Wir müssen unseren ukrainischen Freunden helfen

Wir müssen unseren ukrainischen Freunden helfen

Der Thüringer CDU-Landtagsfraktionschef Voigt im Interview mit der Thüringer Allgemeinen und OTZ über verschiedene Kategorien von Flüchtlingen und ein Bundespflichtjahr.

Was ist der Unterschied zwischen einer afghanischen Familie, die vor den Taliban flieht und einer ukrainischen Familie, die vor Putins Truppen Asyl sucht?

Als Christ sind für mich alle Menschen gleichwertig. Aber um es mit Joachim Gauck zu sagen: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. Mit Ihrer Frage versuchen Sie, die Flüchtlingssituation im Jahr 2015 mit der von heute zu vergleichen. Da sehe ich schon einen Unterschied.

Nein. Meine Frage zielt darauf, dass Sie das Aufnahmeprogramm für afghanische Flüchtlinge aus dem Etat gekürzt haben – und nun ukrainische Flüchtlinge begrüßen.

Thüringen wird jetzt – genauso wie 2015 und in den Jahren danach – selbstverständlich seinen Beitrag im Rahmen eines europäischen und nationalen Mandats leisten. Dazu hat die CDU immer gestanden. Was wir ablehnen, ist ein Aufnahmeprogramm als ideologischer Versuch von Rot-Rot-Grün, einen Thüringer Sonderweg gegen den Bund zu betreiben. Im Gegensatz zu 2015 haben wir jetzt aber einen brutalen Eroberungskrieg mitten in Europa. Und wir stehen in der Pflicht, unseren Miteuropäern zu helfen. Klick um zu Tweeten Das ist schon etwas anderes…

… als bei den Mitmenschen 2015?
Es geht darum, Europäern im Krieg zu helfen. 2015 hatte ich die Erstaufnahmeeinrichtung Thüringens in meinem Wahlkreis: Ich weiß genau, wie es damals zuging.

Was wollen Sie damit sagen?
Aktuell erwarten wir vor allem Frauen und Kinder direkt aus einem Kriegsgebiet, das mitten in Europa liegt. Die Männer bleiben zumeist zurück, um für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen, auch unsere Freiheit. 2015 habe ich auch andere Erfahrungen gemacht: Es kamen überwiegend junge, männliche Migranten aus Drittländern. Dennoch habe ich aus humanitärer Überzeugung immer Angela Merkels Politik unterstützt. Grundgesetz und die Flüchtlingskonvention gelten uneingeschränkt für alle.

Warum meinten Sie dann, dass das jetzt„etwas anderes“ sei als 2015?
Ganz einfach: Alle Ukrainer besitzen ein gültiges Visum für 90 Tage, das auf 180 Tage verlängert werden kann. Deshalb sollten sie auch nicht im Erstaufnahmelager in Suhl untergebracht werden. Wir geben ihnen Unterkunft und sie sollten hier eine generelle Arbeitserlaubnis bekommen. Als europäische Mitbürger müssen die Menschen aus der Ukraine Vorrang genießen.

Auch bei der finanziellen Unterstützung?
Wir fordern, dass alle freien Mittel im Etat des Migrationsministeriums gebündelt werden, um Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen und zu unterstützen. Wenn das Geld nicht reichen sollte, sind wir im Landtag zu Gesprächen bereit.

Weil wir gerade über Geld reden: Die Bundesregierung will die Bundeswehr deutlich besser finanzieren, mit zusätzlich 100 Milliarden Euro. Einverstanden?
Ja. Es ist gut, dass SPD und Grüne ihre moralisierende Außen- und Sicherheitspolitik an die Wirklichkeit anpassen.

Wie bitte? Wurden nicht Bundeskanzlerin, Verteidigungsminister und oft auch Finanzminister 16 Jahre von der Union gestellt?
Und der Wehretat ist auch wieder gewachsen seit 2014. Dennoch hat sich die SPD gegen die Nato-Vereinbarung gewehrt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Aber ich will in dieser Situation keine Parteipolitik machen . . .

Ach ja?
Es ist doch so: Wir müssen uns jetzt alle gemeinsam auf die wirklich wichtigen Dinge besinnen und sollten keine Minderheits- und Nischendebatten führen. Klick um zu Tweeten

Welche Debatten meinen Sie denn?
Nebendiskussionen um das dritte Geschlecht oder linke Identitätspolitik nehmen aus meiner Sicht einen viel zu breiten Raum ein.

