Interview zu Tür-zu-Tür: Politik ist Kontaktsport

Interview zu Tür-zu-Tür: Politik ist Kontaktsport

Mario Voigt ist einer der Köpfe hinter connect17. Bei der Eröffnung des #fedidwgugl-Hauses nannte ihn Conrad Clemens den „Christoph Kolumbus des Haustürwahlkampfes“. Seit Jahren beschäftigt sich der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Thüringen und ehemalige JU-Landesvorsitzende intensiv mit Wahlkämpfen. Schon als 27-Jähriger zog er selbst von Haus zu Haus, hat in späteren Jahren dazu geforscht, Wahlkämpfe vor Ort in den USA und Asien beobachtet und ist seit einem halben Jahr Professor an der Quadriga Hochschule in Berlin.

Von Florian Müller

F: Die meisten Wahlbenachrichtigungen sind inzwischen versandt. Kribbelt es allmählich, gerade mit Blick auf die Haustürwahlkämpfe und die Briefwahlen?

MV: Es kribbelt schon seit vielen Monaten! Wer hätte denn im Dezember 2016 gedacht, dass wir schon jetzt gemeinsam so viel erreicht haben: drei Landtagswahlen gewinnen und mit connect17 ein völlig neues System für Tür-zu-Tür und direkte Ansprache entwickeln. Wir haben schon jetzt viel erreicht, aber unser wichtigstes Ziel ist die Bundestagswahl. Die wollen wir gewinnen. Und mit Niedersachsen dann die vierte Landtagswahl in diesem Jahr.

F: Briefwahl klingt ja erst mal extrem langweilig. Warum hast du angefangen, dich für dieses Thema zu interessieren?

MV: Beim Blick auf die Fakten. Wir haben bisher immer geglaubt, dass Wahlkampf eine durchgängige Erzählung ist, die sich zum Wahltag immer weiter steigert. Tatsächlich gibt es zwei Trends: frühe Wähler und späte Entscheider. Denn man kann schon sechs Wochen vor dem Wahltag abstimmen. Und in Deutschland wählt mittlerweile jeder Vierte per Brief – 2013 erhielt die CDU/CSU fast jede vierte Stimme so. Da steckt ein sehr großes Potenzial! Studien zeigen eindeutig, dass ein großer Teil schon sehr früh per Brief wählt, weil er klar entschieden ist, wen er wählen möchte, oder weil er schon weiß, dass er am Wahltag nicht zu Hause sein wird.

Das heißt: Bevor wir so richtig mit Wesselmännern rausgegangen sind, haben schon viele Wähler ihre Stimmen abgegeben. Und das wollen wir als Union diesmal zum ersten Mal ganz aktiv mit einer eigenen Kampagne bearbeiten und bespielen. connect17 spielt dafür mit dem Tür-zu-Tür-Wahlkampf eine zentrale Rolle und das Team um Conrad macht einen sehr guten Job.

F: Welche Parteien profitieren am stärksten von der Briefwahl?

MV: Die kleinen profitieren mehr als die Großen. Absoluter Champion ist die CSU. Sie hat bei jeder Bundestagswahl seit 1990 mehr Stimmen über die Briefwahl bekommen als am Wahltag selbst. Bei der Bundestagswahl 2013 erhielten SPD und CDU relativ jeweils rund 24 Prozent ihrer Stimmen über die Briefwahl.

F: Wie sieht denn der typische Briefwähler aus?

MV: Es gibt keinen „typischen“ Briefwähler. Wir wissen aber erstens, dass der Briefwahlanteil in Städten zum Beispiel höher ist, als auf dem Land und zweitens, dass es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern und Wahlkreisen gibt. In Passau oder Starnberg, haben 2013 40 Prozent – also fast jeder zweite Wähler – per Brief abgestimmt.

F: Steht diese Erkenntnis nicht im Widerspruch zu der Zeitpunktbezogenheit des Wahlkampfes, von der Thomas Strerath von Jung von Matt in der letzten ENTSCHEIDUNG gesprochen hat?

