von Mario Voigt | Sep. 22, 2017 | Bund, Digitalisierung, Politik, Wahlkampf, Wissenschaft
Die Politik rennt den Menschen die Türen ein. Zurück zu den Wurzeln der direkten Wähleransprache über Tür-zu-Tür. Journalisten und manche Beobachter reiben sich verwundert die Augen. Die Wissenschaft nicht. Ganz einfach: Tür-zu-Tür-Wahlkampf wirkt. Wissenschaftlich bewiesen.
Politik ist Kontaktsport. Menschen bewegen Menschen zur Abgabe ihrer Stimme bei der Wahl. Martin Schulz war ganz überrascht als Annegret Kramp-Karrenbauer mit knapp 41 Prozent seinen Zug auf das Abstellgleis lenkte. Über 75.000 Haushalte besuchte die CDU im Saarland – und das bei 217.000 Wählern. Ein Erfolg, der in Schleswig-Holstein und NRW seine Fortsetzung fand. Doch warum verfällt Politik wieder auf persönliche Ansprache?
Wissenschaftlicher Tür-zu-Tür-TÜV
Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte für die Wahlbeteiligung und den Wahlerfolg, wenn man direkt-persönlich Kontakt sucht. Tür-zu-Tür kann zwischen 2-8 Prozentpunkten das Ergebnis anheben. 5 Argumente finden die wissenschaftlichen Studien für Tür-zu-Tür:
1. Effektivitäts–Argument: Es wirkt am besten
Das stärkste Argument zu Beginn: Tür zu Tür wirkt am besten von allen Wahlkampfinstrumenten. Klar, es ist mühsam, gerade wenn der Wahlkreis groß und die Wählerschaft vielgesichtig ist. Doch es gibt nichts Effektiveres im Wählerdialog. Von Harold F. Gosnells Studie „An experiment in the stimulating at voting“ aus dem Jahr 1926, über Eldersveld in den 1950er bis Rosenstone und Hansen in den 1990ern kommen alle zum Ergebnis: Tür-zu-Tür ist das effektivste Wahlkampfinstrument. Zum modernen Standard der Wahlkampfwirkungsforschung sind die verschiedene Studien von Gerber, Green und Nickerson geworden. Sie fanden bspw. das Tür-zu-Tür die Wahlbeteiligung um 8 Prozentpunkte steigert, während die postalische Ansprache sie nur um einen halben Prozentpunkt erhöhte und Telefonanrufe keine Effekte auf die Wahlbeteiligung hat.
Aber gilt das nur für die USA? Zwar ist die Forschung in Europa noch ein zartes Pflänzchen, aber ähnliche experimentelle Feld-Studien finden fast ähnliche Effekte. Allerdings schlagen diese im Vereinigten Königreich etwas stärker aus wie Studien von John und Brannan für die Britischen Unterhauswahl bis hin zu weiteren große Untersuchungen belegen. Bei der Mobilisierung in Frankreich, oder Spanien sind die Effekte etwas kleiner, aber immer noch besser als mit anderen Wahlkampfinstrumenten. In Deutschland? Studien fehlen weitgehend, aber Tests von Parteien zeigen ähnliche Resultate bis zu 4 Prozentpunkten.
2. Vertrauens-Argument: Auge in Auge funktioniert es
Menschen vertrauen Menschen, wenn sie ihnen gegenüberstehen. Bereits in den vierziger Jahren arbeitete die Forschungsgruppe um Paul Lazarsfeld die Vorteile der interpersonellen Kommunikation heraus: Sie wird als zweckfreier wahrgenommen, der Kommunikator kann flexibler auf Widerstände reagieren und sein Gegenüber überreden, ohne voll überzeugen zu müssen. Es hilft, interpersonell zu kommunizieren, weil das Vertrauen der Wähler steigt, wenn sie jemanden menschlich erleben. Das hat viel mit sozialen Normen und Psychologie zu tun. Der Kodex des respektvollen Umgangs wird Auge-in-Auge nicht verlassen. Face-to-Face akzeptieren Wähler sogar den Haustürwahlkämpfer, selbst wenn die vorgetragene Meinung nicht ganz übereinstimmt. Diesen moralischen Zugang gibt es bei anderen Kampagneninstrumenten nicht. Amerikanische Kampagnen nutzen die Wählerpsychologie für „social pressure“ oder nudging: Dein Nachbar hat schon gewählt, willst du nicht auch mal? Nach deutschem Datenschutz unvorstellbar.