Wann hat denn diese Diskussion zum Beispiel im Thüringer Landtag stattgefunden?
Zu oft. Wir müssen wieder mehr über Infrastruktur, Bildung, Sicherheit reden.

Auch über die Rückkehr der Wehrpflicht?
Ich bin für ein Gesellschaftsjahr für jede junge Frau und jeden jungen Mann.

Gesellschaftsjahr? Sie meinen ein Bundespflichtjahr, entweder bei der Bundeswehr oder zivil?
Ein Jahr Dienst für das Gemeinwohl schadet niemandem. Aufgaben gibt es genug: Bundeswehr, Naturschutz, Soziales. Klick um zu Tweeten Am Ende muss aber auch über Versorgungssicherheit in der Energie geredet werden, beispielsweise über die Verlängerung der Laufzeiten der Kohle- und Kernkraftwerke.

Sie wären für beides? Längere Laufzeiten Kohle und Atom?
Wir brauchen jedenfalls eine offene gesellschaftliche Debatte darüber, ohne ideologische Scheuklappen. Wir müssen die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen beenden.
Das ist eine Bundesdebatte. Sie könnten auch im Land dafür etwas tun: Zum Beispiel Ihre Haltung bei der Windenergie ändern – der „Freiheitsenergie“, wie FDP-Chef Christian Lindner sagte.
Der Begriff ist absurd, genauso wie das Denken in Flächen statt in Energieleistung. Oftmals ist ein Repowering, also eine Modernisierung der bestehenden Anlagen, deutlich effizienter und schafft keine zusätzlichen Belastungen für die Anwohner. Darauf sollten wir uns erst einmal konzentrieren.

Und bis dahin wollen Sie amerikanisches Fracking-Gas per Dieseltanker importieren?
Uns wird gar nichts anderes übrigbleiben, als auf einen Energiemix zu setzen und Brückentechnologien zu erhalten, wenn Energie bezahlbar bleiben soll. Im Zweifel steht die Versorgungssicherheit über dem Klimaschutz. Der Glaube, dass wir in den nächsten Jahren allein mit erneuerbaren Energien den Ausfall der russischen Energielieferungen ausgleichen können, ist völlig naiv.

Sie sagten vorhin, dass sich die Politik jetzt gemeinsam auf die wirklich wichtigen Dinge besinnen sollte. Heißt das, dass die CDU im Thüringer Landtag jetzt die rot-rot-grüne Landesregierung bis 2024 stützt? Oder wird das Spiel der Mal-so-mal-so-Tolerierung fortgesetzt?
Die CDU ist neu aufgestellt und Reformmotor für Thüringen. Das haben wir beim Haushalt für 2022 bewiesen: im Gesundheitssystem, beim Kommunalen Finanzausgleich oder für den ländlichen Raum. Wir sind Antreiber einer Landesregierung, die… Klick um zu Tweeten Jetzt müssen wir sehen, ob Rot-Rot-Grün sich diesmal an die Beschlüsse hält oder wieder die von uns initiierten Vorhaben behindert oder ignoriert.

so erschienen in der Thüringer Allgemeinen und Ostthüringer Zeitung am 3.3.2022

Das Comeback der CDU

Das Comeback der CDU

Wenn die CDU am kommenden Wochenende ihren dritten Bundesvorsitzenden in vier Jahren wählt, fragen sich viele: Findet die CDU wieder zurück zu alter Stärke? Wie sieht das Comeback der CDU aus?

Die Bundestagswahlen waren ein Denkzettel für die Union: Erstmals seit 1953 gaben der CDU weniger als 10 Millionen Wähler ihre Stimme. Man kann verlieren, aber ob eine Partei Zukunft und Charakter hat, zeigt sich wie sie mit Niederlagen umgeht. Und wie sie wieder aufsteht, wenn sie hingefallen ist. Der Machtverlust darf nicht zu einer Lähmung führen, sondern muss neue Ideen und Kreativität entfesseln. Die Union muss nun nicht mehr im Sinne einer Machtmaschine funktionieren, sondern kann sich einer Art Generalinspektion unterziehen.