MV: Nein. Wir müssen nur verstehen, dass es keine lineare Wahlkampferzählung gibt, an deren Ende sich die Wähler entscheiden, sondern dass entlang dieses Weges, Wähler sich zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten festlegen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass man bis zum Freitag vor der Wahl auch in seinem jeweiligen Rathaus abstimmen kann. Die Unionskampagne begleitet den Wähler dieses Jahr kontinuierlich auf seinem Weg bis zum Wahltag.

Das ist ein Balance-Akt. Ja, ein Viertel der Wähler stimmt per Brief ab, aber über 30 Prozent entscheiden sich erst in den letzten Tagen. Im Saarland haben zwei Drittel der Spätentscheider die CDU gewählt. Die Kraft auf den letzten Metern zu haben, das ist auch unser Ziel für die Bundestagswahl.

F: Heißt das, dass wir den Wahlkampf neu erfinden müssen?

MV: Ich glaube, der Wähler hat einen Anspruch auf Dialog. Politik ist Kontaktsport. Deswegen machen wir Tür-zu-Tür. Das ist ein Ausdruck der Haltung der Union. Wir gehen aktiv auf Wähler zu und sagen: ‚Hey, wir machen dir ein inhaltliches politisches Angebot, wir wissen, dass du Gesprächsbedarf hast‘. Im wahrsten Sinn des Wortes macht der Wähler für uns ein kleines Fenster der Aufmerksamkeit auf, in dem wir unsere politische Botschaft platzieren können. Wir haben begriffen, dass der Wähler ein scheues Reh ist. Und deshalb gehen wir auf möglichst viele persönlich zu.

F: Die Antwort auf den wachsenden Stimmanteil der Briefwähler ist Tür-zu-Tür als regelmäßiges Gesprächsangebot?

MV: Genau. Und das ist ein Dialog mit dem Wähler, der idealerweise nicht am Wahltag endet, der aber natürlich im Wahlkampf den Höhepunkt erreicht. Ich habe Tür-zu-Tür seit 2012 wissenschaftlich und in der Praxis untersucht. Wir können dadurch zwei bis vier Prozentpunkte gewinnen. Deswegen habe ich gerne JA gesagt, als ich gefragt worden bin, dass Projekt connect17 mitzuentwickeln.

F: Ist Tür-zu-Tür also die Wunderwaffe, die die Wahl nach Hause holt?

MV: Tür-zu-Tür hilft sehr zu mobilisieren. Aber in international unsicheren Zeiten entscheiden die Bürger sehr bewusst, wer unser Land führen soll und wer das bessere programmatische Angebot hat. Kanzlerin Merkel ist da unser bestes Argument. Allerdings muss heutzutage Politik in Echtzeit auf allen Kanälen präsent sein und kommunikativ dasselbe leisten wie große Konzerne, wenn auch mit viel kleineren Budgets. Da hilft unsere große Stärke: die Parteimitglieder und die Junge Union, die als größte Jugendorganisation Europas natürlich auch eine Wucht mitbringt.

F: Du hast dich mit Haustürwahlkampf schon seit vielen Jahren beschäftigt. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich maßgeblich geprägt hat?

MV: Meinen ersten Haustürwahlkampf habe ich mit 27 gemacht, als ich für den Kreistag kandidiert habe. Da bin ich in meinem Heimatort von Tür zu Tür gegangen. Am ersten Tag schaffte ich nur sechs Türen, weil ich immer mit reingebeten worden bin, einen Kuchen zu essen oder einen Schnaps mitzutrinken. Das ist zwar für mich ein schöner Tag gewesen, war aber wahlkampftechnisch nicht sonderlich effektiv. Am Ende bin ich gewählt worden. Seitdem schaue ich mir Wahlkämpfe in der ganzen Welt an, um direkte Ansprache praktisch und wissenschaftlich zu analysieren. Der persönliche Kontakt zum Wähler ist das A und das O, das Brot- und Buttergeschäft. Das müssen wir als Union verinnerlichen.

F: Wie wird dieser Wahlkampf die künftigen Wahlkämpfe beeinflussen?