3. Navigator–Argument: Informationsdickicht überwinden
Es ist unübersichtlich geworden: Fernsehen, Internet, Radio und Zeitungen – tausende Information. Jeden Tag. Welcher Wähler soll da noch den Überblick behalten? Im Informationsdickicht braucht der Wähler persönlichen Beistand und einen Navigator.

Orientierung geben
Den sucht er im persönlichen Umfeld oder bekannten lokalen Gesichtern. Bei der zunehmenden Diversifikation elektronischer Medien und der Zerfransung der Mediennutzung gewinnt die Ansprache des eigenen Wählerpotentials größere Bedeutung. Es kommt zu einer Rückbesinnung auf den persönlichen Politik(er)-Wähler-Dialog. Bei schwankenden Wahlbeteiligungen gewinnt eine Fokussierung auf Mobilisierungsinstrumente Bedeutung; zumal, wenn die Wirkung der Massenmedien sinkt. Und es wirkt ansteckend: Die persönliche Ansprache mobilisiert auch weitere Familienmitglieder zur Wahl zu gehen, selbst wenn sie während des Gesprächs garnicht anwesend war. Auch im Digitalzeitalter soll es menscheln. Wer im Gedächtnis der Wähler bleiben will, sollte Mensch zu Mensch kommunizieren und nicht über andere Kommunikationskanäle.
4. Revitalisierungs-Argument: Gib der Partei was zu tun
In der Wählerschaft herrscht Unsicherheit und die Kompetenzzuweisung zu den klassischen Medien sinkt. Genauso erreichen klassische Wahlkampfinstrumente von der Großveranstaltung, dem Wahlkampfstand, bis zur Parteizeitung fast ausschließlich nur den politisch interessierten Wähler. Politik ist gezwungen auf die potentiellen Wähler im wahrsten Sinne des Wortes zuzugehen. Schließlich sind sie keine „civic charity“. Bei den Praktikern hat sich zugleich die Einsicht durchgesetzt, dass die Haustürkampagne organisatorische Stärke benötigt, die nur eine Parteibasis liefern kann. Endlich hat der Ortsverband wieder ein wichtige Rolle. Tür-zu-Tür verbindet also Kandidat, Parteistrukturen und befreundeter Vereinigungen. Sie ist im Grunde nur möglich, wenn man dem Leitsatz folgt: „bring the party back in“. Parteiarbeit von jung bis alt hat wieder Gewicht. Und es hinterlässt einen bleibenden Effekt für nachfolgende Wahlen: Einmal angesprochen steigt die Wahrscheinlichkeit des Wählers auch beim nächsten Mal zu gehen. Ein guter Anreiz für die kommunalen Parteistrukturen.
5. Big-Data-Argument: Mit dem Wissen über den Wähler was anfangen
Je mehr man über den Wähler weiß, umso leichter ist er aktivierbar. Neuere Studien konzentrieren sich auf den Einsatz von Big Data und Digitale Technologien, die die herkömmlichen Wählerpotenzialanalysen massiv aufwerten und das (Geo-)Targeting verfeinern. „Big Data“ ermöglicht es, viel gezielter auf die Interessen und das online sicht- und messbare Verhalten der Wähler einzugehen. Komplexe Modellierung helfen den Freiwilligen an der Haustür genau jene Botschaft beim Wähler zu platzieren, die er gerne hören möchte. Seit 2004 verfeinern Kampagnen weltweit die Verwendung von wählerrelevanten Daten.

Apps helfen beim Wahlkampf
Mit neuen technischen Innovationen, Apps und Kampagne-Dashboards rücken die fernen Tür-zu-Tür-Besuche ins Zentrum des Kampagnenhauptquartiers. So verheiraten sich zentralisierte Kampagnenführung von oben mit sozialen Bewegungen von unten. Nach Jahren der Funktionsentleerung der mittleren Parteiebenen kommt der Basis wieder eine Rolle zu.