Es klingt geradezu revolutionär und ein bisschen verrückt, aber nun besteht für die Möglichkeit, Positionen und Themen neu zu denken und sich auf Werte und Haltungen zurückzubesinnen. Für welche Punkte steht die CDU, die sie von anderen unterscheidet?

Das Comeback der CDU wird nur über programmatische Frische und Erneuerung gelingen. Für die CDU muss es um den Anspruch der geistigen Führung gehen, die eine Aufstiegs-Erzählung von ganz Deutschland mit dem Mut der Auseinandersetzung um den besten Weg verbindet. Klick um zu Tweeten

 

1. Geistige Führung eines verunsicherten Landes

Die CDU ist Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. 16 Jahre Regierung bedeutet auch gesellschaftliche Konflikte im Regierungspragmatismus zu relativieren. Im Wahlkampf fehlte der CDU das programmatische Alleinstellungsmerkmal und die Unverwechselbarkeit. Doch will sie nicht den Weg anderer europäischer christlich-demokratischer Parteien von Italien, Frankreich oder Belgien in die Marginialisierung gehen, dann muss sie sich um die geistige Meinungsführerschaft in gesellschaftlich-politischen Debatten kümmern.

Die Zeit dafür ist reif. Gesellschaftliche Konflikte entladen sich in polarisierten und moralisierten Debatten. Während der SPD-Parteivorsitzende das Sozialdemokratische Jahrzehnt anbrechen sieht, will die AfD die Spaltung der Bürgerlichen und der Union. Deswegen muss der gesellschaftliche Interpretationskampf der CDU in der Mitte gegen die SPD/Grünen und nach rechts gegen die AfD geführt werden.

Die alte, sozialökonomische Sicht bei SPD/Grünen/Linke ist passe – sie reden dem kulturellen Wandel aus einer Position der vermeintlichen moralischen Überlegenheit das Wort. In ihrem verabsolutierten Zeitgeist unterscheiden sie zwischen legitimen und nicht legitimen Sorgen. Erlaubt ist etwa die Angst vor der Klimakatastrophe oder vor dem Atomtod. Nicht erlaubt, ist die Angst mancher Bürger in der Globalisierung die eigene Identität zu verlieren. Hier setzt die AfD an, die sich als anti-institutionelle und ausländerfeindliche Populismusbewegung radikalisiert hat.

Beide Seiten machen die gesellschaftliche Unsicherheit zum Thema. Sie stehen für unterschiedliche Schattierungen des Status quo in einer sich wandelnden Welt. Ihr Blick auf Deutschland ist geprägt von einer Gesellschaft der Opfer und Minderheiten: diskriminierte Migranten, rechte Wutbürger, linke Flüchtlingshelfer, Abgehängte, Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger…

Doch wo ist das einigende Band? Wo die einende Gegenkraft zur linken und rechten Identitätspolitik?

Politik in einem polarisierten Umfeld funktioniert langfristig nicht ohne eine eigene kraftvolle Positionierung. Die CDU kann Sicherheit und Orientierung bieten, wenn sie es versteht, zu bewahrendes mit dem neuen zu verbinden. Doch dafür muss die CDU wieder den Weg nach Normalo-Deutschland suchen (Road to Somewhere).

 

2. Aufstiegserzählung für ganz Deutschland

Es braucht eine programmatische Erneuerung der CDU. Eine starke und verbindende Erzählung muss in den Blick nehmen, was das Anliegen und die Antworten christlich-demokratischer Politik ist. Im Zentrum steht: wie wollen wir in Deutschland miteinander leben.

Die CDU muss den tatsächlichen oder vermeintlichen Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erwartungen der eher lokal verwurzelten, in Werten wie Familie, Heimat und Nation denkenden seßhaften Normalbürgern (Somewhere) und der gut ausgebildeten, mobilen und global denkenden großstädtischen Elite (Anywheres) auflösen. Es geht um ein Zielfoto oder Vision in der „sinnentleerte Bequemlichkeitsdemokratie“ (Oberreuter), die eine Verbindung zwischen Tradition und Moderne, Heimatbedürfnis und globalem Fortschritt bietet.

Für die CDU muss es, um Deutschland als gemeinsame Aufstiegsgesellschaft gehen – für das Land und den einzelnen. Ob Angestellter, Arbeiter oder Selbständiger, ob Ost oder West.