MV: Dazu drei Punkte. Erstens: Die Bedeutung der Parteistrukturen für die Wähleransprache wird wachsen, weil wir eine Repolitisierung der Bürger erleben. Dafür braucht es neue Anspracheformen. Zweitens: Es ist der erste Wahlkampf in Deutschland, für den digital campaigning eine wesentliche Rolle spielt. Die Parteien werden künftig größere Budgets dafür in die Hand nehmen. Drittens – und das sieht man in diesem Wahlkampf schon ganz deutlich – wird es wieder um die großen Erzählungen gehen. Was ist die Richtung unseres Landes? Worauf begründet sich der Führungsanspruch? Wie stellen wir uns ein modernes Deutschland vor?

Und das ist ein wichtiger Punkt für die Junge Union. Ihr seid, und das sage ich als ehemaliger JU-Landesvorsitzender, ein Garant dafür ist, dass die CDU nicht vergisst, dass wir Zukunftsfragen beantworten müssen. Deswegen ist es nur logisch, dass connect17 auch ein Projekt zwischen CDU und der Jungen Union ist.

F: Vielen Dank.

Mitarbeit: Moritz Mihm

erschienen in Die Entscheidung September 2017

Digital Campaigning: CSU und FDP punkten bei Facebook und Twitter  

Digital Campaigning: CSU und FDP punkten bei Facebook und Twitter  

Der Bundestagswahlkampf 2017 ist der erste echte digitale Wahlkampf. Die Parteien kümmern sich in einem unerbittlichen Kampf um Mehrheiten im Netz und experimentieren mit Facebook, Twitter und Co. Der Trend ist klar erkennbar, die politische Kommunikation wird zum digital campaigning. Doch was sind die ersten Erkenntnisse über den Wahlkampf im Netz?

Content ist King – oder was passiert in einer Minute online

Die direkte digitale Kommunikation produziert immer schneller neue Inhalte. Sie macht das Kommunikationsdickicht immer undurchdringlicher. Eine Internet-Minute produziert jedes Jahr sehr viel mehr Inhalte als im Vorjahr. Das Wachstum ist exponentiell, nicht linear. In 60 Sekunden gehen 150 Millionen E-Mails rund um den Globus und 21 Millionen WhatsApp-Nachrichten versandt, 2,8 Millionen YouTube-Videos angeschaut, und Google erhielt 2,4 Millionen Suchanfragen. Auf Twitter wurde 350.000-mal gezwitschert, 700.000-mal logte sich jemand bei Facebook ein, und auf Snapchat wurden 530.000 Fotos geteilt. Macht das die politische Kommunikation für Parteien einfacher?

Wo stehen die Parteien bei Facebook und Twitter zum Beginn des Wahlkampfes?

Digital Campaigning ist mehr als Social Media. Social Media ist aber auch ein guter Test, wo die Parteien momentan stehen. Die Meinungsumfragen spiegeln sich nicht bei den Fans der Parteien auf Facebook wider. Die Spitzenreiter mit den meisten Facebook-Fans kommen von den politischen Rändern: Die AfD kommt auf rund 330.000 Facebookfans, deutlich vor der Linken mit knapp 200.000. Die CSU blickt als drittstärkster Akteur auf circa 185.000 Facebookfans und kommt mit der Schwesterpartei CDU (137.000) dennoch nicht an der AfD vorbei. Die SPD (147.000) liegt vor der CDU und gleichauf mit den Grünen. Die FDP landet mit knapp 100.000 Facebookfans abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Follower bei Twitter aller Parteien

Genau das gegenläufige Bild zeigt sich bei Twitter. Debattenfreudige Parteien haben auch die meisten Follower beim 140-Zeichen-Kurznachrichtendienst: Die Grünen (338.000) und die SPD (308.000) liegen deutlich vor dem Mittelfeld von FDP und CDU mit rund 200.000. Danach folgen Linken um die 180.000 und die CSU um 155.000 Follower. Abgeschlagenes Schlusslicht ist bei Twitter mit 60.000 Followern die AfD.

Zwei erste Trends zeigen sich zum Start in den Sommer des Wahlkampfes.