Der Direktkontakt ist der effektivste Weg zum Wähler, und die Haustürkampagne ganz besonders. Tür-zu-Tür heißt Mensch-zu-Mensch. Ist erfolgreich. Wissenschaftlich bewiesen. Und macht auch noch Spaß.
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von Mario Voigt | Sep. 14, 2017 | Bund, CDU, Digital, Digitalisierung, Politik, SPD, Wahlkampf
Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste echte Wahlkampf mit digital campaigning. Die Parteien kümmern sich in einem unerbittlichen Kampf um Mehrheiten im Netz und experimentieren mit Facebook, Twitter und Co. Was ist in den letzten vier Wochen auf Twitter passiert? Wie haben sich die Parteien verhalten?
Tweets: Knapp 50 Prozent gehen auf SPD und AfD

Tweets aller Parteien
Die SPD und AfD sind die eifrigsten Twitterer unter den deutschen Parteien. Gemeinsam kommen sie auf fast 50 Prozent aller Tweets der Parteien. In den vergangenen 4 Wochen Wahlkampf waren die Sozialdemokraten am intensivsten auf Twitter unterwegs. Sie setzen insgesamt 1396 Tweets ab. Damit sind sie für knapp 24% aller Tweets der relevanten Parteien verantwortlich. Die SPD twitterte erstmal mehr als die AfD, die mit 1365 für 23% aller Tweets verantwortlich sind. Im gleichen Zeitraum erhöhten auch alle anderen Parteien ihre Twitterfrequenz. Die CDU ist mit 912 abgesetzten Tweets die Drittstärkste Kraft.
Die AfD (761), Grünen (480) und FDP (463) erhielten in den vergangenen vier Wochen die meisten

Retweets der Parteien seit Mitte Augus
Retweets pro Tweet. Zwar wächst bei allen Parteien die Anzahl der Retweets und damit auch die Verbreitung ihrer Botschaften und Inhalte. Aber die AfD liegt hier deutlich vorne. Ihre Tweets werden bis zu 700-800mal weiterverbreitet. Die Volksparteien CDU, CSU und SPD erreichen gerademal die Hälfte. Ihre Tweets werden im Durchschnitt zwischen 200-300mal retweetet.
Anwachsen der Follower: FDP legt am stärksten zu
Zwar mag es um die SPD und die Grünen in den Umfragen nicht so rosig bestellt sein. Dennoch genießen sie als debattenfreudige Parteien die meisten Follower beim 140-Zeichen-Kurznachrichtendienst Twitter: Die Grünen (355.000) und die SPD (323.000) haben die größte Followerschaft. Das Mittelfeld wird von der FDP (243.000), CDU, Linken und CSU (180.000) gebildet. In der Gesamtbetrachtung wird deutlich, dass die FDP in der Anzahl der Follower die CDU zur Beginn der intensiven Wahlkampfphase Mitte August überholte. Seitdem steigert sie kontinuierlich ihre Anhängerschaft auf Twitter. Mit 75.000 Followern bildet die AfD abgeschlagen das Schlusslicht. Im Vergleich zur Vorwahlkampfphase haben alle Parteien teilweise deutlich zugelegt.

Wachstum der Parteien auf Twitter seit Mitte August
Blickt man auf das Wachstum der Parteien in den vergangenen vier Wochen des intensiven Wahlkampfes, so gewinnen besonders FDP, CDU und Grüne hinzu. Die FDP konnte in den vergangenen 4 Wochen über neue 26.000 Follower gewinnen. CDU (17.000) und Grüne (14.000) können ebenfalls bedeutend wachsen. Die übrigen Parteien verbleiben bei Zuwächsen um die 10.000 und bei der AfD von über 8.000 Followern. Angesichts ihrer vergleichsweise geringen Anhängerschaft auf dem Kurzmitteilungsdienst entspricht dies jedoch einem Anstieg um über 10 Prozent.
Hashtag: #TVDuell dominiert in den letzten zehn Tagen

Hashtags der letzten zehn Tage
In den letzten zehn Tagen dominierte bei Twitter das TV-Duell. #TVDuell ist der Top-Hashtag mit 475 Nennungen bei allen Parteien. Es verwundert nicht, dass er auch der meistgenutzte Hashtag mit den höchsten Reaktionen ist. Die Debatte um die Äußerung und Performance der Kandidaten entspann die größte Zahl an Reaktionen.
