Tür-zu-Tür-TÜV: Was bringt Haustürwahlkampf?

Tür-zu-Tür-TÜV: Was bringt Haustürwahlkampf?

Die Politik rennt den Menschen die Türen ein. Zurück zu den Wurzeln der direkten Wähleransprache über Tür-zu-Tür. Journalisten und manche Beobachter reiben sich verwundert die Augen. Die Wissenschaft nicht. Ganz einfach: Tür-zu-Tür-Wahlkampf wirkt. Wissenschaftlich bewiesen.

Politik ist Kontaktsport. Menschen bewegen Menschen zur Abgabe ihrer Stimme bei der Wahl. Martin Schulz war ganz überrascht als Annegret Kramp-Karrenbauer mit knapp 41 Prozent seinen Zug auf das Abstellgleis lenkte. Über 75.000 Haushalte besuchte die CDU im Saarland – und das bei 217.000 Wählern. Ein Erfolg, der in Schleswig-Holstein und NRW seine Fortsetzung fand. Doch warum verfällt Politik wieder auf persönliche Ansprache? 

Wissenschaftlicher Tür-zu-Tür-TÜV

Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte für die Wahlbeteiligung und den Wahlerfolg, wenn man direkt-persönlich Kontakt sucht. Tür-zu-Tür kann zwischen 2-8 Prozentpunkten das Ergebnis anheben. 5 Argumente finden die wissenschaftlichen Studien für Tür-zu-Tür:

1. Effektivitäts–Argument: Es wirkt am besten

Das stärkste Argument zu Beginn: Tür zu Tür wirkt am besten von allen Wahlkampfinstrumenten. Klar, es ist mühsam, gerade wenn der Wahlkreis groß und die Wählerschaft vielgesichtig ist. Doch es gibt nichts Effektiveres im Wählerdialog. Von Harold F. Gosnells Studie „An experiment in the stimulating at voting“ aus dem Jahr 1926, über Eldersveld in den 1950er bis Rosenstone und Hansen in den 1990ern kommen alle zum Ergebnis: Tür-zu-Tür ist das effektivste Wahlkampfinstrument. Zum modernen Standard der Wahlkampfwirkungsforschung sind die verschiedene Studien von Gerber, Green und Nickerson geworden. Sie fanden bspw. das Tür-zu-Tür die Wahlbeteiligung um 8 Prozentpunkte steigert, während die postalische Ansprache sie nur um einen halben Prozentpunkt erhöhte und Telefonanrufe keine Effekte auf die Wahlbeteiligung hat.

Aber gilt das nur für die USA? Zwar ist die Forschung in Europa noch ein zartes Pflänzchen, aber ähnliche experimentelle Feld-Studien finden fast ähnliche Effekte. Allerdings schlagen diese im Vereinigten Königreich etwas stärker aus wie Studien von John und Brannan für die Britischen Unterhauswahl bis hin zu weiteren große Untersuchungen belegen. Bei der Mobilisierung in Frankreich, oder Spanien sind die Effekte etwas kleiner, aber immer noch besser als mit anderen Wahlkampfinstrumenten. In Deutschland? Studien fehlen weitgehend, aber Tests von Parteien zeigen ähnliche Resultate bis zu 4 Prozentpunkten.