  1. Mit Facebook-Videos: Politik erklären

Im Juli steigt CSU deutlich bei Facebook

Früher Primus unter den Facebook-Campaignern im Juli ist die CSU. Ihre Anhängerschaft bei Facebook wächst am stärksten und sie erzielt Interaktionen mit den Fans. Wesentlicher Treiber ihres Wachstums sind Videos. Mit 38 Videos sind Anfang Juli überflügelt sie alle anderen Parteien. Die CSU gewährt Einblick hinter die Kulissen und erklärt ihre politischen Ansichten. Auf gerade Mal die Hälfte kommt die AfD gefolgt von Linke, SPD und CDU. Am Ende rangieren Grüne und FDP.

Überraschend ist, wie wenig die AfD aus ihrer großen digitalen Anhängerschaft in den sozialen Medien macht. Der Strategiewechsel in der digitalen Kommunikation führt offensichtlich nicht zum Erfolg.

  1. Twittern um zu Inspirieren

Bei Twitter erwies sich die FDP im Juli als besonders erfolgreich. Trotz einer geringen Tweetanzahl erzielte sie eine hohe Anzahl von Beitragsinteraktionen. So kamen die Liberalen auf das höchste absolute Wachstum von Twitterfollowern (21.600) im Monat Juli. Ihr bester Tweet war der „Katasterfortschreibungsgebührenwiedereinführungsgesetz“. Der Launch des Dialogs zwischen Amazons Alexa und Christian Lindner vom 17.7. bekam die meisten Interaktionen. Er offenbarte auch die Strategie der FDP mit interessanten Tweets auf weiterführende Angebot hinzuweisen, die inspirieren oder lustig sind. So erhöht sich die Zeit, in den Nutzer bei der FDP verweilen („Time with Brand“).

FDP führt das Wachstum im Juli an

Das Masse nicht gleich Klasse bedeutet, sieht man an der AfD. Sie setzten fast 1000 Tweets im Juli ab und ist damit für 41% aller Tweets der Bundesparteien verantwortlich. Trotzdem landet sie nur auf dem letzten Platz aller Parteien beim Zuwachs (3516 neue Follower). SPD, Linke und CSU kamen lediglich auf je 362-285 Tweets, was jeweils etwas mehr als einem Zehntel aller Parteientweets entspricht. FDP, Grüne und CDU gingen eher sparsam mit Tweets um und setzten nur je ca 185 ab. Das entspricht je ca. 7% aller Gesamttweets. Insgesamt konnten alle Parteien zwischen 6.000-10.000 neue Follower gewinnen. Das Interesse am Wahlkampf wächst.

Erstes Fazit zum Digital Campaigning

Der Wahlkampf im Netz hat begonnen. Die Parteien probieren sich aus. Dabei sind nicht nur die Parteiseiten entscheidend, sondern auch die Kandidaten. Und hier liegen Angela Merkel bei Facebook und Martin Schulz bei Twitter deutlich vor.

Dennoch: Der Monat Juli geht an die CSU und die FDP. Doch letztlich geht es nicht um das „Noice to Action“ Verhältnis im Netz, sondern um den harten Wettbewerb der Wählerstimmen. Wenn die Briefwahl beginnt, wird interessant sein, welche Partei mit neuen Innovationen punkten kann.

In einer Miniserie „Trends im Wahlkampf: Von Tür-zu-Tür bis Digital“ gehen wir an dieser Stelle den Fragen bis zur Bundestagswahl nach.

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Wahlkampf: Mensch zu Mensch statt Martin, Martin!

Wahlkampf: Mensch zu Mensch statt Martin, Martin!

Was war das denn? Martin Schulz, von den Genossen zum Gottkanzler ernannt, wirft der CDU einen „Anschlag auf die Demokratie“ vor!?! Schulz behauptet, CDU setze im Bundestagswahlkampf auf eine sinkende Wahlbeteiligung. Abermals widerlegen die Fakten die Aussagen des SPD-Kandidaten. Nach den drei herben Niederlagen bei den Landtagswahlen braucht es wohl schmerzlindernde Vergesslichkeit.

Ein kurzer Blick auf die Zahlen verrät, dass die Wahlbeteiligung im Saarland um 8,1%, in Schleswig-Holstein um 4% und in NRW um 5,6% gestiegen ist. Das geht einher mit einem deutlichen Plus für die CDU (+5,5%, +1,2%, +6,7%).

