weniger als 60 Tage bis zur Bundestagswahl. Doch was sind die Trends in der Wählerkommunikation?

Ganz klar: Die persönliche Ansprache ist der Wahlkampftrend 2017 – Tür-zu-Tür und Digital.

Politik ist Kontaktsport. Wer in Zeiten von Erdogan, Brexit und Fake News das Herz der Wähler gewinnen will, muss den direkten Draht suchen. Bei all den existierenden Medienkanälen findet die glaubwürdigste Kommunikation Mensch zu Mensch statt. Mit Apps, E-Mail oder Social Media verschmelzen persönliches Gespräch und digitale Ansprache. Die Mobilisierung und direkten Wähleransprache sind en vogue und nicht nur in Deutschland Trend.

International sieht Wahlkampf ähnlich aus:

USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland – direkte Wähleransprache Tür-zu-Tür und digital bestimmen die Wahlkämpfe.

Wichtige Fragen für die Mobilisierung

Bei der direkten Ansprache von Tür-zu-Tür oder der digitale Kommunikation sind verschiedene Punkte wichtig.

  • Was bringt es überhaupt Wähler direkt zu kontaktieren?
  • Welche praktischen Erfahrungen und Beispiele gibt es?
  • Und was sagt die Wissenschaft zur direkten Wählerkommunikation?
  • Was müssen Wahlkämpfer beachten?
  • Gibt es bessere oder schlechter Zeitpunkte der Ansprache?
  • Auf welche Daten und KPIs schielen die Wahlkämpfer bei der direkten Ansprache?
  • Welche Ähnlichkeiten und welche Unterschiede lassen sich international erkennen?

In einer Miniserie „Trends im Wahlkampf: Von Tür-zu-Tür bis Digital“ gehen wir an dieser Stelle den Fragen bis zur Bundestagswahl nach.

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Big Data, Anger Points und digitaler Wahlkampf

Big Data, Anger Points und digitaler Wahlkampf

Microtargeting, Psychologisches Targeting oder Datamining. Big Data sind Teil der DNA politischer Kommunikation. Besonders in den USA. Was schon George W. Bush und Barack Obama nutzen, perfektionierte die Trump-Kampagne. 2016 war die erste Wahl, wo Wähler individuell analysiert und emotional direkt angesprochen wurden. Digitale Kommunikation und Big Data transformierten 2016 im amerikanischen Wahlkampf die Wähleransprache.

Die drei Big Data und Digital Campaigning Trends aus dem US-Wahlkampf.

  1. Find the Anger Points – Big Data Targeting

Während bereits Bush 2004 unterschiedliche soziographische, psychographische und lebenstilbezogene Daten kombinierten, ließ Obama bereits jede Nacht über 60.000 Simulationen laufen, um Wählerverhalten und psychologische Reaktionsmuster vorherzusagen. Trump ging 2016 mit Cambridge Analytica einen Schritt weiter. Die sozialen Medien boten ihm nicht nur die Möglichkeit der Analyse der Daten, sondern sie gab ihm auch das Instrument wählergenau, in Echtzeit individuelle Botschaften auszuspielen. Dem „gigantischen Wählertelefonbuch“ in den Datenbanken fügte man durch Online- Befragungen Informationen zum politischen Verhalten, zu Einstellungen und Sorgen hinzu. So identifizierten sie inhaltliche und mentale „Anger Points“, welche die Wahlentscheidung der jeweiligen Personen motivieren. Die sozialen Medien boten eine ideale Spielwiese, um durch Verhaltensdaten (Likes) Emotionen, Sorgen und Hoffnungen nachzuspüren und sie gezielt anzusprechen.

Drei Zahlen mögen dies verdeutlichen. 2012 nutzte Obama 9 Wählersegmente. Als Cambrigde Analytica 2015 für Cruz zu arbeiten begannen, entwickelten sie allein für Iowa 176. Landesweit gab es über 1.800 Wählersegmente.

So gab es erstmals eine cross-device Wähleridentität mit modernem Targeting durch vollumfängliche Datenprofile in den heiß umkämpften Battleground-States.

  1. Wähleransprache in Echtzeit

Wenn man weiß, wen man wie anspricht, dann kann man tagesaktuell Emotionen und Themen aufgreifen. Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 war die erste Wahl, die in Echtzeit über alle Kanäle gleichzeitig und im ganzen Land geführt wurde. Vor allem im digitalen Bereich erfolgte die Anpassung und der Einsatz der Ressourcen in Real-Time. 