Ähnlich verhält es sich mit den Hashtags der Kandidaten. #Merkel liegt bei den Nennungen der Parteien doppelt so hoch wie #Schulz (216-91). #traudichdeutschland, von der AfD erhielt ähnlich viele Erwähnungen (102) wie das #fedidwgugl der CDU (93) in den letzten zehn Tagen. #ZeitfürMartin kommt auf 78 Erwähnungen.
Was heißt das für den Schlussspurt auf Twitter?
Das Digitale Campaigning nimmt an Fahrt auf. Twitter bleibt das Zielgruppenmedium für Politiker, Journalisten und Interessierte. Die Parteien reagieren schnell, tauschen und agitieren sich auf Twitter. Unter ständiger Beobachtung der Meinungsmacher, Interessierten und Wähler.
Der Austausch wird in den verbleibenden zehn Tagen zunehmen. Noch 30 Prozent Spätentscheider wollen erreicht werden. Ingesamt haben die Parteien vom 1.9 bis zum 10.9.2017 über 40.000 neue Follower gewonnen. Das Interesse wird noch steigen.
Der Trend an Bewegtbild, Infografiken und sharepics nimmt zu. Kurz und prägnant sollen Fakten und Positionen präsentiert werden. Im Schlussspurt wird die virale Zuspitzung mit dem Ziel zunehmen, letzte Aufmerksamkeit auf die Partei und den Kandidaten zu ziehen.
Und zur Mobilisierung ihrer Anhänger werden die Parteien Get-out-the-vote Aktivitäten unternehmen, die gezielt die eigenen Follower zum Wählen gehen aktiviert.
Das nächste Update erfolgt hier auf dem Blog. Um nichts zu verpassen, einfach der Mini-Serie als Newsletter folgen.
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von Mario Voigt | Sep. 7, 2017 | Ohne Kategorie
Mario Voigt ist einer der Köpfe hinter connect17. Bei der Eröffnung des #fedidwgugl-Hauses nannte ihn Conrad Clemens den „Christoph Kolumbus des Haustürwahlkampfes“. Seit Jahren beschäftigt sich der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Thüringen und ehemalige JU-Landesvorsitzende intensiv mit Wahlkämpfen. Schon als 27-Jähriger zog er selbst von Haus zu Haus, hat in späteren Jahren dazu geforscht, Wahlkämpfe vor Ort in den USA und Asien beobachtet und ist seit einem halben Jahr Professor an der Quadriga Hochschule in Berlin.
Von Florian Müller
F: Die meisten Wahlbenachrichtigungen sind inzwischen versandt. Kribbelt es allmählich, gerade mit Blick auf die Haustürwahlkämpfe und die Briefwahlen?
MV: Es kribbelt schon seit vielen Monaten! Wer hätte denn im Dezember 2016 gedacht, dass wir schon jetzt gemeinsam so viel erreicht haben: drei Landtagswahlen gewinnen und mit connect17 ein völlig neues System für Tür-zu-Tür und direkte Ansprache entwickeln. Wir haben schon jetzt viel erreicht, aber unser wichtigstes Ziel ist die Bundestagswahl. Die wollen wir gewinnen. Und mit Niedersachsen dann die vierte Landtagswahl in diesem Jahr.
F: Briefwahl klingt ja erst mal extrem langweilig. Warum hast du angefangen, dich für dieses Thema zu interessieren?
MV: Beim Blick auf die Fakten. Wir haben bisher immer geglaubt, dass Wahlkampf eine durchgängige Erzählung ist, die sich zum Wahltag immer weiter steigert. Tatsächlich gibt es zwei Trends: frühe Wähler und späte Entscheider. Denn man kann schon sechs Wochen vor dem Wahltag abstimmen. Und in Deutschland wählt mittlerweile jeder Vierte per Brief – 2013 erhielt die CDU/CSU fast jede vierte Stimme so. Da steckt ein sehr großes Potenzial! Studien zeigen eindeutig, dass ein großer Teil schon sehr früh per Brief wählt, weil er klar entschieden ist, wen er wählen möchte, oder weil er schon weiß, dass er am Wahltag nicht zu Hause sein wird.