Während also der Kanzlerkandidat der SPD damit beschäftigt war, seine Genossen zu „Martin, Martin!“-Rufen zu animieren, hat die CDU in den drei Bundesländern an über 250.000 Haustüren geklopft und damit viele neue Wähler, besonders aus dem Nichtwählerlager (Saarland um +28.000, Schleswig-Holstein +51.000, NRW +440.000) überzeugen können. 

In diesem Zusammenhang von „Arroganz der Macht“ und einem „Anschlag auf die Demokratie“ zu sprechen ist beschämend. Es gibt Studien, die belegen, dass der Kontakt von Mensch zu Mensch an den Haustüren einen positiven Effekt auf die Wahlbeteiligung hat.

Eines jedoch scheint Martin Schulz aus den Niederlagen der drei Landtagswahlen gelernt zu haben: Die Verluste der Sozialdemokraten resultierten hauptsächlich aus den fehlenden Inhalten ihres neuen Parteivorsitzenden. Diesen Vorwurf der Inhaltslosigkeit versuchte Schulz nun der Kanzlerin zuzuschieben. Das wird kaum zum Erfolg führen: Nächste Woche folgt das Wahlprogramm der Union. Darüber hinaus schätzen die Menschen den Führungsstil Angela Merkels. Lassen wir Martin Schulz am Zaun vom Bundeskanzleramt rütteln. Die direkte Kommunikation auf den Straßen und an den Haustüren gewinnt das Vertrauen der Wähler. Die bisherigen Wahlen 2017 haben bewiesen, dass die CDU damit sehr erfolgreich ist.

von Conrad Clemens und Mario Voigt

Eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten

Eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten

Herr Voigt, wie ist Ihre persönliche Beziehung zu den USA? 
Ich habe dort über ein Jahr gelebt, Praktikum gemacht und meine Masterarbeit an der Jefferson-Universität in Virginia geschrieben. Während meiner Doktorarbeit über den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf bin ich durch zehn Bundesstaaten gereist und habe Demokraten und Republikaner interviewt. Das waren über 60 Gespräche, und zu vielen Partnern habe ich heute noch Kontakt.
Nun haben sie wieder – frei nach Kurt Tucholsky – das amerikanische Volk bei seiner Wahlvorbereitung beobachtet. Was genau machen Sie da?
Ich rede mit Demokraten, Republikanern und Experten. Zum Beispiel darüber, wie sich die demokratische Kultur in den Vereinigten Staaten geändert hat.
Wahlkämpfe in den USA sind stets pompöser und turbulenter als in Deutschland. Doch diesmal scheint sich das alles noch zu steigern, oder?
Die Stimmung bei den Amerikanern, die ich getroffen habe, ist so, dass sie möglichst schnell den Wahltermin hinter sich haben wollen. Sowohl Anhänger der Demokraten als auch der Republikaner wirken desillusioniert. Hillary Clinton und Donald Trump sind beides keine beliebten Kandidaten, bis hin in die eigenen Reihen. Ein Amerikaner hat mir gesagt, Trump habe der demokratischen Kultur im Land das Rückgrat gebrochen.

Es ist zu beobachten, wie schnell soziale Medien den Anstand und die Distanz verlieren lassen. Das hat die politische Kultur in den USA noch mal radikalisiert, von der Mitte weg.