Es geht dabei aber nicht nur um Identität, sondern auch Gerechtigkeit. In Deutschland haben soviel Menschen Arbeit wie nie zuvor. In der breiten Mitte unserer Gesellschaft existieren aber eine Frustration und das Gefühl, dass unterm Strich immer weniger übrig bleibt und Deutschland absteigt.

Bei der Mittelschicht entspricht die gefühlte Lage auch dem tatsächlichen Bild: Schließlich haben Sozialstaatsversprechen der Politik und die Corona-Kosten das Gros der Finanzierung der Staatsausgaben bei ihr abgeladen: staatliche Ungerechtigkeiten und Eingriffe von Energiesteuern über Mietpreisbremse bis Dauerbürokratie. Es droht das „Ende der Mittelschicht“ (Daniel Goffart), wenn nicht mehr alle an der Wohlstandsgemeinschaft Deutschland beteiligt sind.

Mittlerweile arbeitet jeder Vierte im Niedriglohnsektor; im Osten sogar fast ein Drittel. Es macht sich eben der Fleiß und die Anstrengung nicht bemerkbar, wenn fast 4 Millionen Menschen vollwertig lohnabhängig beschäftigt sind und trotzdem Sozialleistung in Anspruch nehmen müssen – vom Verkäufer über den LKW-Fahrer bis zum Pfleger.

Deutschland und seine Bürger brauchen wieder den Glauben an den gemeinsamen Erfolg. Für die CDU geht es um eine Aufstiegserzählung, indem der große Teil der Deutschen wieder gemeinsam nach oben fährt und vom wirtschaftlichen und ideelen Wachstum profitiert. Klick um zu Tweeten

In dieser Diskussion um die Gesellschaft des Aufstiegs liegen alle politischen Zukunftsfelder, gesellschaftliche Konfliktlinien und Gerechtigkeitsdiskussion offen zu tage:

  • wie kann eine neue Bildungsinitiative aussehen, die Chancen für Wissen und Qualifizierung in der Digitalisierung bieten,
  • welche Politik stärkt die Familien und die Kinder wirklich und macht sie nicht nur zum Spielball wirtschaftlicher Notwendigkeiten,
  • wie beleben wir die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft und der bürgerlichen Wettbewerbsgesellschaft gegen den linken wie rechten Staatsinterventionismus,
  • welche Rentenversprechen können wir in einer wandelnden Arbeitswelt abgeben?
  • wie kann Deutschland seine kleine Dörfer und Städte als Zukunftsmagneten entwickeln,
  • wo soll der Strompreis in zehn Jahren stehen mit einer engagierten Klimapolitik stehen und was bedeutet das für den Industriestandort Deutschland oder die Mittelschicht-Familie,
  • welche Migration wollen wir und wo sehen wir integrative Grenzen,
  • wie sieht Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt aus,

Die CDU muss aus ihren Grundüberzeugungen des christlichen Menschenbildes moderne, wertegebundene Antworten formulieren. In einer solchen Diskussion führt die „alte Gesässgeografieführt in die Irre. Denn was, bitte schön, ist an vernünftiger Sozialpolitik links, was am klassischen Familienbild rechts? Aber es geht um den Mut zur Auseinandersetzung.

 

3. Mut zur Auseinandersetzung

Gesellschaftlich ist etwas ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennenlernt. Corona hat die Emotionen weiter hochkochen lassen. Politik wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz. Will die Volkspartei CDU für ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft eine Mehrheit gewinnen, darf sie sich bei den Diskussionen nicht wegducken. Andreas Rödder beschreibt zu recht über die CDU: Eine intellektuell satisfaktionsfähige Partei kann unterschiedliche Positionen vertreten, die man mal für eher links und mal für eher rechts halten würde, aber sie darf nicht permanent nur im Kielwasser des Mainstreams fahren.