Das heißt: Bevor wir so richtig mit Wesselmännern rausgegangen sind, haben schon viele Wähler ihre Stimmen abgegeben. Und das wollen wir als Union diesmal zum ersten Mal ganz aktiv mit einer eigenen Kampagne bearbeiten und bespielen. connect17 spielt dafür mit dem Tür-zu-Tür-Wahlkampf eine zentrale Rolle und das Team um Conrad macht einen sehr guten Job.
F: Welche Parteien profitieren am stärksten von der Briefwahl?
MV: Die kleinen profitieren mehr als die Großen. Absoluter Champion ist die CSU. Sie hat bei jeder Bundestagswahl seit 1990 mehr Stimmen über die Briefwahl bekommen als am Wahltag selbst. Bei der Bundestagswahl 2013 erhielten SPD und CDU relativ jeweils rund 24 Prozent ihrer Stimmen über die Briefwahl.
F: Wie sieht denn der typische Briefwähler aus?
MV: Es gibt keinen „typischen“ Briefwähler. Wir wissen aber erstens, dass der Briefwahlanteil in Städten zum Beispiel höher ist, als auf dem Land und zweitens, dass es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern und Wahlkreisen gibt. In Passau oder Starnberg, haben 2013 40 Prozent – also fast jeder zweite Wähler – per Brief abgestimmt.
F: Steht diese Erkenntnis nicht im Widerspruch zu der Zeitpunktbezogenheit des Wahlkampfes, von der Thomas Strerath von Jung von Matt in der letzten ENTSCHEIDUNG gesprochen hat?
MV: Nein. Wir müssen nur verstehen, dass es keine lineare Wahlkampferzählung gibt, an deren Ende sich die Wähler entscheiden, sondern dass entlang dieses Weges, Wähler sich zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten festlegen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass man bis zum Freitag vor der Wahl auch in seinem jeweiligen Rathaus abstimmen kann. Die Unionskampagne begleitet den Wähler dieses Jahr kontinuierlich auf seinem Weg bis zum Wahltag.
Das ist ein Balance-Akt. Ja, ein Viertel der Wähler stimmt per Brief ab, aber über 30 Prozent entscheiden sich erst in den letzten Tagen. Im Saarland haben zwei Drittel der Spätentscheider die CDU gewählt. Die Kraft auf den letzten Metern zu haben, das ist auch unser Ziel für die Bundestagswahl.
F: Heißt das, dass wir den Wahlkampf neu erfinden müssen?
MV: Ich glaube, der Wähler hat einen Anspruch auf Dialog. Politik ist Kontaktsport. Deswegen machen wir Tür-zu-Tür. Das ist ein Ausdruck der Haltung der Union. Wir gehen aktiv auf Wähler zu und sagen: ‚Hey, wir machen dir ein inhaltliches politisches Angebot, wir wissen, dass du Gesprächsbedarf hast‘. Im wahrsten Sinn des Wortes macht der Wähler für uns ein kleines Fenster der Aufmerksamkeit auf, in dem wir unsere politische Botschaft platzieren können. Wir haben begriffen, dass der Wähler ein scheues Reh ist. Und deshalb gehen wir auf möglichst viele persönlich zu.
F: Die Antwort auf den wachsenden Stimmanteil der Briefwähler ist Tür-zu-Tür als regelmäßiges Gesprächsangebot?
MV: Genau. Und das ist ein Dialog mit dem Wähler, der idealerweise nicht am Wahltag endet, der aber natürlich im Wahlkampf den Höhepunkt erreicht. Ich habe Tür-zu-Tür seit 2012 wissenschaftlich und in der Praxis untersucht. Wir können dadurch zwei bis vier Prozentpunkte gewinnen. Deswegen habe ich gerne JA gesagt, als ich gefragt worden bin, dass Projekt connect17 mitzuentwickeln.
F: Ist Tür-zu-Tür also die Wunderwaffe, die die Wahl nach Hause holt?