Iwaehlerregistrierungn der Phase der Wählerregistrierung bspw. werteten die Kampagnen die Google-Suchen auf Stimmbezirksebene aus. Bei hohen regionalen Suchnachfragen schalteten die Kampagnen hyperlokale, geocodierte, digitale Anzeigen bspw. im Umfeld von Universitäten, um Erst- und Jungwähler zu erreichen.

 

  1. Digitales Marketing on Speed

Digitale Werbung war 2016 der größte Wachstumsmarkt der politischen Werbung. Durch hohe Reichweite, schnellere Reaktionszeit und dichtere Frequenz wurde Social Media zum Push-Kanal Nummer 1 der individuellen Kommunikation. Erstmals überschritten die politischen Online-Ads die Hürde von einer Mrd. Dollar. Sie machten rund 20-25 Prozent der Kampagnenbudgets aus.

online-spendingGerade die Erfolge im Online-Fundraising und der Organisation von Freiwilligen beschleunigte die Integration des Digitalen in die zentralen Aufgaben der Kampagnenführung. So war 2016 die erste Wahl, wo über die Hälfte der Spenden digital eingeworben wurden. Clinton vereinnahmte mehr als 1 Milliarden Spenden, wo rund 60 Prozent online eingingen.

Und Mobile first dominierte die digitale Kommunikation. Im Wahljahr hielten sich über 150 Mio. Amerikaner mobil rund 500 min im Netz auf. 60 Prozent der Suchen fanden dabei auf mobilen Endgeräten statt. Für jede Stunde, die sich ein Wähler vor dem Fernseher zu brachte, waren sie fast zwei Stunden online (Quelle: Google). Dazu zählt auch, dass Youtube der Kommunikationskanal Nummer 1 für alle 18-49 jährigen war.

Wrap up:

Digitale Kampagnen im amerikanischen Wahlkampf transformieren politische Kommunikation und Wähleransprache. Die Rolle der Digitalen Medien innerhalb der Kampagnen nimmt mit beschleunigenden technologischem Wandel rapide zu. Soziale Medien dienen als Brücke zwischen Kampagnen/Parteien und Öffentlichkeit. Digitale Transformation ändert interne politische Organisationslogik von Kampagnen. Es entsteht mit „networked politics“ komplexe Interaktionen zwischen traditionellen und sozialen Medien sowie den Kampagnen. Generell verlieren traditionelle Medien ihre Bedeutung als Gatekeeper und eigene kommunikative Pfade entstehen. Obwohl die Verfügbarkeit von politischen Informationen und Partizipation wachsen, fraglich bleibt, ob echter Diskurs entsteht. Die Kandidaten-Kampagnen wählen ihre Wähler: Daten, Analysen und Tests führen zum gläsernen Wähler, der entsprechend seiner Präferenzen und Einstellungen angesprochen wird. Die Anti-Establishment-Stimmungen in digitalen Nischen nehmen zu und politische Sprache und Kultur verschärfen sich. Diese digitale Transformation werfen neue Fragen für Demokratie und Macht auf.

 

Foto FB: Alexander Klaus/pixelio

Wahljahr 2017: In welchem Deutschland wollen wir leben?

Wahljahr 2017: In welchem Deutschland wollen wir leben?

Die Bundestagswahl 2017 wird eine Richtungswahl. Die Bürger entscheiden darüber, in welchem Deutschland wollen sie leben. In einem Bauchnabel-Deutschland, wo die Gedanken nur um sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und das Hier und Jetzt kreisen, oder in einem Deutschland mit Herz und Verstand, wo der Blick auf Zukunft, die nächste Generation und die Welt gerichtet ist.

Wo stehen wir?

Es ist offensichtlich: Deutschland und seinen Bürgern geht es gut. Es haben soviele Menschen Arbeit wie nie zuvor und die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste seit 25 Jahren. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Wirtschaft wächst und der Staatshaushalt ist ausgeglichen. Die ältere Generation erhält für ihre Lebensleistung den höchsten Rentenzuwachs seit Jahren und Mütter bekommen in einer zusätzlichen Mütterrente die Anerkennung, welche sie verdienen. Junge Menschen finden fast alle einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz und die Investitionen in Forschung und Entwicklung verzeichnet Rekordwerte. Deutschland genießt hohen Respekt in der Welt und stabilisiert in einer schwierigen Lage das europäische Schiff. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eine der gefragtesten der Welt und auch auf dem Glücksbarometer äußern die Deutschen ihr Wohlbefinden.