Eine Ampel aus SPD, Grüne und FDP bedeutet eine Großstadt-Koalition. Das wird die politisch-kulturelle Spaltung im Land nur vergrößern. Die Volkspartei CDU sollte sich nicht an einer falschen politischen Korrektheit beteiligen, mit der objektive Probleme verleugnet oder verschwiegen werden. Kurt Tucholsky beschrieb dies einmal so: „Der deutsche Krach unterscheidet sich von allen anderen Krachs der Welt dadurch, dass er sich niemals mit dem Einzelfall begnügt. Es wird immer gleich alles Prinzipielle miterledigt.“

Die Union sollte den Krach suchen und erklären, für welche offene Gesellschaft sie steht. Daher geht es in der Debatte nicht um Lackierarbeiten am Partei-Image, sondern um einen Kampf um die Stimmung im Land, um eine inhaltliche Schärfung und das Besetzen von Begriffe wie Respekt, Leistung, soziale Marktwirtschaft, Gerechtigkeit, Subsidarität.

Über solche Diskussionen gewinnt man auch die Deutung in ganz Deutschland. Mancher Ostdeutsche empfindet sich heute als „deutscher“ als die meisten Westdeutschen. Daraus erwächst ein Aufbegehren und eine Verteidigung der Heimat, der noch durch die Empfindung eines komplett westdeutschen Diskurses in den Medien und der Öffentlichkeit empfunden wird. Insofern überrascht es nicht, wenn ein Teil der Ostdeutschen längst abgestreifte DDR-Erfahrungen des nicht öffentlich sondern nur privat Sagbarem im Mantel von linksliberalen, westdeutschen Sprachkonventionen wiederentdecken.

Der CDU gelingt das Comeback, wenn sie sich anhaltenden Auseinandersetzung, die in der ganzen Gesellschaft geführt werden, offen und ehrlich stellt, geistige Meinungsführerschaft sucht und den Weg in eine Aufstiegsgesellschaft beschreibt. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß.

Ist die CDU gewillt, mit Debatten und einem neuen Grundsatzprogramm diese Aufgabe anzugehen, wird sie zur starken Mitte und führenden Partei, die das intellektuelle und moralische Rückgrat unserer pluralistischen Demokratie bildet.

Die CDU im Osten nach der Wahl

Die CDU im Osten nach der Wahl

Wahlen können nicht im Osten gewonnen werden, aber sie können im Osten verloren gehen. Nachdem Reiner Haseloff und die CDU Sachsen-Anhalt im Sommer noch mit über 37 Prozent gewann, verlor die CDU flächendenkend in den neuen Bundesländern. Von ehemals 44 gewannen noch sieben Christdemokraten ihre Mandat zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen direkt. Damit geht die Partei der deutschen Einheit geschwächt in die 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Von der Schwäche der CDU profitierte aber nicht die AfD. Sie ersetzt zwar mittlerweile die Linke als ostdeutsche Protestpartei, aber das Wahljahr zeigte ihr auch deutliche Grenzen auf. In Sachsen und Thüringen landete sie zwar auf Platz 1, doch die Zugewinne blieben aus.

Die Wahlen wurden in der Mitte entschieden und da profitierte die SPD von der Schwäche der CDU. Klick um zu Tweeten

Veränderungen der Ergebnisse zur letzten Bundestagswahl

Ergebnisse der Parteien bei den letzten Bundestagswahlen nach Ost und West

Drei Gründe erklären den Wahlausgang der Union im Osten:

Erstens, die Themen des Ostens kamen zu wenig vor.

Keine Partei konnte ein überzeugendes inhaltliches Angebot vortragen, welches die Themen im Osten aufgriff. Doch von der CDU erwarten die Bürger, dass sie Ihnen den kleinen Wohlstand sichern und ihre Sorgen ernst nimmt. Seit einiger Zeit haben uns die Leute als kleineres Übel gewählt, aber nicht weil die CDU sie vom Sitz gerissen hat. Es klingt eben nicht als Verheißung ostdeutscher Familien, wenn beide Elternteile berufstätig, auf das Auto angewiesen sind und dann der Benzinpreise auf zwei Euro zusteuert. Oder es fragt sich ein ostdeutscher Arbeitnehmer zurecht, warum nach 30 Jahren Deutscher Einheit in West und Ost unterschiedliche Löhne für die selbe Tätigkeit bezahlt werden. Wenn das tägliche Leben teurer wird, Lehrer fehlen und die Internetverbindungen lahmt, sorgen sich die Menschen in unseren Dörfern und Kleinstädten weit mehr um grundlegendere Fragen als um die Transformation zu einem klimaneutralen Industrieland.

