Mobilisierung: Wie Microsoft Windows in 36 Sprachen übersetzte

Mobilisierung: Wie Microsoft Windows in 36 Sprachen übersetzte

Windows existiert in unzähligen Ländern und Sprachen. Doch stimmt immer die Übersetzung der Begriffe? Wie motiviert man Mitarbeiter und mobilisiert sie gemeinsam ein Problem zu lösen? Und wie verbindet ein globales Unternehmen Spaß der Mitarbeiter, bessere Qualität des Produktes und höhere Produktivität miteinander? Mobilisierung durch Gamification machte Microsoft mit seiner Language Quality Challenge zwischen den Mitarbeitern vor.

Manchmal hapert es mit der Motivation. Besonders wenn die intrinsische Motivation fehlt. Nicht jedes Projekt gewinnt gleich einen Nobelpreis und manchmal sind die Aufgaben langweilig. Und was passiert, wenn lohnbasierte Incentives oder Gratifikationen nicht wirken?  In solchen Situationen gewinnen verhaltenspsychologische Methoden für Unternehmen und Organisationen an Bedeutung, um Mitarbeiter und Beteiligte zu mobilisieren.

Microsoft nutzte einen Gamification-Ansatz mit einem Productivity Game, um die Aufgabe mithilfe vieler Menschen und deren Fähigkeiten zu lösen. Productivity Games und Crowdsourcing sind sich ähnlich. Sie unterscheidet jedoch die Nutzung von Spielelementen, um für die Teilhabe an arbeitsbezogenen Aufgaben zu motivieren. Der Gamification-Ansatz ist designet, damit Mitarbeiter Spaß haben und dabei zugleich produktive Aufgaben bewältigen.

Die Challenge

Windows existiert in unzähligen Ländern und Sprachen. Sprache ist Kultur und gesellschaftliches Grundverständnis. Fehler in der Übersetzung sprechen nicht nur für schlechte Qualität, sondern wirken auch auf die Wahrnehmung und den Verkauf in einer Region. Microsoft sammelte reichhaltige Erfahrungen. Der bekannteste Fall ist die Benutzer-Registrierung in Windows XP in Lateinamerika. Dort wurde eine Version ausgeliefert, wo der Benutzer nach ihrem Geschlecht befragt die Optionen hatten: No especificado (nicht spezifiziert), varon (männlich) oder hembra (weiblich). Leider bedeutet in einigen lateinamerikanischen Ländern der Begriff hembra auch „Schlampe“.

Wie verhindert man solche Fälle und sorgt dafür, dass die Übersetzung stimmt? Wie kann ein multinationales Unternehmen bei einem weltweiten Vertrieb von Produkten, eine sinnvolle und genaue sprachliche Qualitätskontrolle der Übersetzungen für die einzelnen Länder sicherstellen? Und wie erreicht man das Ziel mit unternehmensinternen Kompetenzen statt auf teuren externen Sachverstand zurückgreifen zu müssen?

Die Beteiligten und Lösung

Um das Problem akkurater Sprachanwendung in seinen Windowsprogrammen sicherzustellen, setzte Microsoft auf den spielerischen Wettstreit unter den Mitarbeitern. In der „Windows Language Quality“-Challenge rief Microsoft seine Mitarbeiter auf, für die Microsoft Community ihre besondere Fähigkeit einzusetzen, um das Gesamtprodukt signifikant zu verbessern: die jeweilige Muttersprache.

Microsoft regte die Mitarbeiter an, den schwierigen und teuren Geschäftsprozess der Qualitätskontrolle nach der Übersetzung spielerisch, kosteneffizient und in bester Qualität zu erfüllen. Getreu dem Motto: „Wer findet die meisten Fehler?“ wurde ein Wettstreit zwischen den Mitarbeitern kreiert. Die Mitarbeiter traten spielerisch in einen Wettstreit, um bei der Überprüfung und ggf. Korrektur der Übersetzungen von Software in ihre eigene Sprache zu helfen. Es war nicht kompliziert, da sie lediglich entscheiden mussten, ob die Übersetzung korrekt ist oder nicht. Kommentare zu Verbesserungen waren optional.

Die Spielidee

Mitarbeiter konnten als Spieler an der Übersetzungsaufgabe teilnehmen. Microsoft brach die Übersetzungsfragen in einzelne Bilder herunter, die es zu kontrollieren galt. 25 Fotos bildeten ein Gamelevel. Sobald die Spieler alle Bilder auf einem Level überprüft hatten, kamen sie auf die nächsthöhere Ebene und erhielten eine neuen Satz von 25 Bildern. Die Ergebnisse wurden auf einem virtuellen Leaderboard dokumentiert. Teilnehmende Personen wurden in einer Rangliste zusammen mit ihrem aktuellen Spiellevel und die Anzahl der von ihnen überprüften Bilder. Dies kreiierte einen anspornenden Wettbewerb. Die Rangliste schlüsselte verschiedene Kategorien auf, zum Beispiel nach Sprache, um die Teilnahme in den jeweiligen Ländern zu fördern.

 

Screenshot während des Spiels

 

Das Ergebnis

Microsoft erreichte eine Teilnahme in allen zu prüfenden Sprachen: 100% der 36 Windows Sprachen wurden reviewt. Bis zum Jahr 2015 überprüften über 4.500 Benutzer an die 500.000 sprachliche Fragen, um Übersetzungen basierend auf ihrer Muttersprache zu korrigieren oder zu verbessern. In der Spitze korrigierten 130 Mitarbeiter eine einzelne Sprache. Der Spielspaß war so groß, dass Microsoft in der Region Japan tatsächlich einen unternehmensweiten Tag in Anspruch nahm, um das Spiel zu spielen und schließlich zu gewinnen.