Doch irgendetwas ist gesellschaftlich ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo seit 2015 vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennengelernt hat.  Gesellschaftliche Eliten wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz. Manche verengen das gesellschaftliche Rumpeln auf die Flüchtlingswelle des Sommers 2015. Für sie ist es die Wegscheide, der Dammbruch.

Tatsächlich sind prinzipielle Kräfte am Werk. Es fordern uns viele Veränderungsprozesse heraus: Demographischer Wandel, Digitalisierung, Globale Veränderungen.

Was Wolfgang Schäuble treffend mit „Rendezvous mit Globalisierung“ bezeichnet hat, verunsichert viele Bürger. Es geht dabei nicht nur um Menschen anderer Herkunft. Es geht um die Unübersichtlichkeit einer globalen Ordnung. Wer entscheidet noch was, wer gehört noch zu wem? Opel ist jetzt GM, das Maschinenbauunternehmen um die Ecke jetzt Teil eines chinesischen Großkonzerns oder wie heißt mein Tengelmann morgen? Die vermeintliche Einfachheit brachte Klarheit und Verlässlichkeit.

In gleichem Atemzug mit den globalen Unsicherheiten verlor das deutsche Einheitsnarrative an Kraft. Nach 25 Jahren scheint das große Glück einer friedlichen Revolution und eines gemeinsamen Aufbruchs einer kalten Finanzmathematik des Länderfinanzausgleichs und dem „Jetzt-reichts-aber-mal“ gewichen. Vielleicht hängt das auch mit dem Abtreten der Wendegeneration zusammen und hat etwas Normales. Tatsächlich fehlt dieser Kitt, wenn es um gemeinsames Einstehen gegen wenige in Dresden oder pauschale Urteile über Ost und West geht.

Schließlich sorgt eine zunehmende Technisierung und Digitalisierung für Wandlungsprozesse in der Arbeits- und Lebenswelt. Nicht alle begreifen disruptive Technologien und Wachstumszyklen als Zugewinn, vielmehr fürchten sie um den Arbeitsplatz und gewohnte Sicherheiten.

Das macht es für Wahlen und Parteien nicht einfacher. Über 50 Prozent sagen von sich sie seien Wechselwähler. Fast ein Drittel wählt per Brief, und über ein Drittel fällt seine Wahlentscheidung in der letzten Woche. Dies macht nicht nur die Wahlentscheidung weniger vorhersagbar, sondern zerstört auch jedes dialogische, kommunikative Element, welches in einer Wahlkampferzählung und einer Schlussdramaturgie mündet. Die Wähler sind situativer, wählerischer und die Wählerkalküle vielfältiger geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht mehr klar ist, was mit der Wahlstimme passiert. In Thüringen wusste ein Wähler der SPD nicht, ob seine Stimme für eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition oder ein linkes rot-rot-grünes Bündnis zählt. Unter solchen politischen Lotteriebedingungen wägt der Bürger seinen Wahlakt sorgfältig und strebt nach Eindeutigkeit und Alternativen. Ein Ausweg erscheint mehr direkte Beteiligung. Und es wundert nicht, dass die Zustimmung auch für Volksentscheide auf Bundesebene zunimmt. Dem Misstrauen gegenüber Politikern setzt man die eigene Beteiligung entgegen. Dadurch entsteht aber eine Situation, die Karl-Rudolf Korte zurecht eine „Beteiligung-Paradoxie“ nennt: es wollen immer mehr beteiligt werden, aber zugleich wollen immer mehr, dass sich politische Prozesse beschleunigen. So manche Beteiligungsentartung gibt es in den Sozialen Medien zu bestaunen.

Angela Merkel 2013

 

Worum geht es bei der Bundestagswahl?

Für 2017 zeichnet sich ein klares strategisches Bild ab. Die AfD will die Wahl zum Referendum über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel machen. Auf den potentiellen Trümmern dieses Angriffs möchte dann Rot-Rot-Grün ungeniert sein neues Deutschlandhaus bauen.

AfD aber auch RRG möchten die Bundestagswahl zum Referendum über die Politik von Angela Merkel machen. Von links (Euro, Verteilungspolitik) wie von rechts (Flüchtlinge) wird der Vorwurf ertönen, Merkel hätte die Interessen der Deutschen verraten und 12 Jahre seien genug. Beide Seiten eint eine zutiefst nationale und teilweise sozialistische Sichtweise. Sowohl für die AfD und die Linke aber auch große Teile der SPD gehören tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft mittlerweile zum Wesenskern: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. In Zeiten globaler Unübersichtlichkeit eine geradezu erwärmende Vorstellung.