Doch wer die Dörfer und kleinen Städte verliert, verliert das Land. Klick um zu Tweeten

Zweitens, die Pandemie der Grundrechte.

Der Wunsch nach einer Neubewertung der Coronapolitik war im Osten deutlich größer als in den Altbundesländern. Die Menschen waren nach Monaten erschöpft und sahen sich immer wieder neuen Beschränkungen ausgesetzt. Im Gegenzug sollten Auflagen fallen, wenn alle ein Impfangebot haben. Aber das passierte nicht. Im Gegenteil: Es gab jetzt neue G-Regeln und im Verordnungs-Dschungel blickt niemand mehr durch. Natürlich sorgt das für Frust. Gerade die Menschen im Osten sind sehr sensibel, wenn es um ihre Grundrechte geht. Es ist nicht gelungen, die Perspektive für die Menschen zum Ausgangspunkt der Politik zu machen. Stattdessen attestierte der oberste Interessenvertreter der Ostdeutschen in der Bundesregierung, der Ostbeauftragte, dass die Menschen hierzulande „diktatursozialisiert sind“ und „auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“. Das sich da Menschen angegriffen fühlten, kann nicht verwundern.

Schließlich gab es (k)eine „Union“

Fast zwei Jahre gab es Personaldebatten, wer Parteivorsitzender der CDU und als Kanzler Angela Merkel nachfolgen soll. Insbesondere die Zuspitzung zwischen Marcus Söder und Armin Laschet hat Kraft gekostet, die lange im Wahlkampf fehlte. Viel zu spät – erst kurz vor dem 26. September – versammelte sich die Union hinter ihrem Kandidaten.

Für die CDU bedeutet das:

1. Die Partei der deutschen Einheit sollte eine eine ständige Ostkonferenz einrichten, welche gemeinsam die Wahl analysiert und auch die Themen der CDU von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Thüringen selbstbewusst voranbringt.

2. Wissenschaftliche Wahlanalyse mit Auswertung von Regionen und Wählergruppen, Kommunikationsmittel und Organisationsstruktur der CDU-Parteiarbeit.

3. Eine Unterstützung der Parteiarbeit und der besonderen Strukturen demokratischen Engagements in den neuen Bundesländern durch die Bundespartei.

Wir müssen lernen mit dem Virus zu leben

Deutschland ist erschöpft. Die Deutschen sind pandemiemüde. Nach vier Monaten Lockdown sind junge Menschen, ältere Bürger, Familien, Unternehmer und Arbeitnehmer an der Grenze des psychisch, emotional und finanziell Leistbaren angelangt. Die Bürger ziehen in einer vorbildlichen Art und Weise mit. Es agiert Umsicht und Vorsicht. Doch eine Vielzahl ständig neuer und oft wenig nachvollziehbare Regeln und zu langsame Entscheidungsprozesse lassen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates schwinden.

Thüringen hat seit Monaten die höchsten Werte. Ganz Deutschland liegt unter 100 Inzidenz und kann Lockerungen ermöglichen, nur wir in Thüringen schauen in die Röhre. Das sind nicht die Thüringer, das ist nicht die Mutante. Das ist das Krisenmanagement der Ramelow-Regierung: Schulchaos, Zick-Zack-Kurs und zögerliche Entscheidungen.

Was die Menschen nicht verstehen

Was die Menschen nicht verstehen, sind ein regelrechter Verordnungsdschungel wie ihn der Freistaat Thüringen praktiziert: Im Supermarkt gilt ein Kunde auf 20 qm, in der Schule 30 Kinder auf 70 qm, im Linienbus 50 Personen auf 27 qm und an der Haltestelle mindestens 1,5 m Abstand. T-Shirts, und Strümpfe im Supermarkt darf man kaufen. Aber: Klamottenladen im gleichen Einkaufscenter bleiben zu. Für Baumärkte gelten andere Regeln als für Gartenmärkte. Mit Arbeitskollegen dürfen wir den ganzen Tag zusammen sein. Aber nach der Arbeit sich mal treffen – das ist verboten. Ganz Deutschland öffnet sich, nur Thüringen schaut in die Röhre. Auf dem Weg Richtung mehr Normalität ist das Tempo in Thüringen besonders langsam. Das sind nicht die Thüringer, das ist nicht die Mutante. Das ist das Krisenmanagement der rot-rot-grünen Ramelow-Regierung: Zick-Zack-Kurs, Schulchaos und Candy Crush. So geht es nicht weiter.