Haben die Amerikaner bei diesen Präsidentschaftskandidaten so etwas wie die Wahl zwischen Pest und Cholera?
Das kann man sicher so sagen. Meine Favoriten waren andere Kandidaten. Aus deutscher Sicht ist Frau Clinton sicher positiver konnotiert. Es bleibt eine Wahl zwischen zwei sehr unbeliebten Kandidaten. Bei Trump weiß man nicht, was man bekommt. Bei Clinton weiß man vielleicht, was man kriegt, aber mit ihr kommt eine große Menge Gepäck mit, zum Beispiel der Email-Skandal. Da gibt es Dinge, die wohl noch unter der Decke gehalten werden. Viele Amerikaner sagen deshalb: Wir wollen nicht das erleben, was wir schon bei ihrem Mann hatten – dass quasi zum Amtsantritt auch das Amtsenthebungs­verfahren startet.
Was ist nach Ihrer Beobachtung schlimmer: Die sexistische Haltung Trumps oder der sehr nachlässige Umgang Clintons mit geheimen Mails?
Es ist beides schlimm, aber auf unterschiedlichen Ebenen. Ich würde auch ungern von einem Menschen regiert werden, der das andere Geschlecht oder Minderheiten so niedermacht. Das ist eine Frage der Werte und des Stils. Bei Clinton kommt immer wieder durch, dass sie sich für etwas Besseres hält und andere Standards an sich legt. Normalerweise würde man ja gefeuert werden, wenn man hochgeheime Dokumente sorglos herumliegen lässt, Einschätzungen über Kriegssituationen über einen privaten Server leitet.
Wie kommt es denn, dass Hillary Clinton in deutschen Medien tendenziell besser wegkommt als Donald Trump? 
Das ist zunächst mal die Frage, wie man die USA in Deutschland wahrnimmt, auch in den hiesigen Medien. Man liest hierin Deutschland ja kaum amerikanische Medien.
Allgemein besteht bei uns eine hohe Skepsis, gerade in Ostdeutschland, wo man mit der Rhetorik und insbesondere mit der Mentalität vieler Amerikaner nicht so zurecht kommt. Clinton wirkt da deutlich moderater. Hinzu kommt die Symbolik, dass mit ihr die erste Präsidentin ins Weiße Haus einziehen könnte.
Mit Theresa May in Großbritannien, Angela Merkel bei uns und Hillary Clinton würden dann wesentliche Staaten der westlichen Welt von Frauen regiert.
Ja, das ist spannend. Allerdings hat Clinton aus dieser Konstellation viel zu wenig gemacht.
Dennoch: Wäre Hillary Clinton auch für Sie das kleinere Übel?
Definitiv. Um die transatlantischen Beziehungen muss man sich bei ihr keine Sorgen machen. Eigentlich kann das mit ihr nur besser werden, denn Barack Obama hat – im übertragenen Sinn – nicht so richtig gewusst, wo Europa liegt. Er hat in seiner Politik da andere Schwerpunkte gesetzt. Clinton ist berechenbarer.
Das wäre für Deutschland und Europa besser? 
Ich habe Amerikaner getroffen, die nach dem Brexit nun Deutschland für wichtiger halten. Das Handelslabkommen TTIP dürfte aber dennoch wohl kaum vor 2020 wieder aufgenommen werden, so der Eindruck auch bei Firmen in den USA.
Ein Amerikaner hat mir gesagt: We have overlook the Loosers, also: Wir haben die Verlierer übersehen. Das zielte auf die Globalisierung, die in den USA viel mehr Sorgen bereitet als bei uns. In Deutschland gibt es die geringste Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren, in den USA ist es genau umgekehrt. Dort gab es seit acht Jahren keinen Job-Zuwachs bei Menschen ohne College-­Abschluss. Das durchschnittliche Einkommen ist seit 15 Jahren nicht gewachsen. Viele Amerikaner haben deshalb das Gefühl, dass sich keiner um sie kümmert, dass das politische Establishment sie allein lässt.
Das nutzt Trump. Er nutzt das Potenzial der weißen Arbeiter, die glauben, es werde für Minderheiten und Kleingruppen mehr getan als für die Mehrheit der Gesellschaft. Wenn jemand zwei oder drei Jobs ausführen muss, um zu überleben, ist er anfälliger für populistische Themen.