Die Einschätzung

Ross Smith, Director of Test bei Microsoft, glaubt, dass Unternehmen die Funktionsweise von „Arbeit“ neu definieren müssen. Die zukünftige Generation von Mitarbeitern ist mit der Integration von Technologie in ihr tägliches Leben aufgewachsen und verändert damit effektiv die Art und Weise, wie die heutige Welt kommuniziert, priorisiert und produziert. Microsoft nutzte auf eine niedrigschwellige und smarte Art Gamification, um ihre Mitarbeiter für ein gemeinsames Ziel zu motivieren: für die sprachliche Kontrolle von Windows. Gemeinsam an konkreten Aufgaben des Unternehmens mit Freude zu arbeiten, ist Microsoft gelungen. Es zeigte, mit Gamification kann man Menschen und Stakeholder motivieren, sich aktiv zu beteiligen, die Produktivität zu steigern und effizient Aufgaben zu lösen. Die Ergebnisse zeigen auch das enorme Potential von Produktivitätsspielen für traditionelle Organisationen und Geschäftsprozessen auf.

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Mobilisierung: Wie aktiviert man Stakeholder durch Gamification

Mobilisierung: Wie aktiviert man Stakeholder durch Gamification

Unternehmen fragen sich, wie sie ihre Mitarbeit besser motivieren können. NGOs wollen dauerhaft die Freiwilligen binden oder Parteien die gewonnenen Mitglieder aktiv zum Mitmachen bewegen. Doch wie mobilisiert man Mitarbeiter, Freiwillige oder Mitglieder dauerhaft für die gemeinsamen Ziele in Zeiten wachsender Veränderungen? Wie werden Betroffene zu Beteiligten? Mit einer neuen Serie zur Mobilisierung von Stakeholdern durch Gamification.  

Zeitalter der Engagement-Krise

Wir sind im Zeitalter der Engagement-Krise. Während unsere Gesellschaft immer vernetzter, schnelllebiger und leistungsfähiger wird, wächst die Herausforderung für Unternehmen, NGOs oder Parteien Bürger, Kunden, Angestellte, Freiwillige oder Mitglieder einzubinden. Gallup fand heraus, dass nur ein Drittel der Mitarbeiter sich aktiv in die Entwicklung ihres Unternehmens einbringen. Aktiv gegen das eigene Unternehmen engagieren sich 16 Prozent der Mitarbeiter und über die Hälfte (51 Prozent) sind einfach nur anwesend. Ähnliche Herausforderungen berichten NGOs oder Parteien. Schlechte Motivation und Engagement ist schlecht für den Erfolg. Es behindert Innovationen, beschränkt die Entwicklung des vollen Potentials der Stakeholder und schwächt den Erfolg der Organisation. 

Gerade in Zeiten der Digitalisierung und Social Media wachsen dabei die kommunikativen Herausforderungen. Schätzungen gehen davon aus, dass die meisten Menschen im Durchschnitt mehr 285 Artikel, Tweets oder Facebook Posts konsumieren, was über 54.000 Wörtern entspricht. Das ist die Länge eines typischen Romans. Doch steigt durch den Information Overload das Engagementlevel? Eher im Gegenteil. Es werden nur Informationen geteilt, die persönlich relevant und motivierend sind. Kurz gesagt: Wer das kommunikative Potential seiner Stakeholder, Mitarbeiter und Mitglieder aktiv nutzen will, muss sie zu mobilisieren wissen. 

Nur so kann Transformation gelingen. Studien über Change-Projekte in Unternehmen zeigen, dass durch Kommunikation und das aktive Engagement der Beteiligten die Transformation bis zu ein Jahr schneller gelingt und die Ziele um drei Jahre schneller erreicht werden. Um den gewünschten Wandel im Denken zu erreichen, sind unmittelbare Beteiligung und eine Identifikation mit Inhalt und Richtung der Veränderung nötig. 

Spielerisch zum Stakeholder Engagement und Mobilisierung

Es ist ein Irrglaube, dass höhere Beschäftigungsanreize und Bonuszahlungen auch mit der Verbesserung von Resultaten einhergehen. Vielmehr gewinnen mit der Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt neuartige Methoden an Bedeutung, die persönliche Motivationen der Stakeholder mit den Organisationsinteressen zu verbinden wissen. Dabei berücksichtigen sie intrinsische und extrinsische Motivationsfaktoren. Und zwar spielerisch durch Gamification.

Gamification ist die Anwendung der Psychologie des Spiels auf einen nicht spielerischen Kontext, um beispielsweise Mitarbeiter im Unternehmen oder Mitglieder von Organisationen für gewünschte Handlungen zu motivieren und zu belohnen. Es zielt darauf ab, Betroffene zu Beteiligten zu machen – auf eine spielerische Art und Weise.

Gamification dient drei Hauptzwecken:

  • Änderung des Verhaltens,
  • Entwicklung von Fähigkeiten und
  • Förderung der Innovation

Gamification ist dort am besten eignet, wo man die die Ziele und Motivationen des Einzelnen mit denen der Organisation verbinden kann. Im besonderen richtet es sich an drei Zielgruppen:

1. Kunden

Kundenorientierte Gamification-Lösungen sind weit mehr als verbesserte Loyalitätsprogramme. Gamification kann verwendet werden, um das Produktangebot zu verbessern, Kundeninteraktionsmodelle zu ändern und Kundenunterstützungsnetzwerke zu ermöglichen. Im Mittelpunkt steht, dass was schätzt der Kunde und wie können wir ihn aktiv mobilisieren.

2. Mitarbeiter

Mitarbeiterorientierte Anwendungen von Gamification wachsen am stärksten. Sie bieten die größten Möglichkeiten, weil Arbeitnehmer eingebunden und aktiv für das Unternehmen mobilisiert werden. Anwendungsbeispiele reichen von Veränderung der Unternehmenskultur über Leitung von Mitarbeitern hin zu einer erfolgreichen Prozessausführung sowie Implementierung von Transformationsprogrammen. Im Mittelpunkt steht, den Mitarbeiter langfristig durch eine hohe Unternehmensbindung und -motivation zu binden und zu qualifizieren.