Mehr Normalität wagen

Es braucht einen klaren Plan und eine Perspektive. Dabei hilft: Wir kommen in eine neue Phase der Pandemie. Die 7-Tage-Inzidenz in der Altersklasse 70+ liegt bereits niedriger als die Inzidenz der Gesamtbevölkerung. Wir haben mehr Geimpfte, mehr Schutz für die Risikogruppen und ein besseres Verständnis für die Übertragungswege der Seuche. Es war richtig, ohne Impfstoff für die Risikogruppen Vorsorge zu treffen. Doch mit jeder Impfung sinkt die Wahrscheinlichkeit schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe und der Überlastung unserer Kliniken. Zur Bewertung der Infektionslage sollte die Zahl neuer beatmungspflichtiger Covid-19-Intensivpatienten zur Steuerung der Maßnahmen herangezogen werden. Mit steigender Impfung sagt die Anzahl der Neuinfektionen noch nichts über die Krankheitslast in der Bevölkerung aus.

Es braucht einen Perspektivwechsel. Wir sollten den Bürgern etwas zutrauen. Die Grundfrage darf nicht lauten: Auf oder Zu? Sondern: Wie sichern wir ab, dass Schulen besucht, Geschäfte geöffnet und Bürger Normalität finden? Es sollte unser Ziel sein, dass Deutschland zu Ostern wieder die Türen aufmacht.

Die Frage darf nicht alleinig sein, ab welchem Inzidenzwert die Schulen in einem Landkreis schließen müssen, nur weil an in einem Ort ein lokaler Ausbruch ist. Nach einem verlorenen Schuljahr müssen bei verschiedenen Inzidenzniveaus den Unterricht in Präsenz gestalten können. Hygienekonzepte, Maskenpflicht, Lüftungskonzepte, Schnelltests und gegebenenfalls Impfungen der Lehrerschaft sollten die Perspektive garantieren.

Die Frage darf nicht sein, wie wir die Kontakte insbesondere der jüngeren Menschen untereinander auf ein Minimum reduzieren. Aufgabe der Politik muss es doch sein zu definieren, wie sich Menschen etwa unter freiem Himmel, in kleineren Gruppen und mit Abstand ein Stück Normalität im Alltag zurückholen können.

Die Frage darf nicht sein, ab welcher Inzidenz Handel, Kultur oder Gastronomie öffnen darf und wann sie schließen müssen. Hier wurden im Sommer überzeugende Konzepte abgeliefert. Die Frage ist daher, wie organisieren wir das so, dass Ansteckungsgefahren in geöffneten Einrichtungen minimiert werden. Kontrollierte Nähe ist weniger gefährlich als Privatpartys in Garagen.

Verantwortlich Handeln

Ein Restrisiko wird bleiben. Dennoch: Verantwortliches Handeln bedeutet die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie, von psychischen Erkrankungen bis hin zu chronischen Depressionen, langfristiges Bildungsversagen, Gewalt gegen Kinder in hierfür anfälligen Familien, wirtschaftliche Not, Insolvenzgefahren und einem dauerhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit, sich entgegenstellen. Die Pandemie darf nicht zur Depression eines ganzen Landes werden. Das Virus darf Deutschland nicht in die Insolvenz führen. Deshalb müssen wir jetzt mehr Normalität wagen. Ein Perspektivwechsel ist erforderlich.

Wir befinden uns in einem Rennen zwischen Infektion und Injektion. Die Instrumente lauten: Impfen, Testen, Hygiene- und Abstandsregeln beachten und Infektionen nachverfolgen. Die Kombination erlaubt mehr Normalität als derzeit praktiziert wird. Das Impfen ist der absolute Königsweg. Es darf zukünftig kein Impfstoff mehr über Tage liegen bleiben. Jeder Arzt ist in der Lage zu impfen, dies sollte zügig nutzbar gemacht werden, um flächendeckend, schnell und mit Sicherheit aus der Pandemie herauszukommen.

Gute Politik muss Interessen ausgleichen, Wege weisen. Es ist Zeit, die Perspektive für die Menschen, nicht das Virus, zum Ausgangspunkt der Politik zu machen. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben

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