MV: Tür-zu-Tür hilft sehr zu mobilisieren. Aber in international unsicheren Zeiten entscheiden die Bürger sehr bewusst, wer unser Land führen soll und wer das bessere programmatische Angebot hat. Kanzlerin Merkel ist da unser bestes Argument. Allerdings muss heutzutage Politik in Echtzeit auf allen Kanälen präsent sein und kommunikativ dasselbe leisten wie große Konzerne, wenn auch mit viel kleineren Budgets. Da hilft unsere große Stärke: die Parteimitglieder und die Junge Union, die als größte Jugendorganisation Europas natürlich auch eine Wucht mitbringt.
F: Du hast dich mit Haustürwahlkampf schon seit vielen Jahren beschäftigt. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich maßgeblich geprägt hat?
MV: Meinen ersten Haustürwahlkampf habe ich mit 27 gemacht, als ich für den Kreistag kandidiert habe. Da bin ich in meinem Heimatort von Tür zu Tür gegangen. Am ersten Tag schaffte ich nur sechs Türen, weil ich immer mit reingebeten worden bin, einen Kuchen zu essen oder einen Schnaps mitzutrinken. Das ist zwar für mich ein schöner Tag gewesen, war aber wahlkampftechnisch nicht sonderlich effektiv. Am Ende bin ich gewählt worden. Seitdem schaue ich mir Wahlkämpfe in der ganzen Welt an, um direkte Ansprache praktisch und wissenschaftlich zu analysieren. Der persönliche Kontakt zum Wähler ist das A und das O, das Brot- und Buttergeschäft. Das müssen wir als Union verinnerlichen.
F: Wie wird dieser Wahlkampf die künftigen Wahlkämpfe beeinflussen?
MV: Dazu drei Punkte. Erstens: Die Bedeutung der Parteistrukturen für die Wähleransprache wird wachsen, weil wir eine Repolitisierung der Bürger erleben. Dafür braucht es neue Anspracheformen. Zweitens: Es ist der erste Wahlkampf in Deutschland, für den digital campaigning eine wesentliche Rolle spielt. Die Parteien werden künftig größere Budgets dafür in die Hand nehmen. Drittens – und das sieht man in diesem Wahlkampf schon ganz deutlich – wird es wieder um die großen Erzählungen gehen. Was ist die Richtung unseres Landes? Worauf begründet sich der Führungsanspruch? Wie stellen wir uns ein modernes Deutschland vor?
Und das ist ein wichtiger Punkt für die Junge Union. Ihr seid, und das sage ich als ehemaliger JU-Landesvorsitzender, ein Garant dafür ist, dass die CDU nicht vergisst, dass wir Zukunftsfragen beantworten müssen. Deswegen ist es nur logisch, dass connect17 auch ein Projekt zwischen CDU und der Jungen Union ist.
F: Vielen Dank.
Mitarbeit: Moritz Mihm
erschienen in Die Entscheidung September 2017
von Mario Voigt | Aug. 29, 2017 | Bund, CDU, Digital, Digitalisierung, Politik, SPD, Wahlkampf
Tür-zu-Tür und App – der Wahlkampf ist High Tech mit High touch. Ob aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf oder asiatischen Kampagnen sind sie bekannt: Die kleinen technischen Hilfsmittel, die Informationen zu potentiellen Wählern geben, Laufrouten optimieren oder die Kontaktaufnahme erfassen. Doch was bieten die Parteien an neuen Applikationen auf, um ihre Wahlkämpfer Tür-zu-Tür zu unterstützen?!
Praktisch alle Parteien greifen auf Apps zurück, um ihre inhaltlichen Positionen zu verbreiten. Es gibt im Bundestagswahlkampf bisher nur drei Parteien, die ihre Tür-zu-Tür Wahlkämpfer mit einer App unterstützen. Damit wird der Wahlkampf vor Ort organisiert, Zwischenstände und Anfragen zentral zurückgemeldet oder einfach nur die Botschaft des Tages in den sozialen Medien verbreitet.
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SPD: „Tür-zu-Tür-App“
Bei der SPD dominiert der laufende Fragebogen. Sie bietet Wahlkämpfern die Möglichkeit, einen Fragebogen jeweils zu Politikthemen und Kandidaten aufzurufen. Die Antworten des Bürgers können direkt an der Tür oder später eingetragen werden. Es geht nach thematischen Interessen, der SPD-Wahl-Wahrscheinlichkeit oder der Absicht, am 24.9. seine Stimme abzugeben. Es gibt zwei Möglichkeiten (Kandidaten oder Themen) mit jeweils drei Fragen. So entstehen einfache Handlungsanleitungen für das Türgespräch – ein kleiner Leitfaden.