3. Interessengemeinschaften wie Parteien oder NGOs

Gamification ist außerdem besonders gut geeignet, um Interessengruppen an Verhaltensänderungen zu beteiligen. Was macht man mit Freiwilligen in NGOs oder Mitgliedern in Parteien, die man nicht zum Engagement zwingen kann? Im Mittelpunkt steht die Stärkung gemeinsamer Ziele und sie durch spielerische Anreize zu befördern.

Wie gelingt Gamification?

Eine neue Serie zur Mobilisierung von Stakeholdern durch Gamification zeigt wie Mitarbeiter und Kunden, Mitgliedern und Freiwilligen zu aktivem Engagement eingebunden werden.

  • Welche verhaltenspsychologischen Motive gibt es für Mitarbeiter, Kunden und Freiwillige?
  • Wie entwickelt man Gamification im Unternehmen oder NGOs?
  • Wie mobilisiert man das Engagement?
  • Wie sieht ein Design für Gamification aus?
  • Welche Chancen bietet die Digitalisierung, Anreize aktiv zu befördern?
  • Welche Praxisbeispiele waren erfolgreich?

All diese Fragen will die neue Serie beantworten. Zweimal die Woche. Hands on und mit praktischer Relevanz für Unternehmen, NGOs und gesellschaftliche Organisationen. Wer keinen Beitrag verpassen will, kann sich in den Newsletter eintragen und erhält exklusives Hintergrundmaterial und Case Studies.

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Zwei Trends für Public Affairs 2018

Zwei Trends für Public Affairs 2018

Vier Monate nach dem Wahltag und immer noch keine Klarheit. Doch selbst wenn sich die Regierung findet, zeigen die Verhandlungen um Groko und Jamaika wie wankelmütig und disruptiv Politik in Deutschland geworden ist. Doch was heißt das für die Zukunft von Public Affairs?

Unternehmen, Gewerkschaften, Agenturen und NGOs können sich nicht mehr sicher sein, was gilt. Heute gefeierte Kanzlerin schon morgen Auslaufmodell, heute einstimmiges Sondierungsergebnis und morgen schon wieder Verhandlungssache. Wer will da eigentlich noch auf sachbezogene Interessenvertretung setzen? Es bleibt nur der beständige, öffentliche kommunikative Dauerdruck. Ab 2018 gilt: Herzlich willkommen im deutschen Zeitalter der Permanent-Kampagne. Always On!

Wer in diesem Umfeld bestehen will, den werden zwei Trends in 2018 beschäftigen:

1. Digital Campaigning und Stakeholder-Kommunikation: Echtzeit und Transparenz

Die digitale Kampagnefähigkeit wird deutlich wachsen. In der Hochgeschwindigkeit des Internet-Zeitalters beschleunigt sich die Kommunikation: Inhaltliche Reaktionen erfolgen in Echtzeit, Veranstaltungen werden live gestreamt und Kommentierungen geschehen in kurzen Videobeiträgen. Communities vermischen sich im Digitalen – Youtube Influencer interviewen Politiker, steigen in die politische Debatte ein und erweitern so ehemals unterschiedliche Fanbases. Twitter wird nicht der alleinige King der deutschen Public Affairs Community bleiben.

Die Wendung der politischen Kommunikation und deren Akteure hin zur Echtzeitkommunikation auf unterschiedlichen Plattformen führt zu einer wachsenden Sichtbarkeit von politischen Debatten und Inhalten. Nun wird man beobachtet – nicht nur von den Wettbewerbern, sondern auch von den Medien. Das Zwischenstände aus Sondierungsrunden getwittert werden, kann man wahlweise als erhöhte Transparenz oder als undichte Vertraulichkeit sehen. Public Affairs Arbeit wird diesen digitalen Marktplatz nicht mehr verlassen können.

Das führt zu größerem öffentlichen Diskurs über Meinungen und Positionen, Facts und Figures. Gut gemachte Inhalte als Sharepics, Bewegtbild oder synthetisierte Informationen gewinnen an Macht, da sie schnelle Verbreitung in der Community finden. Events und Briefings werden in Echtzeit oder kuratiert an die Nutzer weitergegeben. Die Inhalten und Kommunikationsstrategien werden sich der Darstellungs- und Hierarchisierungslogik der Algorithmen anpassen, der Videos und Live begünstigt. Dabei ändert sich auch die klassische Narrativlogik. Botschaften müssen frühzeitig platziert werden, bevor der Nutzer schon wieder weiterklickt.

Wirkmächtiger werde die Public Affairs Akteure, die aus der Anonymität der Kommunikation in die Mitte des digitalen Marktplatzes treten. Es kommt zu einer Personalisierung auf den wichtigen digitalen Plattformen, wo man Gesicht zeigen muss, um an der politischen Diskussion langfristig mitwirken zu können. Gelingt dies, ist einem die Gewinnung einer eigenen Fanbase und erhöhter Reichweite aka Einfluss gewiss. Daher entstehen neue Instrumente der Zusammenarbeit und Interaktion.

In dieser erweiterten Transparenz gewinnen das Denken in Campaigning und neue Allianzen an Bedeutung. Durch die öffentliche Debatte entstehen bei bestimmten Themen neue Ad hoc Allianzen und teils unfertige Positionen werden unter Einbeziehung der politischen Akteure vervollständigt. Dem Kritiker an der eigenen Position wird man Platz auf der eigenen Plattform einräumen, um Glaubwürdigkeit für die eigene Sichtweise zu gewinnen. Die strategische Planung solcher Prozesse wird enorm zunehmen, will man nicht gegen kleinste Nische-Spieler mit aggressiven und kontrastierenden Botschaften unterliegen. Es ist auf dem digitalen wie auf dem analogen Marktplatz gleich – manchmal weiß man ohne genauen Einkaufszettel nicht, womit man nachhause kommt.