2. Vertrauens-Argument: Auge in Auge funktioniert es

Menschen vertrauen Menschen, wenn sie ihnen gegenüberstehen. Bereits in den vierziger Jahren arbeitete die Forschungsgruppe um Paul Lazarsfeld die Vorteile der interpersonellen Kommunikation heraus: Sie wird als zweckfreier wahrgenommen, der Kommunikator kann flexibler auf Widerstände reagieren und sein Gegenüber überreden, ohne voll überzeugen zu müssen. Es hilft, interpersonell zu kommunizieren, weil das Vertrauen der Wähler steigt, wenn sie jemanden menschlich erleben. Das hat viel mit sozialen Normen und Psychologie zu tun. Der Kodex des respektvollen Umgangs wird Auge-in-Auge nicht verlassen. Face-to-Face akzeptieren Wähler sogar den Haustürwahlkämpfer, selbst wenn die vorgetragene Meinung nicht ganz übereinstimmt. Diesen moralischen Zugang gibt es bei anderen Kampagneninstrumenten nicht.  Amerikanische Kampagnen nutzen die Wählerpsychologie für „social pressure“ oder nudging: Dein Nachbar hat schon gewählt, willst du nicht auch mal? Nach deutschem Datenschutz unvorstellbar.

3. Navigator–Argument: Informationsdickicht überwinden

Es ist unübersichtlich geworden: Fernsehen, Internet, Radio und Zeitungen – tausende Information. Jeden Tag. Welcher Wähler soll da noch den Überblick behalten? Im Informationsdickicht braucht der Wähler persönlichen Beistand und einen Navigator.

Orientierung geben

Den sucht er im persönlichen Umfeld oder bekannten lokalen Gesichtern. Bei der zunehmenden Diversifikation elektronischer Medien und der Zerfransung der Mediennutzung gewinnt die Ansprache des eigenen Wählerpotentials größere Bedeutung. Es kommt zu einer Rückbesinnung auf den persönlichen Politik(er)-Wähler-Dialog. Bei schwankenden Wahlbeteiligungen gewinnt eine Fokussierung auf Mobilisierungsinstrumente Bedeutung; zumal, wenn die Wirkung der Massenmedien sinkt. Und es wirkt ansteckend: Die persönliche Ansprache mobilisiert auch weitere Familienmitglieder zur Wahl zu gehen, selbst wenn sie während des Gesprächs garnicht anwesend war. Auch im Digitalzeitalter soll es menscheln. Wer im Gedächtnis der Wähler bleiben will, sollte Mensch zu Mensch kommunizieren und nicht über andere Kommunikationskanäle.

4. Revitalisierungs-Argument: Gib der Partei was zu tun

In der Wählerschaft herrscht Unsicherheit und die Kompetenzzuweisung zu den klassischen Medien sinkt. Genauso erreichen klassische Wahlkampfinstrumente von der Großveranstaltung, dem Wahlkampfstand, bis zur Parteizeitung fast ausschließlich nur den politisch interessierten Wähler. Politik ist gezwungen auf die potentiellen Wähler im wahrsten Sinne des Wortes zuzugehen. Schließlich sind sie keine „civic charity“. Bei den Praktikern hat sich zugleich die Einsicht durchgesetzt, dass die Haustürkampagne organisatorische Stärke benötigt, die nur eine Parteibasis liefern kann. Endlich hat der Ortsverband wieder ein wichtige Rolle. Tür-zu-Tür verbindet also Kandidat, Parteistrukturen und befreundeter Vereinigungen. Sie ist im Grunde nur möglich, wenn man dem Leitsatz folgt: „bring the party back in“. Parteiarbeit von jung bis alt hat wieder Gewicht. Und es hinterlässt einen bleibenden Effekt für nachfolgende Wahlen: Einmal angesprochen steigt die Wahrscheinlichkeit des Wählers auch beim nächsten Mal zu gehen. Ein guter Anreiz für die kommunalen Parteistrukturen.

5. Big-Data-Argument: Mit dem Wissen über den Wähler was anfangen

Je mehr man über den Wähler weiß, umso leichter ist er aktivierbar. Neuere Studien konzentrieren sich auf den Einsatz von Big Data und Digitale Technologien, die die herkömmlichen Wählerpotenzialanalysen massiv aufwerten und das (Geo-)Targeting verfeinern. „Big Data“ ermöglicht es, viel gezielter auf die Interessen und das online sicht- und messbare Verhalten der Wähler einzugehen. Komplexe Modellierung helfen den Freiwilligen an der Haustür genau jene Botschaft beim Wähler zu platzieren, die er gerne hören möchte. Seit 2004 verfeinern Kampagnen weltweit die Verwendung von wählerrelevanten Daten.