Besonders AfD und Linke sind anti-global, anti-modern, national und sozialistisch. In gewisser Weise bemächtigen sie sich konservativen Positionen und werben für eine vergangene Welt, die wahrscheinlich so nie existierte. Sie spielen mit tatsächlichen oder vermeintlichen sozialen Verwerfungen, schüren xenophobe Ressentiments, beklagen den kulturellen Wandel und versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Die gesellschaftliche Instabilität und Unsicherheit ist ihr Thema. Sie sind der Status quo in einer sich wandelnden Welt.

Vor diesem Szenario ringt jetzt die Union um ihre Position. Bei Bundestagskandidaten, Parteimitgliedern und in der Führung herrscht die Gewissheit, dass 2017 ein anderer Bundestagswahlkampf werden wird als 2005, 2009 und 2013. Besonders im Bundestagswahlkampf 2013 musste die Union nicht um Vertrauen kämpfen und hatte auch keinen richtigen Gegner. Die unmittelbaren Folgen der Flüchtlingskrise scheinen bewältigt, aber die Wunden, Debatten und Fragen sind noch nicht verheilt. Das lähmt und gefährdet den Wahlerfolg 2017. Gerade weil die Anfeindungen von rechts und links zunehmen.

Was ist für die Union zu tun?

Die Bundestagswahl 2017 gewinnt, wer der Sinn- und Sicherheitssuche der Bürger eine Antwort auf die Frage geben kann, in welchem Deutschland möchte ich leben?

Es steht außer Rede, dass das Image von Angela Merkel sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verändert hat. Durch die Diskussion um die Flüchtlingskrise ist die unaufgeregte „Krisenlotsin“ (Korte) Angela Merkel, in den Augen mancher Bürger von einer pragmatischen Problemlöserin zur emotionalen Problemschafferin geworden. Besonders in den neuen Bundesländern hat ihr das massiv geschadet. Im gleichen Atemzug verkennen die Kritiker, wie weiterhin hoch das Ansehen und die Stellung der Bundeskanzlerin in den Augen der Bevölkerung ist. Würde mancher parteilich-schwesterlicher Disput nicht unnötig verlängert, könnte Merkel zurecht behaupten, eine weitere Krise gelöst zu haben.

Dennoch muss die Union mehr aufbieten als die Kanzlerin allein. Es entscheiden Haltung und Richtung.

Die Haltung muss eine selbstbewusste und nicht geprügelte Partei sein, die stolz auf die politischen Erfolge und kämpferisch auf das Kommende ist. Eine Union, die zusammensteht und nicht Einzelfrage den Gesamterfolg in Frage stellen lässt. Zur Haltung gehört auch, Angela Merkel mit Verstand und Herz zu sehen, unter deren Führung Deutschland zur Nummer 1 in Europa und im Ansehen in der Welt wurde. Quasi, Weltklasse für Deutschland.

Doch um den vierten Stern zu holen, braucht die Union eine inhaltliche Begründung, warum sie Deutschland führen und Angela Merkel für vier weitere Jahre Kanzlerin bleiben soll. Es geht nur mit einem inhaltlichen Zielfoto, nennen wir es, Vision, wo Deutschland am Ende der nächsten Legislaturperiode stehen will und warum das für die Menschen in Deutschland wichtig ist.

Die mutige Perspektive auf das Deutschland von morgen ist im Hinblick auf die nötige Einigung mit der CSU aber auch Hinblick auf die Konkurrenz umso wichtiger. Dem Referendum über den Status quo setzt die Union eine Abstimmung über den zukünftigen Weg entgegen.

Die Union muss erklären, wohin sie will, und muss sich dafür die Offenheit ihrer politischen Entscheidungen sichern. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß. Und die Union ist die beste Kraft dafür.

Zur Bundestagswahl geht es für die Union um ein zentrales Versprechen: Wir sind realistischer Schutzpatron der Bürger und machen Deutschland zum besten Land der Welt, wo Sicherheit und Wohlstand für alle Menschen herrscht. In der Heimat stark und in der Welt führend.