2. Motivation und Mobilisierung der Fanbase: Betroffene zu Beteiligten machen

In der digitalen Transformation gewinnt die Aktivierung von Kunden, Mitarbeitern und Freiwilligen. Für die zukünftige kommunikative Deutungshoheit ist die Einbindung der Fanbase bedeutend. Die Themen sind vielfältig: ob als Metallindustrie gegen die 28-Stunden-Woche zu streiten,  als NGO für mehr Klimaschutz zu werben oder sich als Patienten für einen Nationalen Diabetes Plan zu engagieren – Betroffene suchen transparente Beteiligungsformen. Aktive Teilhabe, direkte Bürgerbeteiligung, stärkere Interaktion und einen Call-to-Action: es geht um orts-, zeitungebundenes und virtuelles Engagement. Doch dafür müssen sich Public Affairs Akteure und Kommunikatoren mehr einfallen lassen als nur die Webseite und das Großflächen-Plakat. Der BDI bekam die fehlende Kampagnefähigkeit bei ihrer Werbekampagne für TTIP zu spüren, die nichts gegen mehr als 100.000 Demonstranten in Berlin ausrichten konnte. Doc Morris probte schon mal das Aktivierungspotential chronisch Kranker im Vorfeld der Bundestagswahl 2017, wo über 100.000 Postkarten an Mitglieder des Bundestages gingen.

In Zeiten kampagnenmäßiger Kommunikation sind moderne Ansätze von Aktivierung, Motivation und Gamification die Antwort. Connect17 mit seinen 1,1 Mio. Tür-zu-Tür-Kontakten war erst der Anfang.

Doch dafür müssen Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und Parteien besser die Motivation Mitarbeiter, Freiwillige oder Kunden verstehen. Dort schlummert die Kraft der Überzeugung. Wer die Betroffenen zu Beteiligten macht, wird eine kommunikative Stärke ausspielen können. Im Zeitalter der digitalen Transformation bedeutet dies, auf die Kraft von Motivation und Gamification zu setzen. Mit der Anwendung der Psychologie des Spiels in realen Kampagnen werden Mitarbeiter, Freiwillige oder Kunden aktiviert. Das kontinuierliche Mobilisierungssignal wird weiter wachsen und findet seine Unterstützung in Gamification-Elementen, die eine spielerische Verbindung zwischen Kampagnen und der Fanbase aufbaut. Wenn Mitglieder und Unterstützer für analoge oder digitale Aktivitäten wie Tür-zu-Tür oder Social Media Posts mehr Status, Punkte oder Prämien erhalten, beginnt ein individueller Wettbewerb, der mehr Teilhabe und Engagement schafft. Die Fanbase wächst und steigert langfristig die Kampagnenfähigkeit und den Public Affairs Erfolg.

Trendstudie zum digitalen Wahlkampf 2017: SPD und AfD liegen knapp vorne

Trendstudie zum digitalen Wahlkampf 2017: SPD und AfD liegen knapp vorne

Die Quadriga Hochschule Berlin veröffentlicht die erste „Trendstudie Digital Campaigning in der Bundestagswahl 2017 – Implikationen für Politik und Public Affairs“.

Alle Parteien wurden systematisch an den Erfolgsfunktionen Information, Vernetzung, Teilhabe und Mobilisierung verglichen. Dabei fanden sich große Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien, aber auch klare Unterschiede bei Plattformen und in Schwerpunktsetzung der unterschiedlichen Erfolgsfunktionen:

  • CDU informierte mit vielen Post,
  • bei SPD und FDP wuchsen die Follower und Fans,
  • die Grünen erreichten sehr viele Views und Likes
  • die AfD mobilisierte sehr gezielt.

Die Analyse ergab weiterhin, dass digitale Werkzeuge den Wahlkampf nicht grundlegend ändern, aber die Möglichkeiten politischer Kampagnen deutlich stärken können. So sei es viel einfacher und schneller für die Bürger zu spenden, Informationen zu suchen, oder Kontakt aufzunehmen. Durch soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook oder Instagram eröffnen sich Bürgern, Parteien und Kampagnen neue Möglichkeiten sich politisch auszudrücken und ihre Inhalte unmittelbar zu teilen.

„Alle Parteien sollten sich die Analyse genau ansehen. Falls es doch zu Neuwahlen kommt, werden sie gar nicht die Zeit haben, neue Großflächen zu drucken, sondern müssen digital kommunizieren und da ist entscheidend, wer online mithalten kann“.

Die Studie „Trendstudie Digital Campaigning in der Bundestagswahl 2017 – Implikationen für Politik und Public Affairs“ wurde von Prof. Dr. Mario Voigt, Professor für Politik und Digitale Transformation, und Prof. Dr. Rene Seidenglanz, Vizepräsident der Quadriga Hochschule Berlin und Professor für Kommunikationswissenschaft, insb. Kommunikationsmanagement, mit Unterstützung von Union Asset Management Holding AG erstellt.

Wahlanalyse 2017: Wenn die Politik an der Haustür klingelt

Wahlanalyse 2017: Wenn die Politik an der Haustür klingelt

Der folgende Artikel wurde von Conrad Clemens und mir verfasst. Er ist Teil des Buchprojektes „Wahlanalyse 2017“.

Politik ist Kontaktsport. Im Bundestagswahlkampf 2017 besannen sich die Parteien auf die direkte Ansprache des Wahlvolkes. Dies verwundert nicht, nimmt doch die Parteibindung ab, steigt die Medienvielfalt und verbreitert sich das politische Meinungsspektrum. Wer in Zeiten von maximaler und permanenter digitaler Aufregung das Herz der Wähler gewinnen will, muss den direkten Draht zum Wähler suchen.

Die direkte Wähleransprache liegt im internationalen Trend. Beim US- Präsidentschaftswahlkampf 2016 setzten sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton auf eine ausdifferenzierte Infrastruktur aus Freiwilligen, Daten und Technologie für die Mobilisierung. Die Republikaner klopften an 24 Millionen Haustüren und schafften 26 Millionen Telefonanrufe (Voigt 2018). In Großbritannien überraschte die Labour Party bei der Unterhauswahl mit großen Zugewinnen, weil das „Doorstep Game“ neu organisiert wurde (Hancox 2017). Und auch in Frankreich setzte Macrons Bewegungspartei „En Marche!“ in der Aufbauphase aber auch im Wahlkampf um die Präsidentschaft kräftig auf Tür-zu-Tür-Wahlkampf (Robins-Early 2017).