Frage in der SPD-App
Die App ist eine responsive Internetseite; quasi „ein Online-Formular“ durch welches dann der Kandidat Informationen über den politischen Puls seiner Wahlkreisregion erhält. Im SPD-eigenen Vorwärts heißt es dazu: „Und sie werden über die Bundestagswahl hinaus gespeichert. So kann auch in künftigen Wahlkämpfen auf bestehende Informationen zurückgegriffen werden.“
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Linke: App „Partisanin“

App der Linken
Bei der Linken geht es mit der App „Partisanin“ um den Häuserkampf. Sie ist nur als Web-App verfügbar und last minute für den Bundestagswahlkampf fertig geworden. Eine native Smartphone-App soll mittelfristig in Planung sein. Herzstück ist eine Karte, wo Nutzer ihre Aktionen eintragen. So markiert man bspw. wo Wahlkampfplakate hängen oder bewertet mit Schulnoten einzelne Häuserblöcke, um die Empfänglichkeit der dort lebenden Wähler für Tür-zu-Tür-Wahlkampf zu erfassen. Perspektivisch sollen sich die Nutzer untereinander messen können und dafür Punkte erhalten.

Strassenmarkierung in der App
Der Zugang ist limitiert und erfolgt über QR-Code Scan im Wahlkampfbüro oder bei einem User, der die App schon hat. Interessant ist der OpenSource-Gedanke: der Quellcode wird veröffentlicht.
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CDU: „connect17-App“
Die CDU verknüpft in ihrer Connect17-App den Haustürwahlkampf mit digitalen Anspracheformen. Über ein Facebook-Login bedienen die Nutzer eine App, die für die TzT-Ansprache und für die Social Media Mobilisierung gedacht ist. Nutzer erfassen ihre Tür-zu-Tür Aktionen und geben Rückmeldung über positive oder reservierte Wählerkontakte. Zudem können sie datenschutzrechtlich validiert, Unterstützer erfassen oder Nachfragen von Bürgern aufnehmen. Gleichzeitig können die Nutzer Nachrichten an ihre Freunde in die relevanten sozialen Netzwerke pushen.

Apps helfen beim Wahlkampf
Die CDU setzt auf Gamification: für jedes Gespräch gibt es virtuelle Punkte. Man kann eine Ladder of Engagement erklimmen – vom Neuling zum Kanzlerinnenmacher. Der Wettbewerbscharakter wird durch unterschiedliche Missionen angespornt. Ob „Hans Dampf in allen Gassen“ (60 Türen) bis zu „Netzwerker“ (20 Social Media Shares) – jede kann entsprechend mithelfen, Angela Merkel zur Kanzlerin zu machen. Apropos, den zehn fleißigsten Helfer winkt ein Gespräch mit der Kanzlerin.
Die App kam bereits bei den Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zum Einsatz und ist somit schon wahlkampferprobt.
High tech für high touch
Big Data Wahlkampf oder Microtargeting? Viel wird über die Möglichkeiten in den USA oder UK geschrieben. In Deutschland kommen die Parteien mit den harten Datenschutz-Regeln aus und entwickeln dabei ihre eigenen Lösungsansätze. Sie identifizieren Potentialregionen (SPD, CDU), motivieren ihre Unterstützer mit App Fragen zu stellen (SPD), Wahlplakate zu erfassen (Linke) oder für die Wahl an der Tür oder in Social Media (CDU) zu werben.
Allen wahlkämpfenden Parteien ist der langfristige Ansatz klar. Die Bundestagswahl ist der Beginn des intensiven, direkten Wählerdialogs. Potentiale erkennen und pflegen. Technologische Lösungen wie Apps helfen zu strukturieren, Hilfestellungen zu geben oder auch durch Gamefication die Unterstützer anzuspornen. Ein App bleibt aber ein Instrument. Sie ersetzt nicht das persönliche Gespräch, den überzeugenden Kandidaten und den gewinnenden inhaltlichen Standpunkt.
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