Fünf Aspekte sind dafür wesentlich:

  1. Wachstum und soziale Marktwirtschaft: Wir sollten die Stärken Deutschlands in den Vordergrund stellen und nicht immer jedes Einzelproblem zum Staatsakt erklären. Zwischen berechtigten Debatten um Industrie 4.0 und Steuerpolitik sollten wir die tatsächliche Stärke des Landes in den Mittelpunkt stellen: der Einsatz und das Engagement der Menschen. Für Wettbewerb und wirtschaftliche Freiheit gilt es manche Larmoyanz abzuschütteln und gut über unsere Chancen zu reden. Warum sollten wir sorgenvoll sein, wir haben die besten Arbeiter und Ingenieure der Welt. Im Kampf gegen jegliche Populisten braucht es eine Wachstumsbotschaft.
  2. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Stabilität: Wir arbeiten für eine Gesellschaft, in der keiner zurückgelassen oder abgehängt wird. Unser Handeln ist von einem mitfühlenden Konservativismus geprägt, der sozialen Abstieg verhindert. Die besten Chancen für unsere Kinder stärken wir durch ein leistungsorientiertes Bildungssystem und ermöglichen es mit einer Unterstützung von Familien. Die Sicherheit im Alter gewinnen wir durch eine verlässliche Rentenpolitik und ein Steuersystem, wo arbeiten attraktiv ist. Auch wenn bei der nächsten Bundestagswahl die Mehrheit der Wähler über 55 Jahre sein wird, tragen Verteilungsversprechen nicht. Es geht um einen strukturellen Umbau, der die schrumpfenden Generationen der Erwerbstätigen nicht endgültig überlastet und doch Mittel für die wachsende Zahl immer älterer Bürger freischaufelt.
  3. Staat und Sicherheit: Die Aufgabe der CDU ist es, wieder über ein gemeinsames, ein einiges Deutschland zu reden. Dies gilt in der Frage von Ost und West, aber eben auch von Stadt und Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass ganze Bundesländer, ländliche Regionen oder einzelne stigmatisiert werden. Dass bedeutet auch, nicht jeden in der rechten Schmuddelecke zu sehen, nur weil er Sorgen und Probleme – ob gerechtfertigt oder nicht – anspricht. Viele Bürger stellen seit der Flüchtlingskrise Fragen über die Rolle des Staates, seine Funktionsfähigkeit und seine Defizite. Ob bei Grenzschutz, Polizei oder Schule – staatliches Handeln steht unter bürgerschaftlicher Beobachtung. Nur wer überzeugend antworten kann, was der Staat darf und kann, wird auch dem Sicherheitsempfinden der Bürger gerecht.
  4. Weltoffen und patriotisch: Wir treten für ein weltoffenes Deutschland ein und haben nach allen Erfahrungen einen realistischen Blick auf die Globalisierung. Dazu zählt auch zu sagen, wir werden alles dafür tun, dass es eine Situation wie 2015 nicht wieder geben wird. Deutschland ist ein Land, wo Asyl ein Recht auf Zeit und Zuwanderung nur nach klaren Spielregeln geht. Den Wagenknechts und Petrys halten wir entgegen, das Gegenteil von Globalisierungsbefürworter ist nicht Patriot. Deutschland ist der Globalisierungsgewinner und muss daher ihr vehementeste Verteidiger sein. Kosmopolit zu sein ist nicht elitär, es ist patriotisch. Das Erfolgsmodell Deutschland ist nur langfristig finanzierbar, wenn wir unsere Produkte, Dienstleistungen und Ideen international verwirklichen.
  5. Zukunft und Tradition: Wir glauben an eine bessere Zukunft und setzen auf die Hoffnungen der Menschen nicht ihre Ängste. Die Geschichte der Bundesrepublik ist gekennzeichnet, von einem unbändigen Willen Probleme erfolgreich zu lösen. Warum soll aus dieser Tradition nicht ein neues Narrativ für das 21. Jahrhundert entstehen. Etwas mehr Pathos und weniger Bonner Bescheidenheit: In der Heimat stark und in der Welt führend.

Eine solche inhaltliche Schwerpunktsetzung mit Gesichtern verbunden, die sowohl Sicherheit und Stabilität ausstrahlen als auch Zukunft und Modernität, kann nur die Union aufbieten. Sie gibt den Menschen Richtung und Haltung.

Die Bundestagswahl wird eine Richtungswahl. In welchem Deutschland wollen wir leben? In einem national antiquierten, auf Verteilung ausgerichteten und gesellschaftlich stagnierenden Deutschland von Rot-Rot-Grün und AfD oder in einem weltoffenen, gesellschaftlich lebendigen und wirtschaftlich prosperierenden Deutschland? Es ist wieder Zeit, an der große Erzählung für unser Land zu arbeiten.

 

Der Aufsatz erscheint in Civis mit Sonde Winter/2016

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