In Deutschland befeuern neben dem geänderten Mediennutzungsverhalten der Bürger zwei Trends das Engagement der Parteien, auf die Bürger direkt zuzugehen: frühe Wähler und späte Entscheider. Bereits bei der Bundestagswahl 2013 beantragten 10,8 Millionen Deutsche ihre Stimme per Brief ab. Briefwählen ist ein wachsender Trend, 2017 lag der Briefwähleranteil bei 28,6 Prozent – ein Rekord. Das Problem für die Parteien ist: Wenn die Zeit der konventionellen Wahlwerbung beginnt, fangen die Wähler bereits per Brief an zu wählen, ohne dass sie von der Wahlkampfkommunikation erreicht werden. Bei den späten Entscheidern verkehrt sich die kommunikative Aufmerksamkeit ins Gegenteil. Aus Wahlverhaltensstudien über Spätentscheider ist bekannt, dass mehr als jeder dritte Wähler sich in den letzten zehn Tagen vor der Wahl ein abschließendes Urteil bildet (Reinemann et al. 2013). Trotz wochenlangen Werbedrucks der Parteien kommt es also auf die direkte Kommunikation und Mobilisierung in den letzten Tagen an.

Im Wahljahr rieben sich Journalisten und manche Beobachter verwundert die Augen als besonders die CDU auf die Ansprache von Tür zu Tür setzte. Die Union verband darin den Anspruch, einen modernen Wahlkampf mit klassischer Wähleransprache zu verbinden. Es ging um eine Haltung, auf die Menschen zuzugehen und sich den Fragen der Bürger zu stellen.

Folgender Beitrag beleuchtet den Aufbau des Mobilisierungsprojekts der CDU, connect17, ordnet es in die wissenschaftliche Forschung zum Thema Tür-zu-Tür ein und gibt einen Ausblick über die zukünftige Entwicklung der direkten Wähleransprache.

connect17 für die direkte Wähleransprache

Die CDU setzte konsequent auf Tür-zu-Tür-Ansprache. Die organisatorischen Vorarbeiten starteten bereits im Herbst 2015 unter Führung des Bundesgeschäftsführers Klaus Schüler. Rund zwei Jahre vor dem eigentlichen Wahltag standen Themen und Debattenlagen noch nicht fest, aber es war offensichtlich, dass die direkte Wähleransprache eine wesentliche Rolle für den Erfolg ausmachen würde. Für die direkte Mobilisierung galt es drei wesentliche Aspekte zu adressieren. Erstens stand der organisatorische Projektaufbau im Mittelpunkt. Im September 2016 gründet man offiziell die Kampagneneinheit connect17. Sie verknüpfte die Parteigliederungen, die Vereinigungen der CDU und das Freiwilligenprogramm teAM aus den vorherigen Wahlkämpfen zu einem eigenständigen Direktansprache-Projekt. Um Reibungsverluste zu vermeiden und eine synchrone Kampagnenarbeit sicherzustellen, gab es eine enge Verzahnung mit der Jugendorganisation JU und eine Anbindung an die CDU- Landesverbände. Für die jeweiligen Landesverbände und deren Kandidaten gab es bei connect17 Ansprechpartner. Berichtet wurde an Klaus Schüler als Bundesgeschäftsführer und Stefan Hennewig als Leiter des Bereichs Kampagne.

Zweitens galt es, die Partei für die direkte Wähleransprache Tür zu Tür zu gewinnen. Hierbei wirkte die Überzeugungskraft von Angela Merkel und Peter Tauber. Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel startete den Wahlkampf mit der Aussage: Dieser Wahlkampf wird wie kein anderer. Sie verwies darauf, auf die Wähler direkt zuzugehen. Generalsekretär Peter Tauber absolvierte unzählige Tür-zu-Tür-Besuche mit Kandidaten in den Landtags- und im Bundestagswahlkampf im Wahljahr 2017. Zudem bezog man die Landesverbände frühzeitig mit ein und erklärte auf Konferenzen, Schulungen und in Einzelpräsentationen die Bedeutung für den Bundestagswahlkampf. Wesentlich waren jedoch die Beta-Tests und Erfolge bei den Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Hierbei sticht besonders das Saarland als Initialzündung für das Wahljahr 2017 heraus, wo bei 217.000 Wählern für die CDU 75.000 Haushalte direkt per Tür- zu-Tür angesprochen wurden.

Drittens ging es um die gezielte Steuerung zum Bundestagswahltag. In Trainings mit allen Kandidatenkampagnen der CDU, durch eine Wahlkampf-App connect17, welche den Tür-zu-Tür-Wahlkampf unterstützte, und Anreizinstrumente durch neuartige Gamification- Elemente gewann man knapp 12.000 Teilnehmer für das Programm connect17. Es standen zwei Zeitfenster der Kampagne im besonderen Fokus: der Beginn der Briefwahlphase und die Schlussmobilisierung in den letzten 14 Tagen. Aber auch zu herausgehobenen Kampagnenevents wie dem TV-Duell unterstützte connect17 durch Tür-zu-Tür und digital die Kommunikation. Ein wesentlicher Erfolgsindikator für connect17 war die Anzahl der erreichten Haushalte. Durch das Programm connect17 erreichte die CDU über 1,1 Mio. Bürger direkt.

Vier wissenschaftliche Argumente aus dem Blickwinkel von Connect17

In der Wissenschaft gibt es ein wachsendes Interesse an der direkten Wählerkommunikation und besonders die Bürgeransprache Tür-zu-Tür steht im Mittelpunkt (Green/Gerber 2015). Vier Argumente kristallisieren sich heraus: Tür-zu-Tür-Wahlkampf wirkt, wird von den Bürgern begrüßt, aktiviert die Partei und findet seine Verbesserung in neuer Datenvielfalt.