Was ist denn Ihr Tipp, wer die US-Präsidentschaft gewinnt?
Es wird sehr knapp werden. Unsere Gruppe, zu der auch die CDU-Kollegen Gruhner, Tischner, Zippel und Herrgott gehörten, war in Virgina und North Carolina, einem der wesentlichen Staaten, die man gewinnen muss, will man Präsident werden.
Vielleicht gewinnt sogar Trump die meisten Stimmen bundesweit, verliert aber die Mehrheit der Wahlmänner in den Bundesstaaten.
Am Ende wird es Clinton wohl schaffen, denke ich, weil sie einen großen Vorteil hat im Bereich der Wählermobilisierung, digital und von Tür zu Tür. Gerade dies scheint Trump nicht sonderlich zu interessieren. Clinton hat so großen Vorsprung bei den freiwilligen Wahlhelfern und bei den Strukturen. In wahlentscheidenden Staaten ist sie viel präsenter als ihr Konkurrent.
Trump hat in einem Fernsehduell offen gelassen, ob er eine Niederlage akzeptieren würde. Wie groß ist die Sorge in den USA vor möglichen Unruhen?
Es gib durchaus sorgenvolle Blicke darauf, dass man die Geister, die man rief, mit dem Wahltag nicht los wird. Hinter dem Trumpschen Populismus existiert eine ganze Reihe von wirklichen Problemen. Den davon Betroffenen hat Trump eine Stimme gegeben. Es wird es sehr darauf ankommen, wie es Hillary Clinton als Präsidentin gelingt, die gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen, auch im Senat über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Clinton sollte auf die Republikaner zugehen – mehr als das es der sehr parteiische Präsident Barack Obama getan hat. Und die Republikaner wiederum sollten den Selbstreinigungsprozess ihrer Partei vorantreiben. Ich habe viele Republikaner getroffen, welche die nationalistische, isolationistische und xenophobe Richtung Trumps ablehnen. Trump hat mit seinen Aktionen nahezu die gesamte Bevölkerungsgruppe mit lateinamerikanischem Hintergrund gegen sich aufgebracht.
Was können wir Deutschen vom Wahlkampf in den USA lernen? Und was sollten wir besser nicht lernen? 
Was man lernen kann ist, die Probleme, die oft als „Rendezvous mit der Globalisierung“ bezeichnet werden, offen anzusprechen. Wie steht es um die soziale Mobilität? Profitieren alle vom Wirtschaftswachstum? Geht es um Einzelinteressen oder um das Große und Ganze? Wichtig ist auch die Sprache. Man muss versuchen, den Leuten aufs Maul zu schauen, ohne ihnen aber nach dem Munde zu reden. Bei der Frage, wie man Wahlkampf macht, geht es auch darum, dass man Bürger direkt anspricht – digital und von Tür zu Tür. Mit Themen, die sie interessieren, die stärker an den Fragen und Sorgen der Menschen orientiert sind. Ein dritter Aspekt ist der Umgang mit populistischen Bewegungen. Da kann man von den USA sehr stark lernen, wie man es nicht macht. Für uns in Deutschland kommt es darauf an, aus den großen Ballons der politisch rechten und der linken Seite die Luft herauszulassen.
Was machen Sie mit den Erkenntnissen? 
Im nächsten Jahr gebe ich gemeinsam mit einer Berliner Kommunikationswissenschaftlerin ein weiteres Buch heraus, das den US-Wahlkampf auf Seiten der Demokraten und der Republikaner analysiert.
Zudem arbeite ich dafür, dass Unternehmen aus Thüringen ihre Produkte leichter in den USA einführen können, neue Märkte erschließen oder Amerikaner hier investieren. Dafür habe ich mich mit der Außenwirtschaftseinrichtung Deutschlands in den USA getroffen – Germany Trade and Invest.
Gespräch: Wolfgang Schütze
OTZ 05.11.16 OTZ
Angriff auf die Heimat: Warum die RRG-Gebietsreform keinen Sinn macht