Apps helfen beim Wahlkampf

Mit neuen technischen Innovationen, Apps und Kampagne-Dashboards rücken die fernen Tür-zu-Tür-Besuche ins Zentrum des Kampagnenhauptquartiers. So verheiraten sich zentralisierte Kampagnenführung von oben mit sozialen Bewegungen von unten. Nach Jahren der Funktionsentleerung der mittleren Parteiebenen kommt der Basis wieder eine Rolle zu.

 

Der Direktkontakt ist der effektivste Weg zum Wähler, und die Haustürkampagne ganz besonders. Tür-zu-Tür heißt Mensch-zu-Mensch. Ist erfolgreich. Wissenschaftlich bewiesen. Und macht auch noch Spaß.

Um nichts zu verpassen, einfach der Mini-Serie als Newsletter folgen.

[offer-box href=“http://mario-voigt.us7.list-manage.com/subscribe/post?u=32fd2aefa585ab7aa5bf1f280&id=bb6766f11e“ linktext=“Miniserie: Trends im Wahlkampf“ securecheckout=“false“]

Wahlkampf: Mensch zu Mensch statt Martin, Martin!

Wahlkampf: Mensch zu Mensch statt Martin, Martin!

Was war das denn? Martin Schulz, von den Genossen zum Gottkanzler ernannt, wirft der CDU einen „Anschlag auf die Demokratie“ vor!?! Schulz behauptet, CDU setze im Bundestagswahlkampf auf eine sinkende Wahlbeteiligung. Abermals widerlegen die Fakten die Aussagen des SPD-Kandidaten. Nach den drei herben Niederlagen bei den Landtagswahlen braucht es wohl schmerzlindernde Vergesslichkeit.

Ein kurzer Blick auf die Zahlen verrät, dass die Wahlbeteiligung im Saarland um 8,1%, in Schleswig-Holstein um 4% und in NRW um 5,6% gestiegen ist. Das geht einher mit einem deutlichen Plus für die CDU (+5,5%, +1,2%, +6,7%).

Während also der Kanzlerkandidat der SPD damit beschäftigt war, seine Genossen zu „Martin, Martin!“-Rufen zu animieren, hat die CDU in den drei Bundesländern an über 250.000 Haustüren geklopft und damit viele neue Wähler, besonders aus dem Nichtwählerlager (Saarland um +28.000, Schleswig-Holstein +51.000, NRW +440.000) überzeugen können. 

In diesem Zusammenhang von „Arroganz der Macht“ und einem „Anschlag auf die Demokratie“ zu sprechen ist beschämend. Es gibt Studien, die belegen, dass der Kontakt von Mensch zu Mensch an den Haustüren einen positiven Effekt auf die Wahlbeteiligung hat.

Eines jedoch scheint Martin Schulz aus den Niederlagen der drei Landtagswahlen gelernt zu haben: Die Verluste der Sozialdemokraten resultierten hauptsächlich aus den fehlenden Inhalten ihres neuen Parteivorsitzenden. Diesen Vorwurf der Inhaltslosigkeit versuchte Schulz nun der Kanzlerin zuzuschieben. Das wird kaum zum Erfolg führen: Nächste Woche folgt das Wahlprogramm der Union. Darüber hinaus schätzen die Menschen den Führungsstil Angela Merkels. Lassen wir Martin Schulz am Zaun vom Bundeskanzleramt rütteln. Die direkte Kommunikation auf den Straßen und an den Haustüren gewinnt das Vertrauen der Wähler. Die bisherigen Wahlen 2017 haben bewiesen, dass die CDU damit sehr erfolgreich ist.

von Conrad Clemens und Mario Voigt

Newsletter abonnieren