  1. Effektivitäts-Argument: Tür-zu-Tür wirkt

Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Tür-zu-Tür für die Wahlbeteiligung und den Wahlerfolg. Von Harold F. Gosnells Studie „An experiment in the stimulating at voting“ aus dem Jahr 1926, über Eldersveld in den 1950er bis Rosenstone und Hansen in den 1990ern kommen alle zum Ergebnis: Tür-zu-Tür ist das effektivste Wahlkampfinstrument. Zum modernen Standard der Wahlkampfwirkungsforschung sind die verschiedene Studien von Gerber, Green und Nickerson geworden (Green/Gerber 2016). Sie fanden bspw. das Tür-zu-Tür die Wahlbeteiligung um 8 Prozentpunkte steigert, während die postalische Ansprache sie nur um einen halben Prozentpunkt erhöhte und Telefonanrufe keine Effekte auf die Wahlbeteiligung hat (Green/Gerber 2015). Zwar ist die Forschung in Europa noch ein zartes Pflänzchen, aber vergleichbare experimentelle Feld- Studien finden fast ähnliche Effekte. Allerdings schlagen diese im Vereinigten Königreich etwas stärker aus wie Studien von John und Brannan für die Britischen
Unterhauswahl belegen (John/Brannan 2008). Bei der Mobilisierung in Frankreich (Pons. 2014) oder Spanien (Ramiro et al. 2012) sind die Effekte etwas kleiner, aber immer noch besser als mit anderen Wahlkampfinstrumenten. In Deutschland fehlen Studien weitgehend, aber Tests vergleichbar denen von Green und Gerber zeigten der CDU bei Landtagswahlen oder bei Oberbürgermeisterwahlen von 2014-2016 Zugewinne von 2 bis zu 4 Prozentpunkten.

Blickt man auf das Wahljahr 2017 und connect17 sticht besonders die Landtagswahl im Saarland heraus, wo die CDU 48.000 neue Wähler hinzugewann und die Wahlbeteiligung um mehr als 8 Prozentpunkte anstieg. Erste vorsichtige Analysen für die Bundestagswahl legen nahe, dass das CDU-Ergebnis in den besonders engagierten Tür-zu-Tür Regionen zwischen 1-2 Prozentpunkten besser abschnitt als im Durchschnitt. Bei aller Sorgfalt legt dies doch nahe, dass Tür zu Tür auch in Deutschland wirkt.

  1. Vertrauens-Argument: Auge in Auge funktioniert es

Menschen vertrauen Menschen, wenn sie ihnen gegenüberstehen. Bereits in den vierziger Jahren arbeitete die Forschungsgruppe um Paul Lazarsfeld die Vorteile der interpersonellen Kommunikation heraus: Sie wird als zweckfreier wahrgenommen, der Kommunikator kann flexibler auf Widerstände reagieren und sein Gegenüber überreden, ohne voll überzeugen zu müssen. Es hilft, interpersonell zu kommunizieren, weil das Vertrauen der Wähler steigt, wenn sie jemanden menschlich erleben (Lazarsfeld 1968). Das hat viel mit sozialen Normen und Psychologie zu tun. Der Kodex des respektvollen Umgangs wird Auge-in-Auge nicht verlassen (Goffman 1982). Face-to-Face akzeptieren Wähler sogar den Haustürwahlkämpfer, selbst wenn die vorgetragene Meinung nicht ganz mit der eigenen übereinstimmt. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass bei der zunehmenden Diversifikation elektronischer Medien und der Zerfransung der Mediennutzung die Ansprache des eigenen Wählerpotentials größere Bedeutung gewinnt. Auch im Digitalzeitalter soll es menscheln.

Die Erfahrungen bei connect17 zeigen, dass die Bürger sehr positiv auf die Ansprache Mensch zu Mensch reagieren. Nur ein verschwindend geringer Bruchteil reagierte ablehnend. Vielmehr begrüßte ein Großteil die direkte Ansprache und das Zugehen durch die Politik. Die Tür-zur-Tür Wahlkämpfer stießen auf Vertrauen und die Bürger begrüßten die direkte Ansprache durch die Politik. Dabei war es irrelevant, ob der Kandidat selbst oder ein Freiwilliger Kontakt aufnahm.

  1. Revitalisierungs-Argument: Gib der Partei was zu tun

In der Wählerschaft herrscht Unsicherheit und die Kompetenzzuweisung zu den klassischen Medien sinkt. Genauso erreichen klassische Wahlkampfinstrumente von der Großveranstaltung, dem Wahlkampfstand, bis zur Parteizeitung fast ausschließlich nur den politisch interessierten Wähler. Politik ist gezwungen auf die potentiellen Wähler im wahrsten Sinne des Wortes zuzugehen. Schließlich sind Parteien keine „civic charity“ (Foos/John 2016). Bei den Praktikern setzt sich zugleich die Einsicht durch, dass die Haustürkampagne organisatorische Stärke benötigt, die nur eine Parteibasis liefern kann. Dem Ortsverband kommt endlich wieder eine wichtigere Rolle zu. Ob in den USA mit schwachen Parteistrukturen oder in den organisatorisch gut verfassten kontinentaleuropäischen Parteien man folgt dem Leitsatz, Parteiarbeit von jung bis alt hat wieder Gewicht. Den traditionellen Strukturen und Mitglieder werden mehr Aufgaben und Verantwortung übertragen.

Tür-zu-Tür verbindet also Kandidat, Parteistrukturen und befreundete Vereinigungen. Und es hinterlässt einen bleibenden Effekt bei den Bürgern für nachfolgende Wahlen: Einmal angesprochen steigt die Wahrscheinlichkeit des Wählers auch beim nächsten Mal zu gehen (Coppock/Green 2016). Ein guter Anreiz für die kommunalen Parteistrukturen bei nationalen Programmen und Angeboten mit zu machen.