Angriff auf die Heimat: Warum die RRG-Gebietsreform keinen Sinn macht

Rot-Rot-Grün will den Radikalumbau von Thüringen. Selten ist im Schweinsgalopp ein so massiver Eingriff in die Lebensweise der Thüringer erfolgt. Bis auf Jena und Erfurt stehen fast alle Thüringer Gemeinden, Städte und Landkreise auf der Kippe.

Gera soll nicht mehr kreisfrei und Landkreise geschaffen werden, die von der bayrischen bis zur sachsen-anhaltinische Grenze reichen und größer als das Saarland sind. Zwei Drittel der Gemeinden sollen sich neu zusammensetzen. Das ist eine Zwangszentralisierung, die am Lebensgefühl im Freistaat vorbeigeht.

Diese Gebietsreform spart nichts

Am Anfang jeder Veränderung steht die Frage: Was bringt es? Nach einem halben Jahr Debatte zeigt sich, dass Rot-Rot-Grün diese einfache Frage nicht beantworten kann. Keine sachlichen Berechnungen zu Einsparungen oder Effizienz einer Gebietsreform. Stattdessen zeigen die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen das Gegenteil von Einsparungen. Allein im sächsischen Vogtlandkreis kostete der Neubau eines Landratsamtes über 50 Mio. Euro. Auch die ungleiche demographische Entwicklung in Thüringen zählt nicht als Argument. Es muss immer um die Leistungsfähigkeit und nicht die Größe gehen.

Erst Funktional- und Verwaltungsreform

Rot-Rot-Grün zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Erst eine vorgeschaltete Funktional- und Verwaltungsreform kann klären, welche Aufgabe auf Landesebene und auf kommunaler Ebene erfüllt wird. Nur daraus kann sich die Notwendigkeit einer Reform ergeben. 45 von 21.000 Stellen hat die Regierung identifiziert, die auf die Kommunen übergehen können. Wenn aber auf Landesebene alles bleibt wie es ist, dann braucht es keine Gebietsänderung. Oder wie sagte ein Anzuhörender im Landtag: Wenn ich meinen Betrieb wettbewerbsfähig machen will, dann baue ich nicht als erstes eine neue Halle und überlege mir, wie die Produktionsabläufe da hineinpassen. Vielmehr denke ich zunächst nach, was will ich erreichen, was wird an welcher Stelle gebraucht und wo setze ich meine Leute am sinnvollsten ein. Bevor ich dies nicht weiß, reiße ich nicht meine alte Halle ab.

Gegen den Willen der Bürger

Zwischen kommunikativen Autismus und Scheinbeteiligung ignorierte die Landesregierung den Rat von erfahrenen Landräten und Bürgermeistern. Vielmehr engagierte Rot-Rot-Grün für 1500 Euro pro Tag einen Professor aus Berlin als Berater. Es ist beachtlich, mit welcher Arroganz Rot-Rot-Grün das Ehrenamt ignoriert. Eine kleine Nomenklatura von Rot-Rot-Grün in Erfurt entscheidet, was hunderte Stadträte und Kreistagsmitglieder als Vertreter von über 1,4 Mio. Thüringern durch Beschlüsse ablehnen. Statt auf Bürgerbeteiligung und lokale Erfahrungen zu setzen, werden Stellungnahmen und Proteste von Betroffenen ausgeblendet. Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, indem man sie ignoriert. Kein Wunder, dass fast 60 Prozent der Thüringer die Reform von Rot-Rot-Grün ablehnen.

Es schadet Demokratie und Bürgerbeteiligung

Bürgerschaftliche Nähe stützt nachweisbar das Ehrenamt. Je überschaubarer und persönlicher die Gemeinden, desto mehr Menschen machen mit. Wissenschaftliche Studien belegen ein Absinken der Wahlbeteiligung bei größeren Gemeinden. Anonyme Großstrukturen führen dazu, dass es in vielen ehemals selbstständigen Orten keine Vertreter mehr gibt, welche die Probleme kennen und pragmatisch lösen. Das wirkt sich auf Vereine und das gemeindliche Leben aus. Wie soll ein ehrenamtlicher Stadtbrandmeister demnächst 35 Ortsteilfeuerwehren betreuen können? Das wird ehrenamtlich nicht mehr gehen. Die Auswirkungen auf Sportbünde, Kreissparkassen oder –krankenhäuser kann man sich ausmalen.

Was können wir für unsere Heimat tun

Hätte Rot-Rot-Grün Mut, würden sie ihre Reform zur Volksabstimmung stellen, ob die Menschen in unserem Land das wirklich wollen oder nicht! Als stärkste Fraktion im Thüringer Landtag werden wir gegen die Umsetzung der Gebietsreform kämpfen. Die Thüringer müssen über die Gebietsreform abstimmen können. Deswegen unterstützen wir das Volksbegehren für kommunale Selbstverwaltung und starten eine verfassungsändernde Initiative. 25 Jahre Thüringer Identität, Selbständigkeit und die Heimat von Millionen Menschen darf nicht für unausgegorene Rot-Rot-Grüne Pläne geopfert werden.

Der Artikel erschien als Gastbeitrag in der OTZ.

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