Die Parteibasis reagiert sehr positiv auf connect17 und die direkte Ansprache Tür-zu- Tür. Insgesamt fanden über 250 Trainings statt und nahmen rund 12.000 Mitglieder an connect17 teil. Bereits die Angebote an Konferenzen und Trainings erwiesen sich als wesentlicher Teil der innerparteilichen Überzeugungsarbeit. Der Binnenmobilisierung folgte die Ansprache der Wähler. Bemerkenswert ist, dass es der CDU mit connect17 gelang, über 1,1 Mio. Bürger direkt anzusprechen. Das sind fast 10 Prozent ihrer Wähler.

Mit neuen technologischen Möglichkeiten wie der App connect17 zum Erfassen des eigenen Engagements und der aktiven Teilnahmen an Rankings entstand ein Wettbewerb, der jeden einzelnen Wahlkämpfer zum Teil der größeren Kampagne werden ließ. Die Reaktionen aus der Partei zu connect17 – von Funktionsträgern bis zu einzelnen Mitgliedern verliefen sehr positiv. Tür-zu-Tür erreichte somit ein größeres Engagement innerhalb der Partei und gab der Basis konkrete Handlungsoptionen, aktiv am Wahlkampf teilzunehmen.

  1. Big-Data-Argument: Mit dem Wissen über den Wähler was anfangen

Je mehr man über den Wähler weiß, umso leichter ist er aktivierbar. Neuere Studien konzentrieren sich auf den Einsatz von Big Data und Digitale Technologien, die die herkömmlichen Wählerpotenzialanalysen massiv aufwerten und das (Geo-)Targeting verfeinern (Hersh 2015). „Big Data“ ermöglicht es, viel gezielter auf die Interessen und das online sicht- und messbare Verhalten der Wähler einzugehen. Komplexe Modellierung helfen den Freiwilligen an der Haustür genau jene Botschaft beim Wähler zu platzieren, die er gerne hören möchte (Kreiss 2016).

Seit 2004 verfeinern Kampagnen weltweit die Verwendung von wählerrelevanten Daten (Issenberg 2013, Güldenzopf/Voigt 2017). Mit neuen technischen Innovationen, Apps und Kampagne-Dashboards rücken die fernen Tür- zu-Tür-Besuche ins Zentrum des Kampagnenhauptquartiers. So verheiraten sich zentralisierte Kampagnenführung von oben mit sozialen Bewegungen von unten (Speth 2013). Manche Studien legen ähnliche Anspracheformen durch Big Data in Deutschland wie in den USA nahe. Dies gehen jedoch an den Wirklichkeiten des deutschen Datenschutzes weit vorbei. Sie unterschätzen die Notwendigkeit auf die wesentlichen Prediktoren wie Parteineigung und Wahlgeschichte zurückgreifen zu können wie es in den USA möglich ist (Hersh 2015).

connect17 setzte auf die Kenntnis der Parteibasis vor Ort, öffentlich zugängliche Daten von Landesämtern für Statistik oder aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen. Dadurch wurde eine etwas genauere Eingrenzung der Wählerpotentiale auf geographischer Basis möglich. Dies nutzten die Kandidatenteams, um das Vorgehen in den Wahlkreisen zu priorisieren. Gleichzeitig vertraute man auf die Kenntnis der lokalen Gegebenheit und hinderte auch niemanden daran, auch dort zu Tür-zu-Tür zu gehen, wo nach Potentialanalyse geringere Chancen vermutet wurden. Die Möglichkeiten, zielgenau durch Daten Wähler anzusprechen, sind in Deutschland sehr eingeschränkt. Die verfügbaren Daten geben Sicherheit und Orientierung. Sie erlauben aber nicht die personengenaue Ansprache und damit auch bei weitem nicht die Kommunikation wie bspw. in den USA.

Einschätzung und zukünftige Entwicklung

War die Tür-zu-Tür-Kampagne connect17 im Wahljahr 2017 hilfreich? Angesichts des Verlusts von Stimmen und Prozenten zum herausragenden Wahlergebnis der CDU bei der Bundestagswahl 2013 kann diese Frage aufkommen. Ohne die Rolle von einzelnen Wahlkampfinstrumenten innerhalb eines Gesamtwahlkampfes überbewerten zu wollen, sprechen zwei wesentliche Punkte für einen positiven Effekt:

  • 1)  Betroffene zu Beteiligten machen: Es gelang die Parteibasis mit konkreten Aufgabenstellungen aktiv in die Kampagne einzubinden. Kandidaten- und Bundeskampagne arbeiteten eng zusammen. Dadurch erreichte man eine Binnenmobilisierung für die Landtags- und Bundestagswahlen. Mit über 12.000 Teilnehmern an Tür-zu-Tür-Aktionen und über 250 lokalen Trainings wird die direkte Ansprache auch bei den nächsten Landtags- und Kommunalwahlen eine Rolle spielen.
  • 2)  Tür-zu-Tür wirkt: Durch diese Form der Wählerkommunikation erreichte man die Bürger unmittelbar und direkt. Insgesamt wurden über 1,1 Mio. direkte Bürgerkontakte gemessen. Dies entspricht fast 10 Prozent der Wähler der CDU. Erste vorsichtige Analysen legen ein verbessertes Ergebnis von 1-2 Prozentpunkten in Wahlkreisen mit hoher Direktansprache nahe.

Ob der Bundestagswahlkampf 2017 einen Trend zur direkten Wählerkommunikation 
darstellt, werden die nächsten Wahlkämpfe beweisen. Klar ist jedoch, dass Parteien zukünftig genauer nach Effekten und Wirkungen ihrer Wählerkommunikation fragen werden. Was wird mit den eingesetzten finanziellen Mitteln erreicht? Dabei scheint sicher, dass die direkte Ansprache auf digitalem Weg und durch Tür-zu-Tür wachsen wird. Sie versprechen einen Dialog Mensch-zu-Mensch. In Zeiten schnell wechselnder Parteisympathien kommt es für die Parteien darauf an, Wege zu finden, mit dem Bürger direkt zu kommunizieren. Im digitalen Informationsdickicht erweist sich der Direktkontakt als effektiver Weg zum Wähler, und die Haustürkampagne ganz besonders.

(Anmerkung: Die Autoren sind den zahlreichen Freiwilligen und engagierten Wahlkämpfern vor Ort für die spannenden Erlebnisse dankbar. Die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel unterstützte das Projekt mit großer Leidenschaft und ausdauerndem Interesse. Besonderer Dank gebühren Peter Tauber, Klaus Schüler und Stefan Hennewig, die connect17 zu einer inspirierenden, anstrengenden und interessanten Erfahrung für die Autoren und das Team gemacht haben. Ihnen allen ist der Artikel gewidmet.)

Literatur

Coppock, A. & Green, D. (2016). Is Voting Habit Forming? New Evidence from Experiments and Regression Discontinuities, American Journal of Political Science, 60 (4), S.1044–1062.

Eldersveld, S. (1956). Experimental Propaganda Techniques and Voting Behavior, in: The American Political Science Review 50 (1), S.154-165.

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Der Artikel wurde von Conrad Clemens und mir verfasst. Er ist Teil des Buchprojektes „Wahlanalyse 2017“.

Is there a blueprint for victory? Campaign strategy and tactics

Is there a blueprint for victory? Campaign strategy and tactics

Mike Tyson said it best: They all have a strategy until they got hit. In today’s political environment with all its uncertainty and indifference political campaigns sometimes struggle to find the right recipe for success dealing with populism, fake news and a defragmented electorate.

Life is about choices. So are campaigns. Is the country on the right track, or do people thirst for change? Is the economy doing well off with new jobs being created, or is old labour being shipped overseas? Should Capitol insiders decide the country’s future, or should main street wits decide peoples’ prospects? At its best, campaigns offer voters something to choose, or at least try to frame it that way. Hence, unfortunately not necessarily the person we believe has the best ideas wins. It is not necessarily the person with the best experience. But certainly, the person with the best campaign and a clear and well executed plan wins. While obviously, every campaign is unique, there are some basic principles that can be applied to any election campaign. This article is about what must be taken into consideration to formulate a campaign strategy, plan tactics and communicate a message successfully.

1. In the age of permanent campaigns

The development of campaign management has been changing continuously. In general, experts see an evolutionary development of electoral campaigns, which is part of a modernisation process embedded in the technological and political changes in most post- industrial societies. This development is generally acknowledged by three phases: the pre-modern, the modern and the post-modern campaign.

Communication and the role of media were characterised by a partisan press, local posters and information brochures in the pre-modern era. The candidates spread their message through local meetings and ‘whistle-stop’ candidate trips. With the changing technical possibilities through radio and television, the demand for modern campaign communication grew, which characterised the phase from the early 1960s to the late 1980s. Especially television with its main evening news proved to be an important catalyst for a controlled news management within political campaigns with daily press conferences and controlled photo-ops. Image-related communication increased the profile of candidates and campaigns. In addition, target group-specific direct mail campaigns were added, which narrowed broad-based communication to specific target groups and niche communication. Since the 1990s campaign communications has experienced a diversification with cable emerging in strongly fragmented TV markets and the new internet outreach. The internet promoted direct communication and accelerated information cycles, and the campaigns responded with expanded message management.

Political campaigns are constantly growing, financially intensive, communicative high- performance machines whose characteristic communication style has changed from ‘mass propaganda’ to ‘media campaigning’ to ‘political marketing’, which in turn are characterised by different elements. The post-modern election campaigns are characterised by four essential aspects: (1) the ‘personalisation’ of campaign communication and the emphasis on the candidate role; (2) the scientification of campaign planning by experts (e.g. pollsters, political consultants) at the expense of traditional party of officials; (3) the ‘detachment’ of political parties from citizens by relying heavily on polling instead of civic interaction; and (4) the development of ‘autonomous communication structures’, which not only follow the interests of political campaigns, but also the logic of the media.

This has led to an overall objective in modern governance. The need to constantly communicate publicly and, conveying policies to the electorate, set the stage for the next election campaign. Successful governments use the findings of opinion research and carry out strategically planned communication campaigns. Government actions and policy-making are morphing into a recurring marketing offer – a permanent campaign, where actions and its marketing go hand-in-hand. Governing is perceived as a permanent campaign to mobilise support and public acceptance, blurring the boundaries between policy-making and news-making. Hence, political campaigning becomes an integral part of today’s politics.

2. The basic question ‘change vs. more of the same’

There is a ‘golden rule’ of campaign politics: A campaign must repeatedly communicate a persuasive message to voters. However, to know what the right message is, who my voters are and how to approach them is the magic sauce of strategy and tactics. But before diving into it one must understand the basic question every election poses. The simple but tricky question is: Change or more of the same?

Does this country need a change because the current situation, its leader or their concepts have failed? Or have the last years been successful, leaders have turned the country around, or deserve another term because there is no other alternative on the horizon? Different political parties or candidates offer different analysis or solutions to the problems a society faces. These are constant choices, which they bring before the voters. Campaigns offer voters choices, and ‘change vs. more of the same’ is the simple yet most effective one.

Usually, the opposition formulates a change argument. Obama has been the most obvious candidate doing so when he cleverly filled a void with his simple ‘Change and Hope’ slogan in 2008 which combined his youthful charm, his media freshness and the promise for better times. Ronald Reagan’s 1980 campaign masterfully championed President Carter by framing the choice with the question ‘Are you better off than you were four years ago?’.

In general, the party or candidate in government argues the opposite. They claim successful years in government or stress how risky it would be to not stay on course. In the middle of the global financial crisis Angela Merkel’s 2009 campaign urged voters to believe in the turnaround story of her government. In the words of the chancellor: ‘Germany will come out of the crisis more successful than we went into.’ Therefore, the campaign message was…

The complete article can be found as „Is there a blueprint for victory? Campaign strategy and tactics in elections“ (p.157-173), in:

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